Ermittlungen gegen Rammstein-Sänger: Im Zweifel für Lindemann
Juristisch muss der Rammstein-Sänger wohl nichts mehr befürchten. Die Staatsanwaltschaft hätte länger auf Berichte von Betroffenen warten müssen, bemängeln Kritiker.
D ie Staatsanwaltschaft Berlin hat ihre Ermittlungen gegen Till Lindemann eingestellt. Straftaten an weiblichen Fans seien bislang nicht ausreichend beweisbar, vor allem weil sich keine Betroffenen bei der Polizei gemeldet haben.
Es ist zwar gut nachvollziehbar, dass Menschen nach einem sexuellen Übergriff nicht die Kraft haben, Anzeige zu erstatten. Wenn es um eine Vergewaltigung unter dem Einfluss von K.-o.-Tropfen geht, sollten zudem schnell Beweise gesichert werden. K.-o.-Tropfen sind nur wenige Stunden nachweisbar. Spermaspuren sollte man nicht wegduschen, auch wenn das Bedürfnis danach übermächtig ist. Solche Besonnenheit ist in einer aufgewühlten Situation eher die Ausnahme als die Regel.
Im Fall Lindemann ist in den Medien allerdings ein quasi industrielles System der Groupie-Benutzung geschildert worden. Wohl bei jedem Konzert seien Lindemann junge Frauen für After-Show-Partys zugeführt worden. Sollten diese regelmäßig mit K.-o.-Tropfen oder Alkohol außer Gefecht gesetzt worden sein, müsste es hunderte oder tausende Betroffene geben. Dass selbst nach den Medienberichten keine einzige Frau zur Polizei ging, könnte ein Indiz dafür sein, dass dieses Hilflosmachen eben doch nicht zum Lindemann-System gehörte.
Manche finden, die Staatsanwaltschaft hätte länger warten müssen. Umgekehrt könnte man die Einstellung der Ermittlungen aber auch als Hilferuf der Staatsanwaltschaft sehen: „Meldet euch endlich.“ Schließlich können die Ermittlungen gegen Lindemann jederzeit wieder aufgenommen werden.
Wichtig ist es aber auch zu differenzieren, ob überhaupt eine Straftat vorlag. Die Vergewaltigung nach gezielter Gabe von K.-o.-Tropfen oder Alkohol war der Kern der strafrechtlichen Vorwürfe gegen Lindemann. Dagegen ist es im Prinzip nicht strafbar, dass dieser seine Attraktivität als Star ausnutzte. Einvernehmlicher Sex mit erwachsenen Verehrerinnen ist legal, selbst in organisierter Form mit einem weiblichen Ober-Fan als selbst ernannter Casting-Direktorin.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autoritäre Auswüchse beim BSW
Lenin lässt grüßen
Prozess zum Messerangriff in England
Schauriger Triumph für Rechte
BSW in Thüringen auf Koalitionskurs
Wagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los
Rückgabe von Kulturgütern
Nofretete will zurück nach Hause
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument