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Versorgungsnot in der KindermedizinChronischer Alarm

Manuela Heim
Kommentar von Manuela Heim

In diesem Winter gibt es noch weniger Krankenhausbetten für Kinder als im letzten. Und es wird Jahre dauern, bis das System sich erholt.

In diesem Winter gibt es noch weniger Krankenhausbetten für Kinder als im letzten Foto: teutopress/imago

E s ist wieder Winter. Und genauso verlässlich wie das Kalenderereignis kommen die Hilferufe aus der Kinder- und Jugendmedizin. Wieder sind Kindermedikamente knapp – sogar besonders sensible wie das alternativlose Asthmamedikament Salbutamol. Wieder sind Krankenhausbetten knapp. In Pandemiezeiten war die Frage, ob die Versorgungssicherheit im Katastrophenfall gewährleistet ist. Jetzt ist die Frage: Hält das System einem ganz normalen Winter stand?

Der Bundesverband der Kinder- und Ju­gend­ärz­t*in­nen schlug am Dienstag Alarm. So schlimm wie letzten Winter sei es glücklicherweise zwar noch nicht. Damals mussten Eltern Dutzende Apotheken abtelefonieren nach einem Fläschchen Antibiotika. Die Praxen quollen über und Ärz­t*in­nen telefonierten Stunden nach einem freien Krankenhausbett. Und Rettungswagen gurkten dringend behandlungsbedürftige Kinder Dutzende Kilometer weit bis in andere Bundesländer.

In diesem Winter gibt es aber tatsächlich noch weniger Krankenhausbetten für Kinder als im letzten. In einem Berliner Krankenhaus, so erzählt es ein Sprecher des Bundesverbands der Kinder- und Jugendärzt*innen, musste eine ganze Station schließen, als zwei Krankenschwestern ihre Stelle kündigten.

Dass die Lage trotzdem zumindest nicht so akut ist wie vor einem Jahr, liegt offenbar allein daran, dass die Infektionswelle bislang kontinuierlich anwächst und nicht brutal über das Land hereinbricht. Ganz normaler Winter halt. Mehr darf nicht kommen, sagen die Kinderärzt*innen. Hoffentlich halten sich die Viren namens Influenza, Sars-CoV2 und RSV daran.

Die Ursachen für die Fragilität des Systems sind so vielfältig wie die Lösungsansätze. Erste Schritte für mehr europäische Hersteller und Bevorratung auf dem Medikamentenmarkt ist die Politik gegangen. An Entlastung von Kliniken und Arztpraxen wird noch gebastelt. Aber selbst mit diesen Anstrengungen wird es Jahre dauern, bis das System sich erholt. Bis dahin bleibt der Alarm in der Kindermedizin – zum Leidwesen von Kindern und Eltern – wohl chronisch.

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Manuela Heim
Gesundheit und Soziales
Redakteurin in der Inlandsredaktion, schreibt über Gesundheitsthemen und soziale (Un-) Gerechtigkeit.
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5 Kommentare

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  • Ein echtes Armutszeugnis in einem reichen Land, wie sich der Umgang mit der sich zuspitzenden Problematik darstellt, die lange bekannt und absolut vorhersehbar ist. Mit einer starken Lobby und einem medienwirksamen Aktivismus, der Infrastruktur lahmlegt oder prominente FürsprecherInnen hat, wäre die Lage vielleicht schon erheblich besser. Die Fachleute für unseren Nachwuchs beklagen die Missstände schon lange. Ein effizientes System einer funktionierenden Medizin in einem Sozialstaat mit dem Anspruch einer gerechten Daseinsvorsorge darf sich solche Schwachstellen mit Kollapsgefahr ganz sicher nicht leisten. Hunderte Millionen werden jetzt in die Verbesserung der Situation für andere Berufsgruppen im Gesundheitswesen gepumpt, ergo: geht doch!



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    taz-Archiv (!)2022 als Quelle



    "Mittlerweile mangelt es an Säften mit allen Wirkstoffen. Der Engpass war abzusehen. Was für ein Unternehmen eine Frage von Effizienz ist, kann für Kinder eine Frage von Leben und Tod sein."



    taz.de/Medizinisch...gsmangel/!5897530/



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    Molière wird zitiert:



    "Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun."



    Dank an die taz, dass sie auch hier dran bleiben wird!

  • Leider betrifft das jeglichen Bereich was Kinder und Jugendliche betrifft.

  • Das ist vor allem den rechtskonservativen Parteien egal. Ebenso wie Mangelernährung in Harz IV Familien. Oder auch Kitas, Schulen, Spielplätze und Schwimmbäder, die in den 32 Jahren unter Kohl und Merkel immer weiter verrottet sind. Wofür braucht man die schon?

    Hauptsache, die Kinder werden nicht durch Cannabis gefährdet!

    • @Sabine Dettmann:

      Die Gesundheitsminister, die die Privatisierung vorangetrieben haben, waren durchaus auch von der SPD. Herr Lauterbach, damals noch nicht Minister, auch vorne mit dabei. Da tun sich die Parteien nicht viel, egal aus welchem Lager. Es geht um Profit.



      In der Kinderheilkunde wird gerne und noch mehr als anderswo auf das gute Herz und die Ethik des medizinischen Personals gebaut. Denn natürlich lässt man ein Kind nicht im Stich, wenn es krank ist. So kann man auch Geld sparen, aber irgendwo ist das Ende der Fahnenstange.

  • Nicht zu vergessen, dass Kinderkliniken wegen Unrentabilitaet geschlossen werden. Das heißt erstens: weniger Betten für Kinder, und zweitens: weniger Plätze für die Facharztausbildung zum Pädiater.



    Man schließt Kliniken und wundert sich dann, dass die übrigen überfüllt sind.