Ende der russischen Gaslieferungen: Und es geht doch

Am 31. August 2022 stoppte Russland die Lieferung nach Deutschland endgültig. An Gas fehlte es hier nicht – auch dank des Krisenmanagements.

Kanzler vor Turbine

Der Kanzler vor der Turbine für Nordstream 1 in Mülheim an der Ruhr Foto: Christoph Reichwein/imago

BERLIN taz | Erst war es nur eine Turbine, die angeblich fehlte. Deshalb reduzierte Russland die Gaslieferungen durch die Pipeline Nordstream 1 erheblich. Das war im Juli 2022 – und der Auftakt eines Armdrückens zwischen Russland und dem Westen, vor allem mit Deutschland. Mehr als die Hälfte des hierzulande verbrauchten Erdgases kam zu diesem Zeitpunkt über die Pipeline am Ostseeort Lubmin ins Land. Ein paar Meter weiter wartete schon eine zweite Röhre, Nordstream 2, darauf, den Betrieb zu starten. Vergeblich.

Siemens hatte die besagte Turbine bereits aus Kanada nach Deutschland geholt, das Gas sollte eigentlich bald wieder fließen. Die Lieferungen hatten im Übrigen nur für einige Tage wegen routinemäßiger Wartungsarbeiten eingestellt werden sollen. Kanzler Olaf Scholz (SPD) besuchte die Turbine sogar plakativ, um darauf hinzuweisen, dass die Turbine lieferbereit sei. Am 31. August war aber endgültig Schluss mit dem jahrzehntelangen Zustrom von billigem Erdgas aus Putins Reich. Doch die Bundesregierung hatte sich auf den Ernstfall eingestellt. Unvergessen bleibt die Reise von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nach Katar im März 2022, um dort Flüssiggas einzukaufen. Ausgerechnet das wegen Menschenrechtsverletzungen kritisierte Ölreich sollte Deutschland über den Winter helfen. Habecks Diener vor dem katarischen Energieminister wirkte wie Bittstellerei.

Die Angst ums Gas hatte viele Folgen. Schon mit der ersten russischen Drohung eines Lieferboykotts im Frühjahr stieg der Gaspreis rasant auf 230 Euro pro Megawattstunde an, also 23 Cent pro Kilowattstunde. Sogar 100 Euro mehr verlangten Händler Ende August. Am Jahresende waren es immer noch 76 Euro. Derzeit liegt der Preis mit etwa 36 Euro immer noch doppelt so hoch wie im Jahr 2019.

Die Bundesnetzagentur bereitete einen Notfallplan für eine Gasmangellage vor. Wäre Deutschland das Erdgas im vergangenen Winter ausgegangen, hätten sich zunächst die großen Industriebetriebe einschränken müssen. Sparappelle richteten sich an die Wirtschaft und private Haushalte. Denn die Gasspeicher waren Anfang 2022 ungewöhnlich leer – und es war nicht klar, ob sie bis zum Beginn der Heizsaison gefüllt werden könnten.

Gasspeicher derzeit fast gefüllt

Doch auch das gelang, unter anderem mit Flüssiggaslieferungen aus den USA und per Pipeline eingeführtes Gas aus Norwegen, Belgien und Holland. Und auch die Gaskunden zogen mit. Im Oktober 2022 meldete die Netzagentur, dass der Verbrauch im Vergleich zu den Vorjahren um 27 Prozent gesunken sei. Die Angst vor einer Knappheit bestand aber weiter. Denn selbst prall gefüllte Speicher reichen in einem harten Winter gerade einmal für zwei Monate. Aktuell meldet die Netzagentur bereits weit vor dem Beginn der kalten Jahreszeit einen Füllstand von 94 Prozent. Die Chancen stehen damit gut, dass die Betriebe auch im kommenden Winter arbeiten und die Haushalte heizen können.

Habecks Diener vor dem katarischen Energieminister wirkte wie Bittstellerei

Zwischenzeitlich bereitete die Bundesregierung auch den Bau von Terminals für Flüssiggas vor, die es bis dahin nur im europäischen Ausland gab. In Wilhelmshaven wurde schon im Dezember 2022 ein Terminal eingeweiht. Kurz zuvor war in Lubmin ein Spezialschiff angelegt, das das tiefgekühlte Flüssiggas wieder auftaut, damit es ins hiesige Netz eingespeist werden kann. Die verbesserte Versorgung wirkte sich prompt auf den Gaspreis aus. Die Energiekrise hatte 2022 auch die Inflationsraten in die Höhe getrieben. Die Verbraucherpreise stiegen in diesen Monaten um gut sechs Prozent, dann um sieben und in der Spitze um mehr als acht Prozent an.

Die enorme Teuerung war eine der wichtigsten Herausforderungen, die die steigenden Energiepreise im vergangenen Jahr mit sich brachten. Einige Produkte, vor allem Lebensmittel und Energie, verteuerten sich um über 20 Prozent. Für den Liter Diesel wurden schon im Sommer an der Tankstelle mehr als 2,30 Euro berechnet, so viel wie nie zuvor.

Die Bundesregierung reagierte darauf mit der Energiepreispauschale. Jeder Erwerbstätige in Deutschland bekam 300 Euro als Ausgleich für die gestiegenen Energiekosten. Die Pauschale musste aber versteuert werden, Rentner gingen zunächst leer aus. Erst im laufenden Jahr entschied sich die Bundesregierung, auch ihnen die 300 Euro auszuzahlen. Studierende bekamen 200 Euro, allerdings erst im Spätwinter dieses Jahres.

Preishammer durch Energiekosten

Dann gab es auch noch die Strom- und Gaspreisbremse, die in diesem Jahr die Ausgaben der Haushalte dämpfen soll. Für 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs wird der Strompreis auf 40 Cent pro Kilowattstunde gedeckelt. Beim Gas sind es 13 Cent, bei Fernwärme 9,5 Cent. Nur für den darüber hinaus gehenden Verbrauch wird der tatsächliche Marktpreis fällig.

Die große Unbekannte ist derzeit die weitere Preisentwicklung bei Energie. Die Bundesregierung hat dazu kürzlich eine Anfrage der Unionsfraktion im Bundestag beantwortet. Danach sinkt der Preis für Erdgas von gut 16 Cent in diesem Jahr auf unter 13 Cent im Jahr 2030. Bis Mitte des kommenden Jahrzehnts soll er dann wieder auf über 14 Cent steigen. Beim Strom nimmt die Bundesregierung zunächst einen Rückgang von knapp 42 Cent auf 38 Cent, dann wieder einen leichten Anstieg in Richtung 39 Cent an.

Habecks Pressestelle weist darauf hin, dass die Zahlen keine Prognose des Hauses, sondern nur Bestandteil einer früheren Wirtschaftlichkeitsberechnung für Wärmepumpen seien. Dafür spricht auch, dass der Gaspreis aktuell mit 13 Cent schon deutlich unter der Projektion liegt. An einer Prognose werde gearbeitet, heißt es weiter. Angesichts der Erfahrungen aus den vergangenen Jahren dürfte die Spannweite der Vorhersage beträchtlich sein. Aufgrund neuer möglicher Krisen rund um den Globus sind neue Preissprünge nicht auszuschließen.

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