Brände in Griechenland: Feuer, Hitze und Hetze

Rechte Hetzkampagne in Griechenland: Migranten seien schuld an den verheerenden Waldbränden. 18 Geflüchtete waren am Dienstag verbrannt.

Bäume stehen in Flammen

Die Feuerfront in der Region Evros breitet sich immer weiter aus Foto: Achilleas Chiras / ap

ATHEN taz | Ihr Anblick war erschreckend. Pavlos Pavlidis, Gerichtsmediziner, untersuchte die 18 verkohlten menschlichen Überreste just an jener Stelle, wo sie am Dienstag gefunden worden waren: im Naturwald von Dadia in der Region Evros im äußersten Nordosten von Griechenland, an der Festlandsgrenze zur Türkei.

Die Leichen, alles Männer, darunter zwei Minderjährige, waren Geflüchtete. Sie befanden sich auf dem Weg von der Grenze ins Landesinnere von Griechenland, bis sie im Dadiawald, einer Durchgangsstation für viele Flüchtlinge und Migranten, einen grausamen Tod starben. Die Schutzsuchenden hatten sich in einer Hütte im Wald versteckt, um nicht der Polizei in die Hände zu fallen. Doch dann erfasste sie die gewaltige Feuerwalze.

In ihrer Wut und Verzweiflung betreiben die Griechen derweil eine wilde Blüten treibende Ursachenforschung. Geradezu menschenverachtend sind mehr oder minder direkte Andeutungen von Politikern und Kommentatoren, wonach ausgerechnet über die Türkei nach Hellas gelangte Flüchtlinge und Migranten die Waldbrände legen würden. Ihrem Narrativ über den Migranten als Brandstifter im Rahmen eines mutmaßlichen Hybridkrieges schenken nicht wenige Griechen Glauben, offen rassistische Anfeindungen und sogar Hetze gegen Flüchtlinge inklusive.

Hohe Wellen schlägt ein Video, das am Dienstag im Internet die Runde machte. Ein griechisch sprechender Mann behauptet darauf, Migranten aus einem brennenden Gebiet „eingesammelt“ zu haben. Er ist mit den Worten zu hören: „Ich habe ‚25 Stück‘ geladen“, gemeint sind Migranten, wobei er auf einen Autoanhänger zeigt. „Sie werden uns verbrennen. Sie werden uns verbrennen!“, ätzt er und öffnet die Tür. Im Innenraum sind einige Migranten zu sehen. „Der ganze Berg ist voll von ihnen“, poltert er dann, um schließlich zu einem Pogrom aufzurufen. „Organisiert euch, um sie zusammenzutreiben!“, sagt er in seiner Tirade.

Unterdessen nahm die griechische Polizei (Elas) drei Personen in der Sache fest. Der Besitzer des Fahrzeugs, ein ausländischer Staatsangehöriger (laut griechischen Medienberichten ein Albaner, Anm.), der auf dem Video zu sehen ist, wie er einen Anhänger zieht, in dem 13 illegale Einwanderer syrischer und pakistanischer Herkunft illegal festgehalten wurden, wurde gefunden, festgenommen und im Sicherheitsbereich von Alexandroupolis inhaftiert.

Der Vorfall ereignete sich am Dienstagnachmittag (22. 8. 2023) in der Nähe von Alexandroupolis. Neben dem Besitzer des Fahrzeugs wurden auch zwei griechische Staatsangehörige festgenommen, die ihm mutmaßlich geholfen haben sollen. Die „festgenommenen Personen werden der griechischen Justiz übergeben“, hieß es in einer offiziellen Pressemitteilung der griechischen Polizei.

Griechenland erlebt einen Katastrophensommer

Die Kommunistische Partei (KKE) legte derweil den Finger in die Wunde. Der Tod „entwurzelter Mitmenschen“ im Dadiawald sei „ein schreckliches Verbrechen“, wie die KKE in ungewöhnlich scharfem Ton anprangerte. Die verkohlten Leichen in Evros reihten sich „in die lange Liste von Flüchtlingen und Migranten“ ein, die „auf ihrem Weg der Entwurzelung ihr Leben verlieren, weil sie gezwungen sind, die gefährlichsten Fluchtrouten zu nehmen“.

Die „explosive Mischung aus einwanderungsfeindlicher Politik und dem völligen Fehlen von Präventions- und Brandverhütungsplänen“ bringe „immer neue Tragödien“ hervor. Die Verantwortung der Regierung dafür sei, so die KKE, „kriminell“.

Ob im zentralgriechischen Böotien, auf der Urlaubsinsel Kythnos, der agrarisch geprägten Halbinsel Euböa, im Gewerbegebiet im westattischen Aspropyrgos oder auf dem dicht bewaldeten Berg Parnitha, der (bis zuletzt) als „grüne Lunge“ der nahe gelegenen Betonwüste Athen fungierte: Griechenland erlebt erneut einen Katastrophensommer.

Laut dem Europäischen Informationssystem für Waldbrände (EFFIS) sind in ganz Griechenland dieses Jahr bis zum Stichtag 19. August kumulativ 63.222 Hektar verbrannt. Fest steht: weitere 43.500 Hektar sind vom vorigen Samstag bis Montag dazugekommen, davon 38.000 Hektar verbrannte Erde alleine im aktuell ultimativen Feuerhotspot Evros. Dabei ist der verheerende Dienstag dieser Woche mit seinen vielen großflächigen Waldbränden noch gar nicht berücksichtigt.

Feuerfront in Evros breitet sich rasant aus

Dies ist bereits jetzt landesweit etwa dreimal mehr als im Schnitt der Gesamtjahre 2006 bis 2022, als laut EFFIS im Schnitt 43.490 Hektar pro Jahr in Hellas verbrannten. Dabei hatte die Regierung in Athen unter dem konservativen Premier Kyriakos Mitsotakis noch Mitte Juli öffentlich versichert, man sei „bestens auf die diesjährige Waldbrandsaison vorbereitet“.

Genau das hatten Premier Kyriakis Mitsotakis und Co. hoch und heilig schon zu Beginn des Katastrophensommers 2021 versprochen. Abermals zeigt sich: alles heiße Luft. Der griechische Feuerhorror will kein Ende nehmen. Meteorologen sagen bis Freitag konstant heißes und trockenes Wetter in Griechenland bei zugleich starken Winden voraus. Die Brandgefahr halte daher zumindest bis Ende der Woche an.

Besonders tragisch ist die Lage gegenwärtig an der Feuerfront in der Region Evros. Bereits seit Samstag brennen hier die Wälder. Die Feuerfront, die sich im Rekordtempo bis in die westlich gelegene Region Rhodopen ausgebreitet hat, wies am Dienstag eine Länge von sagenhaften einhundert Kilometern auf.

Die Flammen näherten sich der 75.000 Einwohner zählenden Hafenstadt Alexandroupolis, mehrere Ortschaften im Umkreis mussten evakuiert werden. In der Nacht zum Dienstag sahen sich die Behörden dazu gezwungen, die dortige Universitätsklinik hastig zu räumen. Mehr als 100 Patienten wurden mit Krankenwagen und einem Fährschiff in Kliniken der 160 Kilometer westlich gelegenen Hafenstadt Kavala gebracht. Auch zwei Altersheime wurden geräumt.

Etliche Tierarten sind bedroht

In Böotien war am Montag ein Schäfer ums Leben gekommen. Er hatte versucht, seine Tiere vor einem Feuer zu retten. Mehrere Nonnen konnten in letzter Minute aus einem Kloster gerettet werden. Dutzende Häuser, Betriebsstätten und Lager fielen den Feuern bisher zum Opfer. Am Mittwochmorgen näherte sich ein am Dienstag ausgebrochenes Großfeuer am Fuße des Berges Parnitha dem nördlichen Athener Vorort Acharnes mit seinen gut 100.000 Einwohnern. Er liegt nur etwa 12 Kilometer von der Akropolis entfernt. 150 Personen aus drei Seniorenheimen mussten dort evakuiert werden.

Auch der durch die Waldbrände verursachte ökologische Schaden ist enorm, nicht nur wegen der massiv in die Luft geratenen toxischen Gase bei ausgebrochenen Bränden in Industrieanlagen im Gewerbegebiet Aspropyrgos nahe Athen. Der Dadiawald in Evros ist die Heimat von Raubvögeln und der einzige Wald in Europa, in dem alle vier europäischen Geierarten leb(t)en. Das geschützte Gebiet war das Zuhause von 36 Säugetierarten, 40 Reptilien- und Amphibienarten sowie 219 Vogelarten.

In den Augen der schärfsten Regierungskritiker ist wiederum der in Sachen multiple Feuerkatastrophen seltsam apathische Mitsotakis schlicht ein Versager. Fakt ist, dass in der Ära Mitsotakis Jahr für Jahr etwa doppelt so viel Fläche desaströsen Waldbränden zum Opfer fallen, wie es im Durchschnitt der vorigen zehn Jahre der Fall war.

Für Verstörung sorgt Mitsotakis selbst: Während in Evros und anderswo bereits Waldbrände wüteten, ließ sich der unbeirrt weiter urlaubende Mitsotakis mit seiner Tochter Daphne breit grinsend auf einer knapp 2.500 Meter hohen Bergspitze im fernen Kreta für seinen Instagram-Account fotografieren. Die Bildunterzeile lautete: „Wir erobern Gipfel!“ Der besagte Gipfel ist wie das ganze Areal gänzlich baumlos.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Mit der taz Bewegung bleibst Du auf dem Laufenden über Demos, Diskussionen und Aktionen gegen rechts.

Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.