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Einschnitte beim BürgergeldPasst zur Linie der Ampel

Tobias Schulze
Kommentar von Tobias Schulze

Die Sparpolitik der Koalition trifft mitnichten die vermeintlich oder tatsächlich Faulen. Sie bestraft sogar besonders fleißige Arme.

Lebensmittelverteilung n einer evangelischen Kirchengemeinde in Berlin Foto: Karsten Thielker

H ubertus Heil hat seinen Job so professionell wie unanständig erledigt. Die Einschnitte beim Bürgergeld, die in diesen Tagen ihren formellen Weg durch die Regierung gehen, machte der Arbeitsminister in der Bild öffentlich. Den Fokus legte er dabei gezielt auf die erste Hälfte seines Pakets: Wer Jobangebote ablehnt, soll künftig zwei Monate lang kein Geld mehr bekommen. „Jetzt geht es Faulpelzen an den Kragen“, schrieb die Zeitung in exakt dem Duktus, den sich der SPD-Politiker wohl erhofft hatte.

Denn auch wenn sich gegen die Maßnahme sachlich viel einwenden ließe – dass Sanktionen zum Beispiel immer auch die Falschen treffen und selbst die Richtigen in diesem Land nicht hungern sollten: Mit seiner Kommunikationsstrategie stellt Heil sicher, dass die Kürzungen ohne große Widerstände durchgehen werden. Das Faulpelz-Ressentiment trifft perfekt die Stimmung, die von rechts den ganzen Herbst über so hartnäckig wie erfolgreich gegen Arbeitslose geschürt wurde.

Hinten runter fällt derweil sowohl bei Heil als auch in der Berichterstattung der zweite Teil des Sparpakets: Die Ampel streicht den Bürgergeld-Bonus, den sie erst im Sommer eingeführt hat. 75 Euro zusätzlich pro Monat bekommen seitdem Menschen, die sich für den Arbeitsmarkt qualifizieren, indem sie zum Beispiel Sprachkurse oder Weiterbildungen absolvieren. Von „Maßnahmen, die für eine nachhaltige Integration von besonderer Bedeutung sind“, sprach die Regierung damals in der Gesetzesbegründung.

Mit gutem Grund verkündet sie die Abschaffung jetzt nur nebenbei. Die Streichung zeigt schließlich: Die Sparpolitik, zu der sich die Koalition nach dem Karlsruher Haushaltsurteil entschlossen hat, trifft im Bereich der Sozialpolitik mitnichten gezielt die vermeintlich oder tatsächlich Faulen. Sie trifft genauso ganz normale und sogar besonders fleißige Arme, bestraft gewünschtes Verhalten (fit machen für gute Jobs) genauso wie unerwünschtes (Arbeitsangebote ausschlagen). Traurigerweise handelt die Ampel damit sogar konsequent: Eine rote Linie verfolgt sie schließlich auch in den Sparplänen anderer Ressorts nicht.

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Tobias Schulze
Parlamentskorrespondent
Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.
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18 Kommentare

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  • taz: Wer Jobangebote ablehnt, soll künftig zwei Monate lang kein Geld mehr bekommen. „Jetzt geht es Faulpelzen an den Kragen“, schrieb die Zeitung (Bild) in exakt dem Duktus, den sich der SPD-Politiker wohl erhofft hatte.

    Die SPD weiß ganz genau, dass ihre Tage "gezählt" sind und dass die SPD bei der nächsten Bundestagswahl froh sein kann, wenn sie noch von 10 Prozent der wahlberechtigten Bürger gewählt wird. Die SPD hat in der Ampel nichts Vernünftiges abgeliefert und sich sogar noch von der neoliberalen FDP die Richtung vorschreiben lassen. Und jetzt möchte sich die SPD wohl schon einmal bei der Union "lieb Kind machen" und macht schon wieder einmal das, was die SPD seit der Agenda-2010 von Schröder nur noch macht - auf Millionen ihrer ehemaligen Wähler (also die Ärmsten dieser Gesellschaft) "einprügeln". Willy Brandt würde wohl in seinem Grab rotieren, wenn er wüsste was aus seiner sozialen SPD geworden ist.

  • Die Streichung (...) bestraft gewünschtes Verhalten (fit machen für gute Jobs) genauso wie unerwünschtes (Arbeitsangebote ausschlagen)."



    Was heißt denn hier "gewünschtes Verhalten"? Das Menschen die Bürgergeld bekommen sich je nach ihren Möglichkeiten als Gegenleistung "fit machen für gute Jobs" sollte selbstverständlich sein. So viel Anspruch zu haben und auch einzufordern ist doch genau der Dualismus aus fördern und fordern um den das SGB aufgebaut ist.



    Dafür einen Bonus zu zahlen war und ist der falsche Anreiz - der Bonus ist es doch hinterher qualifiziert zu sein für einen besseren/guten Job, der einem ein eigenes Auskommen und ein besseres Leben ermöglicht 🤷‍♂️



    Wenn schon, dann wäre als Ersatz eine Prämie zum tatsächlichen Antritt eines neuen Jobs zielführender - beispielsweise gestaffelt auf die ersten sechs Monatsgehälter.

  • Abgesehen von der Frage ob es klug ist das zu tun: Von einer Bestrafung zu reden, weil man kein extra Geld mehr für Selbstverständlichkeiten bekommt, wirkt etwas seltsam.

  • Vielleicht, weil das ein "Anreiz" ist. Alle anderen werden ja auch mit "Anreizen" bedacht. Und zwar reichlich. Z.B. die Wirtschaft. Und das kostet uns Milliarden.



    Nur bei den Armen gilt das nicht. Die ticken ja auch ganz anders.

  • Zum 1.1. 2024 wird das Bürgergeld um 61 Euro auf 563 Euro erhöht. Eine Erhöhung um 12%.



    Das ist die gute Nachricht für alle BürgergeldbezieherInnen .



    Es ist schon " interessant", dass dieser aktuelle Umstand im Artikel keine Erwähnung findet.



    Er widerspricht ja auch grundsätzlich der Behauptung, Kürzungen passen ins Konzept der Ampel.



    Heil argumentiert hierzu, dass Kürzungen für LeistungsbezieherInnen, die mehrfach eine Jobaufnahme abgelehnt haben, das Gesamtkonzept in Misskredit brächten.



    Es wurde ebenfalls klargestellt, dass es sich um eine sehr kleine Gruppe von LeistungsbezieherInnen handelt, die selbstverschuldet Arbeitsangebote nicht wahrnimmt.

  • "Die Streichung (...) bestraft gewünschtes Verhalten (fit machen für gute Jobs) genauso wie unerwünschtes (Arbeitsangebote ausschlagen)."



    Was heißt denn hier "gewünschtes Verhalten"? Das Menschen die Bürgergeld bekommen sich je nach ihren Möglichkeiten als Gegenleistung "fit machen für gute Jobs" sollte selbstverständlich sein. So viel Anspruch zu haben und auch einzufordern ist doch genau der Dualismus aus fördern und fordern um den das SGB aufgebaut ist.



    Dafür einen Bonus zu zahlen war und ist der falsche Anreiz - der Bonus ist es doch hinterher qualifiziert zu sein für einen besseren/guten Job, der einem ein eigenes Auskommen und ein besseres Leben ermöglicht 🤷‍♂️



    Wenn schon, dann wäre als Ersatz eine Prämie zum tatsächlichen Antritt eines neuen Jobs zielführender - beispielsweise gestaffelt auf die ersten sechs Monatsgehälter.

  • Warum sollte jemand 75 Euro Monat bekommen, wenn er sich qualifiziert? Er oder sie hat doch den ganzen Tag Zeit, da der Stress durch einen 8-Stunden-Arbeitstag entfällt.

    • @JanD:

      Aber er oder sie IST doch auf der Fortbildung und eben nicht "stressfrei" zu Hause. Zuhause sein kann doch auch Stress bedeuten! Es geht nicht um Stress sondern um Motivation bzw. den Mehrbedarf der unterwegs und zurück zur Fortbildung entsteht. Mehrausgaben für Kantinenessen, Getränke, Materialien FÜR die Fortbildung. Und die Organisation für evt. Kinderbetreuung. Aber da soll gespart werden?

      Es geht um Einsparungen. Symbolpolitik. Mich wundert es massiv, da gerade von der SPD die Sanktionierung zurückgefahren wurde. Wann war das? Vor 2 Jahren? Da wurde dem Verfassungsgericht gefolgt. Medien befürworteten das mehrheitlich. Jetzt arbeiten die üblichen Verdächtigen Medien wieder FÜR diese Stimmung - wegen der normalsten gesetzlichen Anpassung an Preissteigerungen des Bürgergeldes vs. Lohnabstand. Ich erinnere mich noch an die Berichterstattung wo Fallmanager*innen über fehlende Sanktionierungsmöglichkeiten geklagt hatten. Nach der Abschwächung vor kurzer Zeit. Es bleibt wie der Autor sagt. Die Rechten haben das Thema WIEDER aufgeheizt. Es ist so unwürdig.

    • @JanD:

      Was genau hat das mit Zeit zu tun? Übrigens wer sich qualifiziert um dadurch leichter einen Job zu finden, hat auch Kosten. Das scheint einigen zu entgehen.

    • @JanD:

      Stimmt, einfach zur Qualifizierung hinbeamen, zusätzlich benötigtes Material wächst auf Bäumen. Eigentlich könnte man da noch was vom Regelsatz abziehen.

      • @Wurstfinger Joe:

        Das "Material" wird gestellt oder vom Jobcenter bezahlt - das gilt für alle Fortbildungen. Auch die Fahrtkosten werden bezahlt.

      • @Wurstfinger Joe:

        Die Fahrkosten können über Antrag ganz normal erstattet werden.



        Jeder Arbeitnehmer bekommt für Qualifizierungsmaßnahmen auch keine extra Vergütung. Warum soll es beim Bürgergeld etwas extra geben, wenn eine Qualifizierung an sich schon eine Belohnung ist.

      • @Wurstfinger Joe:

        @ Wurstfinger Joe



        Sämtliche anfallenden Kosten für Materialien, Fahrtgeld, Unterbringung etc werden weiterhin erstattet.

        Viele Menschen opfern Zeit und Geld um sich neben ihren eigentlichen Beruf (Steuerzahler) noch fortzubilden.



        Gibt es keine triftigen Gründe (z.B. Gesundheit) sollten Jobsuche und Weiterqualifizierung für einen Bürgergeldempfänger eine Selbstverständlichkeit sein, die keiner weiteren monetären Anreize bedarf.

    • @JanD:

      Tja warum? In Dänemark, Schweden, Niederlande, Schweiz kenne ich aus der eV Tätigkeit deren Politik in dieser Angelegenheit. Dort werden Personen die sich bemühen gefördert, betreut, belohnt und der Erfolg sagt das 90% derer die man so behandelt nach mindestens 18 Monaten in Arbeit hne staatliche Hilfe leben. Dort werden nur die bestraft die sich verweigern. Hier bestraft man alle und gibt keine Anreize, deswegen sind über 70% der betroffenen nach 36-48 Monaten immer noch in sozial Leistung und vom Staat abhängig. Und kostet das Millionen und bringt nichts, die genannten Länder haben nicht einmal ein Viertel der Kosten die ein Betroffener hier verursacht nach 12 Monaten aber sie fordern und belohnen. Bestrafen hat nie Probleme gelöst, sie höchstens verschärft und neu erzeugt... Belohnung und Unterstützung am richtigen Ort hat Probleme gelöst.

    • @JanD:

      Jobangebote recherchieren, Bewerbungen schreiben, zu Terminen beim Jobcenter erscheinen, zu Bewerbungsgesprächen erscheinen, einen Job ausüben, der den Lebensunterhalt nicht deckt, weswegen er oder sie aufstockt, Kinder betreuen, pflegebedürftige Angehörige betreuen, ärztliche oder therapeutische Behandlungen wahrnehmen, an der Tafel Schlange stehen, Haushalt...

      "Zum Stichtag 1. August 2023 erhielten rund 5,5 Millionen Menschen Bürgergeld, rund 1,5 Millionen von ihnen waren nicht erwerbsfähige Kinder unter 15 Jahren. Von den verbleibenden rund 4 Millionen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten sind rund 20 Prozent erwerbstätig. Rund 40 Prozent der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten war für den Arbeitsmarkt verfügbar. Die übrigen rund 40 Prozent der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten standen dem Arbeitsmarkt nicht oder nur bedingt zur Verfügung, weil sie sich z.B. in Ausbildung bzw. Studium befanden, Kinder erzogen, Angehörige pflegten oder arbeitsunfähig waren."

      www.bmas.de/DE/Ser...d-faktencheck.html

    • @JanD:

      Waren da nicht sogar mal 150 € pro Monat angedacht gewesen ?

      Selbst wenn jetzt dieser Bonus komplett gestrichen wird ist nur eine Sache wichtig : Man ist durch das Absolvieren irgendwelcher "Qualifikationen" für maximal drei Jahre von Zwangsmaßnahmen geschützt und wird auch nicht vermittelt.

  • 6G
    697175 (Profil gelöscht)

    "Sozialpolitik" ? Mit der FDP ?

  • Es ist für erwachsene Menschen einfach das falsche Signal, dass sie eine Belohnung dafür brauchen, sich für den Arbeitsmarkt zu qualfizieren. Das sollte eigentlich der selbstverständliche Anspruch von jedem sein, der gesund ist, dass er von eigener Arbeit lebt.