piwik no script img

Antidiskriminierungsrecht in DeutschlandGesetz, 17 Jahre, sucht Reform

Ein Bündnis fordert, das veraltete Antidiskriminierungsrecht zu überarbeiten. So will es auch der Koalitionsvertrag – aber bisher blockiert die FDP.

Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman Foto: Michael Kappeler/dpa

Berlin taz | Am Freitag wird das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) 17 Jahre alt – und manche sagen, es sei schlecht gealtert. Denn seit seiner „Geburt“ wurde es nie inhaltlich überarbeitet. Das zivilgesellschaftliche Bündnis „AGG Reform – Jetzt!“ stellte bei einer Pressekonferenz am Donnerstag seine Forderungen zu einer Novellierung vor und kritisierte das FDP-geführte Justizministerium von Marco Buschmann.

Mehr als 100 Organisationen haben das Bündnis Anfang 2023 gegründet. Sie arbeiteten elf zentrale Forderungen heraus, um das Antidiskriminierungsrecht zu stärken. Mitte Juli legte die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, dann ein 19 Maßnahmen umfassendes Grundlagenpapier zur Reform vor.

Das Bündnis und auch Ataman fordern vor allem eine Erweiterung der Diskriminierungsmerkmale, die im ersten Paragrafen des Gesetzes benannt sind. Bisher umfassen die verbotenen Benachteiligungen die „Rasse“ (der veraltete Begriff soll geändert werden) oder ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion/Weltanschauung, Behinderung, Alter und die sexuelle Identität.

Sozialer Status und algorithmische Diskriminierung

Neu hinzukommen soll unter anderem der „soziale Status“, so die Forderung. Davon könnten beispielsweise Alleinerziehende profitieren, die mit Kleinkindern bei der Wohnungssuche benachteiligt werden, so Alexander Thom von der Fachstelle Fair mieten – Fair wohnen. Zudem erschwere ein „nicht deutsch gelesener Name“ die Wohnungssuche immer noch stark.

Auch Oriel Klatt von der Gesellschaft gegen Gewichtsdiskriminierung sagt, eine Ausweitung sei wichtig. Andere europäische Länder hätten zum Teil mehr als 20 Diskriminierungskategorien, im Vergleich sei Deutschland „fast das Schlusslicht“. Klatt fordert dabei auch die Berücksichtigung der Gewichtsdiskriminierung, so würde bisher einigen Personen aufgrund ihres Gewichts teils eine Verbeamtung verweigert.

Eine Novelle des Gesetzes sei laut dem Bündnis auch deshalb notwendig, weil 2006 Benachteiligungen wie algorithmische Diskriminierung noch nicht abzusehen waren. Pia Sombetzki von Algorithm Watch nennt einen Fall aus den Niederlanden, die sogenannte „Kindergeldaffäre“. Dort wurde beispielsweise die Staatsangehörigkeit als Verdachtsparameter für möglichen Kindergeldbetrug benutzt.

Auch bei bereits bestehenden Diskriminierungskategorien wollen Ataman und das Bündnis nachschärfen. Sigrid Arnade vom Deutschen Behindertenrat monierte, dass Menschen mit Behinderung in Deutschland noch „tagtäglich diskriminiert“ würden. So gäbe es in ganz Deutschland nur drei wirklich barrierefreie gynäkologische Praxen. Auch Angebote für Gehörlose würden bisher oft vernachlässigt.

FDP bremst – obwohl Reform im Koalitionsvertrag steht

An Atamans Reformvorschlägen gab es in der Vergangenheit scharfe Kritik von der Union und der FDP. Bemängelt wurde vor allem Atamans Vorschlag, den Nachweis der Diskriminierung für Betroffene zu erleichtern. Diese müssen bisher Indizien vorliegen, Ataman schlägt vor, künftig solle der Nachweis auf eine „Glaubhaftmachung“ herabgesenkt werden.

Vonseiten des Justizministeriums gibt es bisher weder ein Eckpunktepapier noch einen Gesetzentwurf. Dabei ist die Reform im Koalitionsvertrag festgeschrieben. „Diese Chance müssen wir nutzen“, sagte Eva Andrades, Geschäftsführerin des Antidiskriminierungsverbands Deutschland.

Das Justizministerium verwies das Bündnis bisher auf innerhalb der EU laufende Reformen, die man zunächst abwarten wolle. Allerdings können sich EU-Gesetzgebungsprozesse lange ziehen – im schlechtesten Fall, bis die Legislaturperiode der Ampel vorüber ist. Von Buschmann erwartet das Bündnis, dass er mit Ex­per­t*in­nen in den Austausch geht. Ein Gespräch habe bisher nicht stattgefunden.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • was noch fehlt ist die form der mobilitaet.



    es werden viele drarueber noch nie nachgedacht haben, aber auf oeffentlichem strassenland werden fahrradfahrende tagtaeglich diskriminiert, und die polizei und justiz schaut zu. wahrscheinlich merkt sie auch nichts. als radfahrende person wird man staendig bedraengt, gefaehrdet, beleidigt, und fuer die meisten scheint das normal.



    deutschland 2023.

  • Grundsätzlich finde ich die Aktualisierung des Diskriminierungsgesetzes gut, bin jedoch der Ansicht, dass es, meiner subjektiven Einschätzung nach, bereits zu viele Menschen gibt, die sich benachteiligt=diskriminiert "fühlen".



    Ob diese Menschen tatsächlich diskriminiert werden oder Diskriminierung nur meinen wahrzunehmen, können vermutlich nur Gerichte entscheiden.

  • Ich bin dem AGG als Vermieter und Arbeitgeber sehr dankbar. Es hat mir meine unbewußten Vorurteile und Diskriminierungen verdeutlicht - dadurch habe ich wirklich das Gefühl, bewußter mit meinen eigenen Diskriminierungsimpulsen unzugehen und sie zu vermeiden.

    Daher begrüße ich eine Weiterentwicklung des AGG und bin bereit, wieder etwas über weitere Diskriminierungs-Hotspots zu lernen - und zu versuchen, auch diese Ungleichbehandlungen in Zukunft bewußter zu erleben und sie dadurch zu verhindern.

    Dass Interessengruppen mit ihren Forderungen manchmal über das Ziel hinausschießen, ist doch völlig normal. Deshalb die gesamte Erweiterung zu kritisieren halte ich für den falschen Impuls.

    Das AGG hat uns als Gesellschaft besser gemacht.

  • Hut ab vor der FDP. Eine "Glaubhaftmachung" als Grenze ist ja komplett absurd. Mehr Begründung für eine Ablehnung braucht es gar nicht.

  • Eine Absenkung auf "Glaubhaftmachung" ginge viel zu weit, die Beweislastregeln sollten nicht angetastet werden.

    Auch der "soziale Status" ist als wegen der Unschärfe des Begriffes überhaupt nicht als Kriterium geeignet. Der im Text genannte Vermieter wird häufig nicht erkennen, ob jemand nun ein Kind hat oder nicht.

    "Übergewicht" ist ebenfalls nie ein Kriterium. Allenfalls Adipositas, was jedoch wegen der erwartbaren Folgen für den Dienstherren ein anzuerkennendes Ausschlusskriterium für eine Verbeamtung sein dürfte.

    Und Rasse ist kein veralteter Begriff. Er hat einen direkten Bezug zum Grundgesetz. Und btw. soll der Begriff "rassistisch" auch abgeschafft werden?

  • Nachweis durch Glaubhaftmachung?



    Das ist völlig naiv und absurd.

    Die Menschen sind ja insgesamt so was von ehrlich

    Tipp; Den TAZbericht zu " Klauen ist geil" mit den Kommentaren dazu.

  • Ich frage mich, wie man das kontrollieren will.



    Bei dutzenden Bewerbern für eine Wohnung nimmt man den solventesten, und das ist meist eher das kinderlose Akademikerpaar und nicht die Alleinerziehende mit 2 Kindern. Und bei einer Absage auf einen Job wird sicher keiner als Grund angeben



    "zu dick" oder "trägt Kopftuch", da gab es halt besser qualifizierte BewerberInnen.



    Wenn man jetzt anfängt, Vermietern auch noch vorzuschreiben, an wen sie zu vermieten haben, wird das die Zahl der Mietwohnungen nicht steigern...

    • @Sandra Becker:

      Wer mit Wohnraum Geld verdienen will, darf gerne in die Pflicht genommen werden. Wenn das für Vermieter zu viel verlangt ist, müsste man im Wohnungsbau notfalls ein bisschen Konkurrenz durch die öffentliche Hand machen, dann überlegen es sich die privaten vielleicht nochmal.

      • @Wonko the Sane:

        "Wer mit Wohnraum Geld verdienen will, darf gerne in die Pflicht genommen werden."

        ---------------------

        Wenn die Kommune die finanziellen Risiken übernimmt und die Kosten für Renovierungen und Instandsetzungen zu 100% trägt kann sie auch frei über die Belegung verfügen. Wenn sie das nicht tut wird nur derjenige Einziehen, der mir persönlich passt. Sprich Singe/Paar, solvent ( > 3000 € netto, Bankbürgschaft) kinderlos, meine Sprache sprechend, kompatible Sozialisierung, positives Auftreten, lückenlose dokumentarische Belege (Schufa, positive Vermieter-Bescheinigung, Gehaltsnachweise).

  • "Bemängelt wurde vor allem Atamans Vorschlag, den Nachweis der Diskriminierung für Betroffene zu erleichtern. Diese müssen bisher Indizien vorliegen, Ataman schlägt vor, künftig solle der Nachweis auf eine „Glaubhaftmachung“ herabgesenkt werden."

    ----------

    Schon allein deswegen ist diese Blockade richtig und notwendig.

  • Da kommt ja einiges zusammen, wenn man alle Forderungen berücksichtigen würde. Warum muss man all die Kriterien überhaup explizit ins Gesetz schreiben? Und was ist mit der grundsätzlichen vertragsfreiheit?



    Frage als juristischer Laie...