Asylverfahren in Drittstaaten: Scholz und Faeser skeptisch

Christian Dürr (FDP) und Hendrik Wüst (CDU) wollen Asylverfahren an die EU-Außengrenze verlagern. Auch NGOs sind empört.

Menschen in Rettungswesten in einem überfüllten Boot

Ein Boot mit Migranten vor der Küste Libyens im September Foto: Darrin Zammit Lupi/reuters

BERLIN taz | Über Migration und Asyl wird in Deutschland derzeit jeden Tag aufs Neue diskutiert. Nun, kurz vor dem Bund-Länder-Gipfel am 6. November, bei dem es auch um die Asylpolitik gehen soll, äußeren sich der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr mit einem neuen Vorschlag zu dem Thema.

„Irreguläre Migration muss beendet werden, damit wir denjenigen Menschen gerecht werden können, die wirklich unsere Hilfe brauchen, weil sie vor Krieg und Vertreibung fliehen“, sagte Wüst der Süddeutschen Zeitung und forderte, Asylverfahren außerhalb Europas zu prüfen. Ähnlich wie beim Flüchtlingsdeal zwischen der Türkei und der EU solle man auch mit anderen Ländern Nordafrikas Vereinbarungen treffen, damit die Verfahren dort stattfinden, mit „Schutzgewährung nach rechtsstaatlichen Regeln“. Ziel sei es, zu verhindern, dass Menschen, die keinen Schutzstatus erwarten können, erst gar nicht nach Deutschland einreisen.

Auch die FDP befürworte Asylverfahren in Drittstaaten, sagte FDP-Fraktionschef Christian Dürr der SZ. „Eine solche Regelung würde Klarheit über den Schutzstatus schaffen und verhindern, dass sich Menschen ohne Perspektive auf die gefährliche Route übers Mittelmeer begeben. Das ist auch eine Frage der Menschlichkeit.“

Faeser und Scholz sind skeptisch

Doch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hält wenig von Vorschlägen aus Union und FDP. Die von ihr geplanten Migrationsabkommen mit einzelnen Herkunftsstaaten von Asylbewerbern seien „zielführender“, sagte sie am Dienstag auf einer Reise in Marokko. Es sei aber gemeinsames Ziel der Koalition, „dass wir die Kommunen nachhaltig entlasten in Deutschland“.

In den vergangenen Jahren hatte Marokko wenig Interesse daran gezeigt, abgelehnte marokkanische Asylbewerber aus Deutschland zurückzunehmen. Faeser ist nun in das nordafrikanische Land gereist, um ein Abkommen auszuhandeln.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz erklärt in Accra, man müsse sich fragen, ob Drittstaaten bei solch einer Idee überhaupt kooperieren wollten. „Das wäre jedenfalls ein höflicher Rat“, fügte er hinzu. Scholz befindet sich derzeit auf einer Auslandsreise in Ghana.

Deutlicher wurde Oliver Kulikowski von Sea-Watch, das sich für die Rettung von Menschen im Mittelmeer einsetzt: „Besser als Wüst und Dürr kann man Rechtsruck nicht zusammenfassen. Wer so was vorschlägt, hat entweder keine Ahnung von der Realität an den Außengrenzen oder nutzt gezielt Begriffe wie ‚Menschlichkeit‘ um die Abschaffung des Rechts auf Asyl voranzutreiben.“ Tunesien etwa deportiere Flüchtende ohne Wasser in die Wüste, um sie dort sterben zulassen. „Welche Schutzgewährung und Rechtsstaatlichkeit erwarten Wüst und Dürr da?“, so Kulikowski zur taz.

Auch Pro Asyl übte deutliche Kritik. Der Vorstoß sei „faktisch ein systematischer Rückzug Deutschlands und Europas aus dem internationalen Flüchtlingsschutz“, sagte Sprecherin Wiebke Judith der taz. Solche Vorschläge seien rechtlich kaum umsetzbar und funktionierten auch in der Praxis meist nicht, wie etwa der EU-Türkei-Deal. „Das ist der falsche Ansatz in der Flüchtlingspolitik. Europa kann und sollte Menschen aufnehmen und wir sollten die Probleme innerhalb der EU lösen und sie nicht externalisieren.“

Die Menschen machten sich aus Gründen wie Verfolgung und Folter auf den Weg nach Europa und solche Vorschläge würde sie nicht davon abhalten, aus Drittstaaten weiterreisen zu wollen, sagte Judith. „Wir sehen zum Beispiel, dass die Menschen weiterhin aus der Türkei nach Griechenland fliehen. Solche Fluchtverhinderungsabkommen machen die Routen nur noch gefährlicher und damit tödlicher.“

Bündnis wendet sich gegen Asyl-Leistungskürzungen

Am Dienstag appellierte zudem ein Bündnis von 154 Organisationen aus Bund, Ländern und Kommunen für die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und kritisierte die derzeit von Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) geforderten Leistungskürzungen für Flüchtlinge. „Solange Geflüchtete bedürftig sind, haben sie Anspruch auf das sozialrechtlich definierte Existenzminimum“, heißt es in dem Appell.

Die Debatte suggeriere, dass die Geflüchtete die zentrale Ursache für die zweifellos vorhandenen gesellschaftlichen Missstände wie fehlender Wohnraum oder fehlende Schul- und Kitaplätze seien. „Wer unterschiedliche Gruppen gegeneinander ausspielt und die Menschenwürde, Artikel 1 unserer Verfassung, offen in Frage stellt, wendet sich gegen zentrale Errungenschaften unserer Demokratie und des Sozialstaates“, kritisierte das Bündnis. „Und wer das durch das Bundesverfassungsgericht bestätigte Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum missachtet, unterminiert den Rechtsstaat“. Das Asylbewerberleistungsgesetz müsse abgeschafft und die Betroffenen müssten in das reguläre Sozialleistungssystem einbezogen werden.

Vor 30 Jahren, am 1. November 1993, trat das Asylbewerberleistungsgesetz in Kraft. Dieses regelt, welche Sozialleistungen Asylbewerber, Geduldete und „vollziehbar Ausreisepflichtige“ sowie deren Familienangehörige erhalten.

„Schon die jetzige Ausgestaltung des Asylbewerberleistungsgesetzes ist verfassungsrechtlich unhaltbar und noch weitere diskriminierende Leistungskürzungen sind es erst recht“, kritisierte Wiebke Judith von Pro Asyl. „Politische Forderungen müssen sich wieder am Grundgesetz orientieren.“

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