Alter, Gefühle und Ageism: Darf man sich freuen, alt zu werden?
Keiner will alt aussehen und alle wollen sich jünger fühlen, als sie sind. Wohin führt dieses unaufgeklärte Verhältnis zum eigenen Alter?
A ls mein Vater starb, hatte er praktisch keine Falte im Gesicht, volles Haar und war geistig und auch körperlich noch top in Schuss. Na ja, nicht ganz: Herzinfarkt mit knapp 30. Als ich ihn in einem Nebenraum des Stimpfacher Rathauses aufgebahrt liegen sah, dachte ich: Also, das kann es echt nicht sein. Ich würde älter werden, als er wurde. Viel älter. Mindestens doppelt so alt.
Tja. Man schafft ja vieles nicht, was man sich so vornimmt – aber das habe ich geschafft. Und ich bin richtig glücklich darüber, alt zu werden. Allerdings merke ich, dass das bei anderen auf tiefes Misstrauen stößt. Die Vater-Story, schön und gut, aber das will er sich doch damit nur schönreden.
Ich sage dann: Was ist denn die Alternative zum Altwerden, ihr Honks? Es gibt nur eine, und das ist jung sterben. Das haben wir popkulturell als erstrebenswert verherrlicht („Hope I die before I get old“), aber im echten Leben kann es nicht so richtig geil sein, mit 27 an seiner Kotze zu ersticken wie Jimi.
Wollen die meisten ja auch nicht, aber alt sein schon gar nicht. Deshalb ziehen sie – wie übrigens auch in politischen Bereichen, in denen nur Realitätsnähe Fortschritt bringen könnte – eine illusionistische Vorstellung vor: nicht sterben und nicht alt werden.
Seufzend an den nächsten Geburtstag denken
Das passt ideal zur notorischen Widersprüchlichkeit von unsereins: Die Chancen in der Gesellschaft sind ungerecht verteilt, aber ich hab mir alles selbst erarbeitet. Selbstverständlich bin ich für autofreie Räume, aber doch nicht auf Kosten meines Parkplatzes vor der Tür. Schulklassen total divers, aber nicht bei meinen Kindern, sonst Privatschule.
Also muss man immer seufzend an seinen nächsten Geburtstag denken und larmoyant hadern, statt sich zu freuen, dass man wieder ein Jahr geschafft hat, während andere nicht so viel Glück hatten. Das ist emotional-kulturell so eingefräst, klar, aber intellektuell ziemlich erschütternd und auch zynisch.
Man darf auch auf keinen Fall so alt aussehen, wie man ist. Und man muss immer sagen, dass man sich ja gar nicht „so alt“ fühle. Ich bezweifle überhaupt nicht, dass Alterskrankheiten und nachlassende Funktionsfähigkeiten sich scheiße anfühlen, aber das könnte man mir als biologistisch auslegen. Der Punkt ist: Die Leute dürfen sich grundsätzlich nicht so alt fühlen, wie sie sind, weshalb sie sich einreden, sich jünger zu fühlen. Wie immer das gehen soll.
Es ist überhaupt verwunderlich, dass die Kategorie Galter („gefühltes Alter“) sich noch nicht medial oder gesetzlich etabliert hat. Vermutlich wird man bald schon beides nebeneinanderstellen, Alter und Galter, etwa bei Christian Lindner (44/17) oder Claudia Roth (68/21). In einem Zwischenschritt wird dann zunächst das Kreuzberger Bezirksamt durch klare Kriterien (Hautunreinheiten, Marihuana-Konsum, Grüne-Jugend-Positionen) das gefühlte Alter ermitteln.
Irgendwann wird durch eine Fortschrittskoalition durchgesetzt, dass jeder das Recht hat, sein Alter im Personalausweis selbstbestimmt durch sein gefühltes Galter zu ersetzen. Renten werden selbstverständlich trotzdem bezahlt, allerdings in „Kindergeld“ umbenannt.
Die weiterführende Frage ist nun, ob das politische und kulturelle Problem der Altersdiskriminierung letztlich auch daraus folgt, dass wir dieses unaufgeklärte Verhältnis zum eigenen Alter pflegen. Jedenfalls schickte mir in dieser Woche ein sich offenbar jünger fühlender Freund eine Textnachricht: Er schrieb, er rufe jetzt nicht mehr an, „weil ich nicht sicher bin, ob Du nicht schon schläfst (in Deinem Alter)“. Die SMS kam um 21.27 Uhr.
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