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Ukrainischer Pazifist angeklagtWegen „Störung der Mobilisierung“

Der Jurist Juri Scheljaschenko soll pro-russische Propaganda verbreitet haben. Er weist das zurück und klagt gegen Paragraf 436 im Strafgesetzbuch.

Der Pazifist Juri Scheljaschenko verweigert den Dienst an der Waffe Foto: WorldBeyondWar

Ein 110 Seiten umfassendes Dokument hat Juri Scheljaschenko, Sekretär der „Ukrainischen Pazifistischen Bewegung“, am Montagmorgen beim Ukrainischen Verfassungsgericht in Kyjiw eingereicht. Darin klagt der Pazifist gegen­ Paragraf 436 Absatz 2 des Strafgesetzbuchs. Ihm drohen mehrere Jahre Haft auf Grundlage dieses Paragrafen.

Am 3. August dieses Jahres waren die Wohnräume des Juristen durchsucht und ein Computer und ein Mobiltelefon beschlagnahmt worden. Nun hat der Inlandsgeheimdienst SBU ihn zu mehreren Verhören geladen. Dem vorausgegangen war ein Gerichtsbeschluss vom 5. Juli, nach dem der Pazifist „Informationen antiukrainischen Charakters verbreitet“ haben soll. Über Telegram habe er öffentlich zum Widerstand gegen die Mobilisierung aufgerufen.

Außerdem habe er staatliche Organe aufgefordert, das Ausreiseverbot für Männer zwischen 18 und 60 Jahren aufzuheben. Das könne die Mobilisierung stören und somit die Verteidigungsfähigkeit des Landes beeinträchtigen. Scheljaschenko verbreite zudem “russische propagandistische Narrative“ und verurteile die ukrainischen Bitten an europäische Länder nach weiteren Waffen, da dies, so seine Meinung, zur Eskalation des Krieges beitrage.

Damit verletze der 42-Jährige Paragraf 114 Absatz 1 des Strafgesetzbuches, der eine Störung der ukrainischen Streitkräfte unter Strafe stellt. Zudem verstoße er gegen Paragraf 436 Absatz 2, der eine Reihe von Handlungen als rechtswidrig einstuft, die die „bewaffnete Aggression der Russischen Föderation gegen die Ukraine, die 2014 begann, rechtfertigen, als rechtmäßig anerkennen oder leugnen“. Auch den Krieg gegen die Ukraine als Bürgerkrieg zu bezeichnen, ist strafbar. Bei einer Verurteilung drohen bis zu drei Jahre Haft, in besonders schweren Fällen gar fünf Jahre.

Scheljaschenko verwehrt sich gegen den Vorwurf, er handle im Interesse Russlands und verharmlose die russische Aggression. In einem Facebook-Post vom Sonntag erklärte er, dass ihm das Arbeiten in Kyjiw aktuell schwerfalle, „wegen Luftangriffen von Russlands kriminellem Krieg gegen die Ukraine“.

Er ist nicht der Einzige in der Ukraine, der öffentlich zu Frieden aufruft. Der griechisch-katholische Priester Roman Kurach hielt am Sonntag in der Kathedrale von Uschgorod eine pazifistische Predigt. „Wir bitten Gott um ein Wunder. Wir bitten ihn, diese beiden großen Völker – die Ukraine und Russland – zu versöhnen.“ Er hoffe, dass die beiden Völker eines Tages „gemeinsam in den Himmel kommen, sich umarmen und den Herrn in alle Ewigkeit für viele und gute Jahre verherrlichen“. Die ukrainische Journalistin Daria Sipigina gab sich auf Facebook „geschockt über diese Predigt“. „Sie können doch nicht sagen, dass die Ukraine und Russland Brudervölker sind.“

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20 Kommentare

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  • Deutsche Welle: Kriegsdienstverweigerer in Russland und der Ukraine (Stand Juni 2023)



    www.youtube.com/watch?v=Ro8I6ZB-ry8



    Man beachte die Verweigerungsgründe, die Rudi Friedrich ab Minute 4:00 beispielhaft beschreibt. Bei ukrainischen und russischen Verweigerern gleichermaßen verbreitet ist das Motiv, dass man Verwandte und Freunde auf der anderen Seite hat und die nicht totschießen will.

  • „Wir bitten Gott um ein Wunder. Wir bitten ihn, diese beiden großen Völker – die Ukraine und Russland – zu versöhnen.“



    Und Orangensaft heilt Krebs.

  • Nur Pazifismus hilft gegen Krieg. Stell die vor, es ist Krieg, und keiner geht hin! Aber leider sind Menschen Herdentiere, die sich von ihren meist egoistischen Leittieren leicht gegeneinander aufhetzen lassen. Zusammenarbeit hat die Menschen zum Herrscher der Welt gemacht. Nicht Streit und Spaltung. Aufwachen: Wir sind eine Menschheit, die nur auf diesem einen Planeten leben kann. Intelligent sind wir auch, angeblich..

    • @Matt Gekachelt:

      Was für ein ekelhaft taktloser Kommentar in Anbetracht der Tatsache, dass die Ukraine überfallen worden ist.

      Ich wünsche von Herzen einen Einbruch ins eigene Haus und dann jemanden der sagt "stell dir vor es wäre Einbruch und niemand geht hin"

      Der Krieg kam zu den Menschen, nicht die Menschen zum Krieg.

    • @Matt Gekachelt:

      Pazifismus in allen Ehren.

      Aber: "Stell die vor, es ist Krieg, und keiner geht hin!"

      Wie hätten die Ukrainerinnen und Ukrainer das anstellen sollen?

      Sie waren ja schon da und der Krieg kam zu ihnen.

      • @Jim Hawkins:

        Mitmachen tun viele Ukrainer aber schon, auch mit Inbrunst und aus Überzeugung. Aber wie man sieht nicht alle. Das ist ermutigend.



        Die Idee, dass Kriege nicht mehr stattfinden, weil keiner hingeht, ist unrealistisch. Es gibt immer welche, die mitmachen, sei es aus Überzeugung, Verblendung oder (meistens) gezwungen. Um so wichtiger ist, sich klarzumachen, dass niemand das tun (müssen) sollte und jeder das Recht haben müsste, nur aus dem Grund wegzugehen, um nicht beim Krieg mitzumachen. Keiner darf gezwungen werden, für ein Land oder dessen Territorium Blut zu vergießen, weder eigenes noch fremdes.

        • @Günter Picart:

          "Keiner darf gezwungen werden, für ein Land oder dessen Territorium Blut zu vergießen, weder eigenes noch fremdes."

          Die wirksamste Friedensmaßnahme ist das Vergießen des Blutes faschistischer Tyrannen, die einen Überfall auf ihr Nachbarland vorbereiten.

          Georg Elser wusste das. Sie offenbar nicht.

          • @Ajuga:

            Also der Vergleich hinkt nicht nur, sondern kann gar nicht laufen. Elser hat im Alleingang versucht, Hitler zu töten, und zwar freiwillig und aus eigenem Antrieb, nicht als Teil eines Militär- oder Geheimdienstapparats oder auch nur einer Widerstandsgruppe.



            Mal ganz abgesehen davon, dass schon der Vergleich von Putin und Hitler im Grunde unzulässig ist: Hier geht es nicht um Tyrannenmord, den man auch als Kriegsgegner befürworten kann, sondern um das Recht auf Kriegsdienstverweigerung und die Verwerflichkeit, die darin liegt, jemanden deswegen zu bestrafen oder zum schlechten Patrioten zu erklären.



            Jeder Einzelne ist verantwortlich dafür, ob er töten will oder nicht. Das Interview mit Aljoscha aus der Zeit der Belagerung von Mariupol sollte man sich immer wieder anhören.



            www.deutschlandfun...-60c56458-100.html

  • Es sind schlechte Zeiten, wenn Pazifisten Ihre Meinung nicht mehr veröffentlichen dürfen.



    Es wirft auch ein "interessantes" Licht auf den Staat Ukraine.



    Scheljaschenko spricht sich ja offensichtlich gegen die Agression Putins aus, er setzt sich aber für Frieden und nicht den Krieg ein.



    Die Propagandamaschine läuft auf beiden Seiten der Front .



    Die ungezählten Toten sprechen nicht für sich, sie werden verschwiegen.



    Keine Seite macht realistische Angaben über die Gefallenen, das scheint Vielen Anlass genug, dieses "Problem" zu ignorieren.



    Uns geht es gut.



    In der Ukraine haben Menschen, die sich für eine friedliche Lösung des Konflikts einsetzen mit Anfeindungen und einem Verfahren zu rechnen.



    Hierzulande bleibt es bei Anfeindungen und Zensur.

    • @Philippo1000:

      "In der Ukraine haben Menschen, die sich für eine friedliche Lösung des Konflikts einsetzen mit Anfeindungen und einem Verfahren zu rechnen."

      Und in Russland wandern sie im Schnellverfahren für 15 Jahre in eine Sklavenfabrik und müssen Ladas bauen.

      Kein Wort von Ihnen dazu. Mir scheint, mit Ihrem "Pazifismus" ist es nicht sehr weit her.

    • @Philippo1000:

      Das macht seine Predigt aber nicht besser. Pazifismus rettet den Menschen dort auch bloß nicht das Leben.

      • @AlexMasterP:

        Chillt mal beide, der Krieg wird nicht in den deutschen Kommentarspalten entschieden.

        Man kann das kritisieren, dass es solche Gesetze in der Ukraine gibt, die die Äusserung solchen Meinungen unter Strafe stellen, selbst wenn man selber eine andere Meinung hat. Es spielt auch keine Rolle, dass es in Russland wesentlich härtere Strafen dafür gibt.

        Ich versteh das nicht, wie sich manche Leute hier emotional in Debatten reinsteigern können, als würde sie persönlich gerade von Russland bombardiert. Was soll den das bringen? Denken die Leute, dass sie sich dadurch irgendwie solidarisch mit Menschen in der Ukraine verhalten? Ist das irgend eine Ersatzhandlung dazu, dass man keine Lösung findet und das nicht ändern kann? Will man damit sicher stellen, dass man selber moralisch auf der richtigen Seite steht?

        Ich glaub es ist den Menschen in der Ukraine relativ egal sein dürfte, wie sehr sich die Leute hier aufregen. Das hat keinerlei Auswirkung auf ihre Situation. Und unsere Situation hat auch keinerlei Gemeinsamkeiten mit den der Menschen in der Ukraine, weil die werden bombardiert und wir nicht. Sich in Betroffenheit zu suhlen ist da eigentlich ziemlich anmaßend.

  • Definition von "Frieden"? Mag noch angehen. Bestimmen der Begleitumstände dieses Friedens? Schon schwierig(er), oder?! Das Narrativ, einfach Frieden unter den hier im Artikel genannten Umständen zu machen, ist mE ja auch bei den Rechten und vergleichsweise rechten Konservativen verbreitet. Mal angenommen, man nähme sie beim Wort .. Solange eine gewichtige Anzahl von Menschen in der Ukraine bereit ist, für das kriegerische Vertreiben der russ. Streitkräfte das eigene Leben einzusetzen, haben solche Friedensbotschaften mit ihnen anhängenden weltpolitischen Kritiken mE tatsächlich nur den einen Zweck, nämlich faschistoide Verschwörungstheorien und Erzählungen zu bedienen und zu verbreiten.

    • @Gerhard Krause:

      "Auferre, trucidare, rapere, falsis nominibus imperium - atque, ubi solitudinem faciunt, PACEM appellant."

  • Als Radikalpazifist nicht in den Krieg ziehen zu wollen, ist eine individuelle Entscheidung und das Recht eines jeden Menschen. Andere jedoch gegen die Verteidigung des angegriffenen Landes zu mobilisieren oder aufzustacheln ist etwas anderes, das dann natürlich als Unterstützung des Agressors angesehen und zu Recht sanktioniert werden kann.

    • @Rinaldo:

      Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht (für dessen internationale Anerkennung die christliche Friedensarbeit nach dem 2. Weltkrieg gesorgt hat). Sich nicht nur selbst dem Morden verweigern, sondern aktiv dafür kämpfen, dass möglichst viele verweigern und alle verweigern können, gehört zum christlichen Antikriegsengagement dazu. Da darf nichts sanktioniert werden, wenn ein Land christlich bleiben will.

  • Tja, liebe Ukraine ... da noch ein wenig dran arbeiten. Also nicht an dem Mann, der mir ehrenwert genug zu sein scheint, sondern an dir selbst. Das muß schon drin sein, daß der Herr nicht gegen seine Überzeugung kämpfen muß. Da sollte man besser andere Paragrafen bemühen, gegebenenfalls neue erarbeiten.



    Bei allem Recht der Abwehr Russlands kann es keine Pflicht für jede Person geben, dabei mitzumachen. Ist faktisch ein Dilemma, klar, aber wer zu Europa gehören möchte, muß auch solche Freiheiten zu akzeptieren lernen.

  • "Er ist nicht der Einzige in der Ukraine, der öffentlich zu Frieden aufruft."



    In der Tat nicht. Das ganze Land, die Regierung und ganz speziell das ukrainische Militär rufen dringlichst dazu auf. Sie werden aber leider vom Aggressor nicht erhört. So bleibt nichts anderes als der Einsatz von Waffen. Das ist die bittere Realität.

    • @dites-mois:

      Ich stimme Ihnen zu, aber es gibt Leute die das anders sehen. finde ich auch dämlich ist aber in einem freien Land zu tolerieren. Es geht nicht um Verständnis sondern einfach um Grundrechte.

    • @dites-mois:

      Exakt!