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Demos gegen rechtsHört uns zu und haltet uns aus

Bei den begrüßenswerten Reaktionen auf die jüngste AfD-Recherche werden Erfahrungen von Mi­gran­t*in­nen nicht mitgedacht. Das schwächt die Proteste.

Gute Laune beim Protest gegen die AFD, hier am 21. Januar vor dem Berliner Reichstagsgebäude Foto: Liesa Johannssen/reuters

E s ist mein dritter Probentag an diesem Theater und der dritte Tag an dem ich auf meinem Arbeitsweg rassistisch angegangen wurde. Drei Tage in Folge ist eine neue Härte und ich könnte einige ganz persönliche Beispiele dieser neuen Härte aufzählen, doch alles worauf ich hinaus will ist: Was wir in den Zeitungen über den Rechtsruck lesen, die Wahlprognosen, die Statistiken zu antisemitischer und rassistischer Gewalt, das ist weder Theorie noch Gruselgeschichte, das alles hat seit vielen Jahren sehr direkte Auswirkungen auf viele Menschen in diesem Land.

Alltagsrassismus, behördlicher Rassismus, rechter Terror … das ist für die einen ein prägender Teil ihrer Lebensrealität, und für andere bleibt es abstrakt. Die Correctiv-Recherche hat vielen Menschen erstmalig das Ausmaß der Bedrohung anschaulich machen können und den richtigen Alarm ausgelöst. Herzlich Willkommen an unserer Seite!

Nicht nur im Theater muss dieses „Zusammen“ noch geprobt werden. Dort hatte die reißerische Ankündigung des Berliner Ensembles für eine Aufführung der Recherche und die klamaukige Umsetzung Unmut ausgelöst – besonders in den Bevölkerungsgruppen, deren Deportation besprochen wurde. Migrant*innen, ihre Erfahrungen und Traumata wurden bei antirassistischer Kunst mal wieder nicht mitgedacht. Künst­le­r*in­nen of Color und zuständige Diversitätsbeauftragte werden wohl eine Weile brauchen, um das Vertrauen wiederherzustellen und ihr Publikum zurückzuholen.

Und auch auf den beeindruckend großen Demos klappt das Zusammenspiel noch nicht ganz. Denn während die einen mal wieder mit Wut und Schmerz auf die Straße gehen, um für ihr bloßes Existenzrecht zu kämpfen und dabei versuchen, die Aufregung mit politischen Inhalten zu füllen, machen andere Party und tanzen mit Sekt, während „Nazis raus“ gerufen wird. Doch nicht nur dieser Eventcharakter wird gerade hinterfragt. Behinderte Ak­ti­vis­t*in­nen kritisieren zurecht, dass die Demos nicht barrierearm sind und vielen Teilnahme und Teilhabe erschwert wird.

PoC und Behinderten wird Spaltung vorgeworfen

Ich verstehe, dass einige unter laut gegen rechts Musik und Spaß verstehen und sich das besser anfühlt

Wir können froh sein, dass wir all diese kritischen Stimmen hören. Das heißt: Es gibt sie – die Vielfalt, die wir verteidigen wollen. Die Reaktionen sind jedoch bedenklich: Kri­ti­ke­r*in­nen sollen doch bitte ruhig sein. Denn jetzt geht es darum, den Faschismus aufzuhalten. Ausgerechnet PoC und Behinderten wird Spaltung vorgeworfen.

Ich habe ganz viel Verständnis dafür, dass da Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen und unter verschiedenen Voraussetzungen auf die Straße gehen. Ich verstehe, dass einige unter „laut gegen rechts“ Musik und Spaß verstehen und sich das besser anfühlt. Ich weiß, dass Menschen im ländlichen Raum – besonders im Osten – richtig was riskieren, wenn sie auf die Straße gehen. Doch es muss möglich sein, über das Wie zu diskutieren. Wenn das schon als demotivierend gilt, ist diese Bewegung nicht sonderlich stabil. Gegen Spaltung hilft Kritik annehmen.

„Kein Fußbreit den Faschisten“ heißt auch, keine Rückschritte zu machen. Multiperspektivität und Inklusion dürfen nicht plötzlich weniger wichtig sein. Jetzt die Arbeit für mehr Diversität und Gleichberechtigung einzustellen oder gar die Regierungsparteien nicht mehr für ihre rassistische Abschiebepolitik anzugreifen, wäre kontraproduktiv und Teil des Rechtsrucks. Eine Migrationsgesellschaft, in der die Perspektiven von Mi­gran­t*in­nen nichts zählen, ist nicht viel wert. Deshalb: Hört uns zu und haltet uns aus.

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Simone Dede Ayivi
Simone Dede Ayivi ist Autorin und Theatermacherin. Sie studierte Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis in Hildesheim. Aktuell arbeitet sie zu den Themen Feminismus, Antirassismus, Protest- und Subkultur.
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16 Kommentare

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  • Gute, bedenkenswerte Punkte. In einigen Kommentaren etwas (zu viel?) Besserwisserei von „Mehrheits-Gesellschaft(l?)ern“ bzw. Leuten mit Sesshaftigkeits-Hintergrund. Aber auch das gehört zur pluralen Demokratie. Keep on talking! Sigan discutiendo!

  • Für mich klingt das nach einem Ja-Aber-Aktivismus. Dass Menschen für die gute Sache auf die Straße gehen, ist eine gute Sache. ABER wenn ihr auf die Straße geht müsst ihr auch …



    … über euer Weißsein reflektieren



    … euch eurer Privilegien bewusst werden



    … sämtliche Minderheiten inkludieren



    … eine angemessene Ernsthaftigkeit ausstrahlen



    … einen Besinnungsaufsatz schreiben, im dem ihr eure Motivation darlegt

    Durch solche Haltung kann man jedes Momentum im Keim ersticken.

    Lasst uns lieber den gemeinsamen Konsens behalten und gegen Faschismus angehen – egal, ob es sich dabei um Konservative, Muslime, Liberale, Grüne, Schwule, Spießer oder wen auch immer handelt. Dieses Thema geht uns alle an.

    Wie wir unseren Protest äußern, ist eine Geschmacksfrage: Mit Sekt oder Selters, ironisch oder ernst, in der eigenen Bubble oder in einer wild gewürfelten Gruppe- es gibt viele Wege zu zeigen, dass man die AFD nicht haben will.

    • @JC Kay:

      Reflektion schadet nicht. Diskriminierendes Verhalten gegen Minderheiten gibt es auch außerhalb der AFD oder anderen rechten Bewegungen.

  • "Das schwächt die Proteste."



    Geschwächt werden Proteste, wenn man sie als falsch abqualifiziert, weil sie nicht das eigene Weltbild abbilden, sondern das der Protestierenden. Dann werden die das nämlich irgendwann nicht mehr tun.

  • Mal ne Gegenthese: der Kampf gegen die Nazis sollte von denen getragen werden, die erkennbar nicht direkt und unmittelbar bedroht sind. Von denen, die vielleicht sogar von der rechten Programmatik profitieren würden. Von denen, die den Völkischen zeigen, dass nicht sie das Volk sind, dass sie keine schweigende Mehrheit repräsentieren oder klammheimliche Befürworter. Von denen, die auch von den Braunen als Deutsche akzeptiert werden müssen. Ein Protest, der von möglichen Opfern getragen würde, wäre hingegen keine Verbesserung, die von Rassismus - Opfern gemachten Erfahrungen sind auch keine Verstärkung. Betroffenheit ist grundsätzlich eine fragwürdige Qualifikation. Wäre es nicht besser, wenn die "Bio- Deutschen" alleine mit ihren Nazis aufräumen würden, den eigenen Stall ausmisten würden? Kann man doch wohl so sehen, oder?

    • @Benedikt Bräutigam:

      Opfer von Rassismus haben die Klappe zu halten und sollen sich aus dem Kampf gegen rechts raushalten? Mal ne Gegenthese: Rassismus mit Rassismus zu bekämpfen ist Schwachsinn.

    • @Benedikt Bräutigam:

      Treffer, versenkt.

  • Eine Demo ist eine Demo.



    Ein Diskussionsabend ein Diskussionsabend.



    Sollte man unterscheiden, wenn man nix vermischen will.

  • Ein wichtiger Beitrag. Danke Frau Ayivi!

  • "...die Regierungsparteien nicht mehr für ihre rassistische Abschiebepolitik anzugreifen, wäre kontraproduktiv..."

    Man kann der Ampel viel vorwerfen, aber die Abschiebepolitik doch nicht rassistisch. Wo wird in Deutschland jemand aufgrund äußerlicher Merkmale oder negativer Fremdzuschreibungen abgeschoben?



    Sorry, unter solchen verbogenen Argumenten leidet der ganze Beitrag.

  • „Ich habe ganz viel Verständnis dafür, dass da Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen und unter verschiedenen Voraussetzungen auf die Straße gehen.„



    Der Artikel liest sich aber anders.

  • Danke!



    Wir alle sind rechts, rassistisch, kolonialistisch-ausbeuterisch ..., ob wir es wollen oder nicht. Es geht um überfällige und permanente Aufarbeitung, Reflexion, und Stärke. Gesellschaftlich, institutionell, und individuell.



    Sektkorken oder ,,Wir sind mehr!"-Rufe etc sind eher deplaziert und machen mich traurig, so geht es mir, als sogenannte Bio-Deutsche, die ihren Stammbaum aber weder vorzeigen kann noch will, auch.

    Ich möchte auch nicht von STEINmeier verinnahmt werden, der sich einfach nicht bei Murat Kurnaz entschuldigt und den ,,Asylkompromiss'' der Anfang 90er kürzlich guthieß.

    Warum ging Kohl 1992 nicht nach Mölln? Es waren ,,die Anderen", die da Betroffenen waren...



    www.dw.com/de/m%C3...ssismus/a-63839476

    NSU, Halle, Hanau (Hanau: es gibt keine Trauerbeflaggung an hesssischen Schulen oder bundesweit, zum Beispiel) ... . Da gibt es noch viel Aufarbeitung zu leisten; immer sind es ,,die Anderen", die betroffen sind.



    Das ist einfach Teil (Großteil!) unseres Problems!

    Statt Trauer, Fassungslosigkeit und Wut kommt jetzt ein Protest mit Spaß und Sektkorken? Soweit sind wir noch lange nicht und vielleicht gibt es auch gar keinen Anlass dafür.

    • @gleicher als verschieden:

      "Sektkorken oder ,,Wir sind mehr!"-Rufe etc sind eher deplaziert und machen mich traurig, so geht es mir, als sogenannte Bio-Deutsche, die ihren Stammbaum aber weder vorzeigen kann noch will, auch."

      Ich habe im November - nach der Abwahl der PIS-Regierung - an einer Veranstaltung mit polnischen Wissenschaftlern und Journalisten zur zukünftigen Entwicklung Polens teilgenommen.

      Stark beeindruckt hat mich der abschließende Beitrag eines polnischen Wissenschaftlers, der nach den Reparationsforderungen gegenüber Deutschland gefragt wurde.

      Ja, Aufarbeitung ist nötig. Und auch auf unsere "biodeutschen" Stammbäume sollten wir schauen. Der polnische Wissenschaftler aber verwies auf die DRINGLICHKEIT des Jahrs 2024 und plädierte dafür, GEMEINSAM (also deutsche, europäische, polnische Zivilgesellschaft/ demokratische Parteien), dass die autoritären Strukturen in Polen zurückgebaut werden, dass die EU demokratisch und liberal bleibt, dass in Deutschland die AfD gestoppt wird, dass man sich auf einen möglichen Wahlsieg von Trump vorbereitet, dass man für eine gerechte Friedenslösung im Russland-Krieg sorgt.

      Bei Gleicher als verschieden vermisse ich dieses Empfinden für die DRINGLICHKEIT.

      Nie wieder ist jetzt! und nicht erst nach Erforschung des Stammbaums der Familie und der Auseinandersetzung mit dem - hier behaupteten - Rassismus, den alle Deutschen (vermutlich sind nur die Biodeutschen gemeint) in sich tragen sollen.

      • @Plewka Jürgen:

        Was die Dringlichkeit betrifft, so habe ich versucht darzustellen, wie dringlich wir in Deutschland seit Jahrzehnten vor allem unseren ,,arischen Mythos" (nach L. Poliakov, ,,Der Arische Mythos. Zu den Quellen von Rassismus und Nationalismus'') aufarbeiten müssten!







        Darüber hinaus glaube ich nicht, dass nur ,,Biodeutsche" rassistisch sind und empfinde außerdem die EU-Politik nicht nur ,,demokratischund liberal", sondern auch rassistisch.

  • "Hört uns zu und haltet uns aus."

    Das muss jetzt also betont werden?



    Dass es "Euch" und "uns" gibt?

    Lasst "uns alle" mal eine Weile Schulter an Schulter stehen/sitzen auf den Demos, in Initiativen und in den Wahlkabinen 2024.

  • "Bei den begrüßenswerten Reaktionen auf die jüngste AfD-Recherche werden Erfahrungen von Mi­gran­t*in­nen nicht mitgedacht. Das schwächt die Proteste."

    SO ISSES.

    Danke für Ihre wichtigen Informationen!