Hamburger Volksentscheid Energienetze: Volkseigentum ist auch kein Paradies

Vor zehn Jahren hat Hamburg per Volksentscheid beschlossen, die Energienetze zurückzukaufen. Für die Initiatoren könnte manches besser laufen.

Kraftwerk Tiefstack im Morgenlicht

Malerische CO2-Schleuder: Das Kraftwerk Tiefstack soll von Kohle auf Holz umgestellt werden Foto: Christian Charisius/dpa

HAMBURG taz | Heute vor zehn Jahren haben die Hamburger per Volksabstimmung entschieden, die Versorgungsnetze für Strom, Gas und Wärme zurückzukaufen. Damit sollte „eine sozial gerechte, klimaverträgliche und demokratisch kontrollierte Energieversorgung aus erneuerbaren Energien“ gewährleistet werden.

Dass das trotz des erfolgreichen Volksentscheids kein Selbstläufer ist, zeigte sich am Donnerstag am Beispiel des Heizkraftwerks Tiefstack, das der rot-grüne Senat von Kohle auf Holz umstellen will. BUND, Robin Wood, Nabu und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) demonstrierten in Sichtweite des Hamburger Rathauses gegen dieses Vorhaben. Zehn Jahre nach dem Erfolg von „Unser Hamburg – unser Netz“ stellt sich die Frage, wie viel der Volksentscheid bisher erreicht hat – nicht nur für den Klimaschutz, sondern auch in puncto Soziale Gerechtigkeit und demokratische Kontrolle.

Inzwischen tatsächlich abgeschlossen ist die keineswegs triviale Rücküberführung der Netze in die Öffentliche Hand: 2014 geschah das beim Stromnetz, 2018 beim Gasnetz, 2019 beim Fernwärmenetz von Vattenfall. Der Senat schuf dafür die Gesellschaften Stromnetz Hamburg (SNH), Gasnetz Hamburg (GNH) und 2022 die Hamburger Energiewerke (HENW) mit den beiden Versorgern Wärme Hamburg und Hamburg Energie. Wärme Hamburg gehört auch das Leitungsnetz.

Zu den Prämissen der Initiative gehörte, dass die Versorgung mit Strom und Wärme zu den Grundbedürfnissen der Bevölkerung gehöre und daher in die öffentliche Hand. Sie dürfe nicht in die Hände profitorientierter Konzerne gelegt werden. Dabei gibt es bei den Netzen für Strom und Gas, die allen Anbietern offen stehen müssen, kaum Spielraum: Die Netzentgelte sind gesetzlich reguliert und an die Investitionen gekoppelt. Ähnliches gilt für die Fernwärme.

Die Kundschaft muss hoffen

Spielraum gibt es beim Vertrieb, wo Hamburg Energie mit anderen Strom- und Gasanbietern konkurriert. Wärme Hamburg dagegen ist ein Monopolist, weil er über sein Netz selbst verfügt und der Senat Privathaushalten vorschreiben kann, sich anzuschließen. Hier kann der Kunde nur hoffen, dass Wärme Hamburg effizient wirtschaftet und der Senat keine größeren Überweisungen erwartet. Als Beispiel für soziales Handeln der Unternehmen nennt der Senat das Aussetzen von Energiesperren während der Pandemie.

Strom zum geringen und Wärme zum überwiegenden Teil produzieren die städtischen Gesellschaften selbst – sodass der Senat hier den Hebel für den Klimaschutz ansetzen kann und auch tut. So projektiert er etwa Speicher für überschüssigen Windstrom, Flusswärmepumpen und Geothermiebohrungen.

Umso enttäuschter sind daher etwa der BUND und Robin Wood, die zu den Gründern von „Unser Hamburg – unser Netz“ gehören, von dem, was der grüne Umweltsenator Jens Kerstan mit dem Kraftwerk vorhat: Statt Kohle Holz zu verbrennen, bringe den Klimaschutz nicht voran. „Unsere wichtigsten Kohlenstoffspeicher, die Wälder, dürfen nicht verheizt werden“, mahnte Jana Ballenthien von Robin Wood. Frauke Kohrs vom BUND forderte, „ehrliche Aussagen darüber, was technisch möglich ist und welche Entscheidungen auf rein wirtschaftlichen Überlegungen basieren“.

An dieser Stelle kritisiert Gilbert Siegler vom Hamburger Energie-Tisch (HET), dass es mit der versprochenen Transparenz und Beteiligung nicht weit her sei. Im HET sind Leute versammelt, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Umsetzung des Volksentscheids zu begleiten. Das Begleitgremium zu Tiefstack habe geheim getagt, sagt Siegler, „kein einziger Umweltverband war dabei“. Umweltsenator Kerstan poche darauf, dass er der Bürgerschaft, nicht den Verbänden verpflichtet sei. Die Energiegesellschaften als GmbHs zu organisieren, erschwere überdies eine demokratische Kontrolle.

Unnötiger Fernwärme-Tunnel unter der Elbe

Der HET wirft dem Senat auch vor, bei der Fernwärme eine unnötig teure Lösung gewählt zu haben, die einen Tunnel unter der Elbe nötig macht. Dessen Bau setze große Mengen CO2 frei und verlängere den Betrieb des 50 Jahre alten Kohlekraftwerks Wedel, das längst hätte abgeschaltet werden sollen.

Für die Zukunft müsse der Senat von der Vorstellung abrücken, Wärme aus der Müllverbrennung sei CO2-frei. „Das hilft dem Klima überhaupt nicht“, kritisiert der HET. Überdies gebiete der Volksentscheid, auch die drei Fernwärmenetze, die noch im Besitz von Eon verblieben seien, bei nächster Gelegenheit zurückzukaufen.

Bei dem bereits geschehenen Kauf für insgesamt rund zwei Milliarden Euro hatte die Initiative versprochen, dieser werde sich selbst finanzieren. Finanzsenator Andreas Dressel verweist auf Einnahmen in Höhe von 647 Millionen Euro seit dem Kauf der ersten Tranche von 25,1 Prozent 2012, also vor dem Volksentscheid. Da die Stadt die Unternehmen ja erst nach und nach vollständig übernommen hat, werden die Einnahmen im Jahresdurchschnitt noch steigen.

In einer früheren Version dieses Artikels stand, die Umweltverbände hätten vor dem Kohlekraftwerk Tiefstack demonstriert, sie taten das aber in Sichtweite des Rathauses.

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