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Klimacamp von Ende Gelände in HannoverAktionsform an Katastrophe anpassen

Die Klimabewegung steckt in einer Krise. Ak­ti­vis­t:in­nen von Ende Gelände diskutieren über Strategien und tanzen bis tief in die Nacht.

Zeit zur Reflexion: Klimacamp des Bündnisses Ende Gelände in Hannover Foto: MICHAEL TRAMMER

Hannover taz | Mitten im Georgengarten in Hannover summt und hämmert es. Seit dem letzten Montag im Juli tummeln sich hier mehr als Tausend Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen auf dem „System Change Camp“ des Aktionsbündnisses Ende Gelände in der niedersächsischen Landeshauptstadt. Sie sind gekommen, um zu diskutieren. Denn die Klimabewegung steckt in einer Krise.

Seit sich das Bündnis Ende Gelände 2014 gründete, reisten Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen verschiedenster Strömungen immer wieder zu den großen Aktionen gegen den Braunkohletagebau im Rheinischen Revier und in der Lausitz. In den Jahren 2018 und 2019 erreichten die Proteste ihren Höhepunkt. Ziel war es, einen Ausstieg aus der Kohle zu erreichen. Der ist mittlerweile beschlossen, muss allerdings noch umgesetzt werden.

Für die Ak­ti­vis­t*in­nen stellen sich nun viele Fragen. Denn die Anforderungen an die gesellschaftliche Transformation, die angesichts der fortschreitenden Klimakatastrophe notwendig ist, sind immens. Worauf sollen sich die Ak­ti­vis­t:in­nen konzentrieren? Auf Proteste gegen die fossilen Energieträger LNG und Erdgas oder den Individualverkehr? Sollten kolonialistische Kontinuitäten und verschiedene Betroffenheiten durch die Klimakrise im Fokus stehen? Sollte sich die Klimabewegung in realpolitische Prozesse einbringen oder eine radikal-antagonistische Haltung einnehmen? Und wie geht die Bewegung mit der zurückgehenden gesellschaftlichen Unterstützung für Klimaproteste um?

„Ich hoffe, dass wir gestärkt aus der Woche gehen“, sagt der langjährige Klimaaktivist Janus Petznik der taz. Er sei frisch „auf dem Raumschiff“ gelandet, wie er das Camp liebevoll nennt. Er hoffe, dass die Vereinzelung, die nach der Räumung Lüzeraths gefolgt sei, durch das Camp aufgefangen werde. In Lützerath war Petznik zuletzt in der Kampagnenentwicklung und dem Bewegungsaufbau aktiv. Ak­ti­vis­t*in­nen besetzten das Dorf im Herbst 2021. Der Weiler sollte trotz beschlossenen Kohleausstiegs abgebaggert werden. Unter massiven Protesten wurde die Besetzung im Januar 2023 geräumt.

12 Zelte, 150 Veranstaltungen

Seitdem richtet sich Ende Gelände strategisch neu aus. In regionalen Bündnissen soll es eine höhere Taktung an Aktionen geben, statt sich auf einen zentralen Großevent zu orientieren, heißt es aus Aktivist*innenkreisen. Die Stärke des laufenden Prozesses sei die Vielfalt der Bewegung, sagt eine Aktivistin, die sich Noor nennt. Wie viele hier will sie nicht ihren richtigen Namen nennen. Die Ak­ti­vis­t:in­nen haben Angst vor Kriminalisierung.

Die 30-Jährige moderiert Teile der Debatte. „Wer wir sind und was wir erreichen wollen, das waren zentrale Fragen“, berichtet sie. Aus der migrantischen Selbstorganisierung kommend, engagiert Noor sich seit der Besetzung Lüzeraths für Klimagerechtigkeit. Für sie schwinge immer auch der akute Handlungsbedarf mit, sagt sie. Hoffnung gebe ihr das Camp selbst. „Was wir theoretisch fordern – also, dass wir uns gegen jede Form von Unterdrückung und Ausbeutung stellen –, muss auch in unserer täglichen Praxis geschehen“, so Noor. Um dies zu leisten, müsse eine Alternative erlebt und erprobt werden. Sie habe die Diskussion dabei als hitziges, aber trotzdem als angemessenes Miteinander erlebt, sagt die Aktivistin.

In zwölf Zelten und im Freien gibt es die gesamte Woche über 150 verschiedene Programmpunkte – Diskussionen, Führungen zur lokalen Waldbesetzung Tümpeltown gegen den Ausbau der Stadtautobahn, Lesekreise, Vorträge und Workshops. Die Veranstaltungen tragen Titel wie „Climate Change and migration“, „Radikale Realpolitik: brauchen wir Parteien für mehr Klimagerechtigkeit?“ und „Degrowth als Utopie“. Trotz anhaltenden Regens ist die ganze Woche über viel los. Hier kommt eine Getränkelieferung, dort beginnt ein Treffen, und es gibt endlich Essen – kostenlos und für alle. Wer kommt, muss nichts zahlen. Die Finanzierung übernimmt das Aktionsbündnis Ende Gelände.

Diskussion über Letzte Generation

Ein Gesprächsthema, das immer wieder aufkommt, sind die „Klimakleber“ und deren mediale Präsenz. Die Gruppe Letzte Generation polarisiert mit ihren Aktionen. Die Ak­ti­vis­t*in­nen appellieren an die Regierung, etwa ein 9-Euro-Ticket einzuführen. Sie sind trotz ihrer recht zahmen Forderungen massiver Repression ausgesetzt. Ob es mit den gesellschaftlich stark umstrittenen Blockaden der Letzten Generation zusammenhängt oder nicht: Laut einer Umfrage der gemeinnützigen Organisation „More in common“ ist die Unterstützung für die Klimabewegung in der Bevölkerung zurückgegangen. Zahlreiche Ak­ti­vis­t*in­nen werfen der Letzten Generation vor, der Bewegung zu schaden.

Wenn wir uns von der Hoffnung trennen, macht Klimapolitik keinen Sinn mehr

Janus Petznik, Aktivist

Anhand der Umfrage zeige sich vor allem, was eine harte und eine weiche Mehrheit für den Klimaschutz sei, sagt dazu Aktivist Petznik. Aus seiner Sicht wären mehr Utopie und Hoffnung wichtig. Ihn stört die Endzeitrhetorik, der sich einige Klimagruppen zuwenden. „Es war nie die Stärke der Klimagerechtigkeitsbewegung, Angst zu schüren“, sagt Petznik. „Wenn wir uns von der Hoffnung trennen, macht Klimapolitik keinen Sinn mehr.“

Die Letzte Generation mache es mit ihrer Aktionsform sehr gut, inhaltlich aber leider sehr schlecht, glaubt Aktivist Felix, der seinen Namen ebenfalls nicht nennen will. Er ist seit mehreren Jahren bei dem kommunistischen Bündnis „… ums Ganze“ aktiv, das bei Ende Gelände mitmischt. Was dem antikapitalistischen Teil der Klimabewegung fehle, sei ein Angebot, das ähnlich disruptiv wirke. Man müsse die Aktionsform der eskalierenden Klimakatastrophe anpassen, sagt der Aktivist. Es bräuchte zukünftig eine Mischung verschiedener bekannter Taktiken. „Was französische Ak­ti­vis­t*in­nen kürzlich mit einem Zementwerk veranstaltet haben, ist ein gutes Beispiel“, so Felix. Das Netzwerk „Aufstand der Erde“ sorgte mit etwa 200 Personen für Sachschaden in Millionenhöhe.

An Zielen für Aktionen sieht die Klimabewegung in naher Zunkunft keinen Mangel. In München findet Anfang September erneut die Internationale Automobil-Ausstellung (IAA) statt. Dem Heiligsten der Deutschen, dem Auto, wollen die Ak­ti­vis­t*in­nen dort erneut den Kampf ansagen. Auf Rügen wird Ende September gegen die Baustelle des größten LNG-Terminals Europas demonstriert.

Geht es nach der Gruppe „… ums Ganze“, wird bald der Milliardär Elon Musk und dessen E-Autofabrik bei Berlin Ziel der Klimabewegung. Verschiedene Themenfelder kämen hier zusammen, sagt Felix. Für eine Erweiterung des Werks wird ein Gaskraftwerk gebaut, das Grundwasser in der Lausitz leidet unter dem Projekt und die verwendeten Rohstoffe zeigen koloniale Kontinuitäten auf.

Das Wichtigste sei, zu vermitteln, dass es keine Eindämmung der Klimakatastrophe im Kapitalismus geben könne, erklärt Felix. „Wir müssen verstehen, dass es im Globalen Norden durchaus auf materielle Einschnitte hinauslaufen wird“, sagt der Aktivist. Für diese Situation müsse man eine Lösung präsentieren, die solidarische Antworten jenseits der Festung Europa finde. Dafür schmieden Ak­ti­vis­t*in­nen verschiedener Gruppen eine Allianz.

Die wichtigste Entscheidung in Hannover sei, dass die Diskussion weitergeführt wird, sagt Noor. Das Zusammenkommen zeige ihr, dass es einen Weg aus dem bestehenden System gebe. „In eine andere Welt, die wir gern hätten“, so Noor. Nach einer Woche endet das Camp in Hannover. Am letzten Abend schüttete es wie aus Kübeln. Trotzdem wird bis in die Nacht getanzt.

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8 Kommentare

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  • Poenitentiam agite. So forderten im Mittelalter Gruppen radikalen Verzicht und maximale Umkehr.



    Wie asketisch darf es sein? Im Puritanismus war Unehelicher Sex ein NoGo, jetzt alles, was mit Umwelt- Verschmutzung oder CO2- Emissionen verbunden ist?



    Wie heftig ist dann die Gegen- Reaktion von Leuten, die sich den Spaß nicht verderben lassen wollen?

    • @Christoph Strebel:

      Gottes Zorn und die Existenz des Fegefeuers konnte man nur eben nie eindeutig beweisen, bei der Klimakatastrophe kennt man demgegenüber Ursache und Wirkung ziemlich genau und physikalischen Tatsachen können sie auch dann nicht entkommen wenn sie sich weigern sie sie zu glauben.

  • Und da bin ich mir sicher: mit materiellen Einschnitten wird es nicht gelingen! Der Wiederstand wird mächtig werden wenn es an die Guthaben und das gute Leben geht!

  • Bischen wenig Klimabewegung, die sich dort trifft.

    Ende Gelände kann nur über Ende Gelände befinden. Nicht über die Klimabewegung.

    Warum hat man sich nicht im viel größeren Rahmen getroffen, auch mit anderen Gruppen? Man muss an die Vernetzungen aus den besten Zeiten von FFF anknüpfen.

    • @Rudolf Fissner:

      "Warum hat man sich nicht im viel größeren Rahmen getroffen, auch mit anderen Gruppen?"

      Vielleicht, weil viele Leute dort geprägt sind vom Scheitern der Piratenpartei und der Digitalfreiheitsbewegung insgesamt.

      Ist nur eine Hypothese, aber dass bei solchen Großveranstaltungen Spitzel und Zersetzer leichtes Spiel haben, ist eine der Lebensrealitäten der Generation, die den Kern der Klimaproteste bildet.

      Über das letzte Vierteljahrhundert ist die kapitalismuskritische Szene deutlich vorsichtiger geworden, und der Verfolgungs- und Repressionsdruck hat sich erhöht. Vielleicht, weil er anfangs auf einem Tief war; zwischen November 1989 und dem Tod von Carlo Giuliani hat uns ja kaum jemand ernstgenommen. Vermutlich musste die Umweltbewegung der frühen 80er genauso oder noch mehr auf der Hut sein - aber damals waren die technischen Möglichkeiten der Überwachung noch primitiv, und idR konnte man wohl davon ausgehen, dass was am Lagerfeuer besprochen wurde, am Lagerfeuer blieb, auch ohne dass man die Handys ausschalten und in eine Metallkiste legen musste.

      • @Ajuga:

        "Vielleicht, weil viele Leute dort geprägt sind vom Scheitern der Piratenpartei und der Digitalfreiheitsbewegung insgesamt."

        Nö. BUND, Nabu oder Greenpeace, um nur die größten Verbände mit Millionen an Mitgliedern aus dem Bereich des Natur- und Umweltschutzes zu nennen, sind null von Piraten- und Digitalfreiheitsgedöns tangiert.

        Die "kapitalistismuskritische Szene" (nur kritisch? wohl eher feindlich.) ist einfach wohl nur nicht fähig mit ihren Aktionen, die langweilig und vorhersagbar immer nur in Debatten über die Polizei enden, eine Klimabewegung auf die Beine zu stellen. Sie behindert imho sogar ein solches Ansinnen mittels dominantem Auftreten.

  • Vielen Dank für den informativen Artikel!

  • Eine merkwürdige Überschrift zu diesem Thema. Als ob es das Problem der Klimabewegung ist, das Problem der Klimaveränderung ins Bewusstsein der Menschen zu bringen. Es ist wohl eher eine Bewusstseinskrise der Menschheit.