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Israelischer DJ über Hamas-Terror„Es bricht mir das Herz“

DJ Moscoman ist ein israelischer Produzent und Labelbetreiber. Er ärgert sich über das Schweigen einiger Clubszenen zum Massaker in der Negev-Wüste.

Tatort nach dem barbarischen Angriff der Hamas auf das Supernova-Festival Foto: Ilia Yefimovich/picture alliance/dpa
Lars Fleischmann
Interview von Lars Fleischmann

taz: Moscoman, wie geht es Ihnen in der aktuellen Situation?

Moscoman: Nicht gut.

Haben Sie Freunde oder Verwandte, die direkt oder indirekt betroffen sind?

Das schiere Ausmaß dieses Terrorangriffs ist besser zu erkennen, wenn Sie Folgendes verstehen: Jeder in meinem Umfeld hat Freunde oder Familienangehörige, die getötet wurden oder noch vermisst werden!

Im Interview: Moscoman

, der seinen bürgerlichen Namen nicht veröffentlichen möchte,wuchs in Israel auf und wurde in den Nul­ler­jahren integraler Bestandteil der Elektronikszene um DJs und Produzenten wie Red Axes und Autarkic in Tel Aviv. 2015 gründete er das Label Disco Halal, das House näher mit der Kultur der Levante zusammenbrachte. Über Berlin landete er in London, wo er sich dem Label „Treisar“ zuwandte, dabei weiter für Disco Halal produziert.

Die Dimension der Gewalt ist noch mal drastischer als alles bisher Dagewesene. Können Sie den Zustand in Worte fassen?

Es ist wie 9/11 auf LSD: Das pure Böse trifft auf hellen Wahnsinn. Dieser Anschlag übertrifft jede andere Situation der letzten Jahre – und alle unsere Ängste.

Waren Sie selbst auch schon mal auf Festivals in der Negev-Wüste?Ich war schon auf vielen Festivals in der Negev-Wüste. Es ist einer der wenigen Orte in Israel, an denen man Festivals veranstalten kann; wohin Menschen Reisen in die Natur machen; wo man sich unter den Sternen verabredet. Das bricht mir das Herz. Noch mehr bricht es mir das Herz, dass andere Festivals und DJs nicht begreifen, dass dies auch sie hätte treffen können und wahrscheinlich auch bei zukünftigen Anschlägen treffen wird. Die Hamas und der islamistische Terror sind nicht auf Israel und Gaza beschränkt. Das war nicht nur ein Angriff auf israelische, jüdische Menschen, sondern auf die gesamte Festival-Crowd und alles, wofür sie steht.

2019 gab es die Boykott-Kampagne ‚DJsforPalestine‘ in den Sozialen Medien, an der sich DJs aus Großbritannien und den USA beteiligt haben. Diese wollten fortan keine Auftritte mehr in Israel absolvieren. Nun haben Sie kritisiert, dass diese Ecke in den letzten Tagen verstummt ist und kein Wort des Trosts für die Opfer der Attacke übrig hat. Sind Sie enttäuscht von der Dancefloor-Szene generell?

Ja, niemand macht ‚DJSFor­ISRAEL!‘ Wo bleibt die Unterstützung für die 260 Opfer der Dance-Music-Community, die abgeschlachtet wurden oder als Geiseln verschleppt sind? Ich urteile nicht über andere Menschen und ich kann nur hoffen, dass sie sich nie so fühlen werden, wie ich und viele andere es im Moment tun.

Gibt es DJs, die Ihnen in diesem Zusammenhang besonders negativ in Erinnerung geblieben sind?

Da gibt es viele. Und leider, so scheint es mir, lassen die meisten DJs nun Menschlichkeit und Anstand vermissen.

Vor allem angloamerikanische Online-Musikmagazine wie Resident Advisor haben bisher weitgehend geschwiegen. Eine Tatsache, die Sie mehrfach angeprangert haben. Warum, glauben Sie, wollen diese Medien nicht berichten?

Sie verfolgen schon länger ein bestimmtes Narrativ – das ist ihre freie Entscheidung. Ich kann mich nicht erinnern, dass es dort in der Vergangenheit je positive Berichterstattung über Israel gegeben hätte. Aber ich hoffe, sie verstehen, dass sie sich damit von einer glücklichen, kreativen und talentierten Gemeinschaft in Israel entfremden.

Ärgert es Sie, dass Menschen aus Europa und den USA auf Insta und X den Hamas-Angriff bejubeln und den Kriegszustand gar als Teil eines antikolonialen Ansatzes feiern, während sie selbst zu Hause in Sicherheit in ihren Betten liegen?

Es gibt ein Sprichwort: „Wenn die See ruhig ist, kann jeder ein Kapitän sein“. Ich wünsche niemandem, dass er sich auch nur für einen Moment so unsicher fühlen muss wie wir jetzt.

Mit Ihrem Label Disco Halal standen Sie für einen „Sound der Ko-Existenz“ zwischen Israel und der Levante; in den Reihen der israelischen DJs war die Kritik an der Siedlungs- und Gaza-Politik der Rechten stets sehr laut. Glauben Sie, dass sich das ändern wird?

Das sind Fragen, die zu einem späteren Zeitpunkt beantwortet werden! Erst mal müssen wir unsere Freunde, die von der Hamas entführt wurden, in Sicherheit bringen. Alles andere ist von nachgeordneter Bedeutung.

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1 Kommentar

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  • Auch hier ein ganz großes Dankeschön! Nach genau so einer Stimme habe ich die letzten Tage gesucht!

    Wieder ein Interview mit einer fürs Verständnis der Situation wichtigen und enorm kenntnisreichen Person, die in der gutbürgerlichen Presse als "nicht seriös genug" ausgegrenzt wird.

    Mehr solche schamlos subjektiven Interviews mit Leuten dicht am Herz des Geschehens, mit Leuten mit Insiderperspektiven bitte!



    Denn bei Krieg und Terror ist Objektivität in der Berichterstattung noch weniger möglich als sonst - zu traumatisch das Ganze, zu zynisch und widersprüchlich die Interessenlagen der "großen Politik".



    Aber man kann das durch eine Diversität der unmittelbarsten Expertisen "auf Straßenniveau" ausgleichen.