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Politik und KrisenSchwarze Löcher

Gastkommentar von Georg Diez

Es fällt schwer, sich in der neuen Zeit zurechtzufinden. Es gibt kein richtiges Morgen mehr, weil die Gegenwart so viel Aufmerksamkeit verlangt.

Die Regentropfen schlagen hart gegen die Scheibe Foto: Massimo Rodari/imago

W ie finden wir eine neue Sprache für das Politische? Oder, weitergefasst, eine neue Sprache für das, was wir erleben? Wie drücken wir aus, dass wir Teil sind einer sich rapide und massiv verändernden Welt und Wirklichkeit? Weil die alten Worte diese neue Wirklichkeit nicht richtig erfassen.

Die Regentropfen schlagen hart gegen die Scheibe. Ich spüre die Präsenz meines Sohnes im Zimmer. Auch er schaut aus dem Fenster der Wohnung. Auch er sieht diesen Regensturz, den dritten oder vierten heute schon. Sie kommen in Wellen, die schwarzen Wolken schieben sich über die Stadt. Sie entladen sich heftig. Dann klart der Himmel auf, es scheint vorüber, das Blau tritt durch die Wolken. Bis sich von Neuem die Wolken verdichten, das Grau immer dunkler wird und der Regen wiederkehrt, als Menetekel einer Welt im Klimawandel.

Ich spüre seine Angst und Verwunderung, oder vielleicht ist es auch das, was er bei mir sieht und nur spiegelt. Wir sprechen darüber, kurz nur, weil wir schon öfter darüber gesprochen haben; weil ich auch nicht weiß, wie sehr ich ihn überhaupt mit in diese Realität und Reflexionen einbeziehen soll. Er weiß es doch sowieso. Dieser verdammte Regen, sagt er, dieser verdammte Klimawandel. Er ist sieben. Er sagt das, was er fühlt, er sagt das, was er um sich sieht, er sagt das, was von ihm erwartet wird. Ich kann ihm nicht wirklich antworten, die Details verlieren sich, das Endspiel ist überwältigend.

Was bleibt, ist die Erfahrung. Wir stehen zusammen in unserer Ratlosigkeit. Wir warten darauf, dass der Regen vorübergeht. Wir sind verbunden in der Wortlosigkeit. Er hat Erwartungen, an mich, an den Vater. Ich will ihm helfen, diese Welt zu verstehen, aber ich muss erkennen, dass das schwerer und schwerer fällt, weil die Kategorien sich so verschoben haben. Die Zeit, zum Beispiel, sie ist nicht wirklich aus den Fugen, wie es Shakespeare schrieb, sie ist mehr wie der Regen, sie kehrt wieder und wieder, in immer neuen Schüben, leicht verändert, die gleiche Zeit, in unterschiedlichen Wellen.

Wie können wir uns in dieser neuen Zeit, der verschobenen Zeit zurechtfinden? Es gibt dieses Gestern, Heute, Morgen nicht mehr, jedenfalls nicht mehr in der unschuldig erwartungsoffenen Klarheit. Es gibt auch kein Morgen, weil die Gegenwart so viel Aufmerksamkeit verlangt, weil sie uns festhält und fesselt; und es gibt nur noch das Morgen, das die Gegenwart überragt, als Rätsel, als Drohung, als Frage zumindest, was wird, in einer Entwicklung, die, ja, wie verlaufen wird? Linear, der Anstieg der Temperaturen weltweit? Zyklisch, die Wiederkehr biblisch bekannter Plagen? In Wellen, als Erkennen und Anpassen? Als Teilchen, punktuelle Erfahrung?

Die Zeit ist nicht wirklich aus den Fugen, sie ist mehr wie der Regen – sie kehrt wieder, in immer neuen Schüben

Niels Bohr hat diesen Widerspruch so benannt, für den „Quanten-Moment“, das Licht als Welle und als Teilchen zugleich. Da ist die Erkenntnis, dass die Physik unserer Welt so ganz anders ist, als wir es in der Schule gelernt haben, als wir es uns seit Jahrhunderten vorgestellt haben: Das ist eine neue Welt, sagt er, gerade sehr eindrucksvoll im Kino zu sehen in dem Film „Oppenheimer“, der seine ganz eigene endzeitliche Aktualität menschlicher Hybris hat. Er sagt es aber auch zu uns: Die Paradoxie ist real, der Widerspruch ist der Schlüssel zum Wesen unserer Zeit.

Gemeinsame Antworten?

Das bedeutet, dass wir die Schwarzen Löcher unserer Gegenwart sehen und anerkennen. Aber was bedeutet es, Schwarze Löcher anzuerkennen, was bedeutet es, das überinformierte Nichtwissen zur Grundlage von Erkenntnis und Entscheidung zu machen? Was bedeutet es für Individuen, in ihrer Psychologie, was bedeutet es für Gesellschaften und die Politik, die dafür zuständig ist, gemeinsame Antworten zu finden?

Wie verändert sich dadurch das Wesen der Politik, die nicht mehr mit dem Versprechen von Lösungen oder Antworten hantiert, sondern den Zweifel in den Mittelpunkt stellt? Wie kann eine Politik aussehen, die diese Offenheit in sich aufnimmt, verdeutlicht, selbst zum Teil ihres Versprechens macht? Wie kann man Wahlen mit dem Zweifel gewinnen? Und was bedeutet das für Wahlen, die zum Fetisch der Demokratie geworden sind, die ja aber nicht alles sind oder zumindest nur eine historisch kontingente Form der Demokratie?

Was bedeutet es aber für die Sprache selbst, das eigentliche Medium der demokratischen Politik? Wie benennen die Akteure das, was sie tun? Wie benennen aber auch die Bürger*innen, was sie wünschen, fordern, fühlen? Wie lassen sich Emotionen in ein, wenigstens der Theorie nach, rationales Konzept von demokratischer Politik einbauen? Wie ändert sich dieses Konzept dadurch, oder das Konzept von Rationalität? Wie kann, und das ist die Verbindung zum „Quanten-Moment“, die Theorie auf eine Ebene mit der Wirklichkeit gebracht werden, die sich radikal verändert hat?

Was bedeutet Text?

Sie merken schon, dass dieser Text auch keine Antworten liefern wird. Er stellt, wenn überhaupt, das Konzept von „Text“ in Frage, das Konzept einer Zeitung, die an das Wesen von Zeit gebunden ist, das noch linear, an eine Vorstellung von Aktualität gebunden ist, die davon ausgeht, dass ein Ereignis nach dem anderen passiert, nur weil das eine einen Tag davor geschieht und das andere einen Tag danach. Wie sähe auch hier eine andere Form und Logik aus, die sich nicht auf singuläre Texte konzentriert (die ja sowohl aus Autor*innen- wie aus Zeitungs-Perspektive sowieso nicht singulär sind, sondern Teil eines Gedankenprozesses, der nur oft nicht formuliert oder durchgehalten wird)?

Als der Regen aufgehört hatte, haben sich mein Sohn und ich die Schuhe angezogen und wir sind hinausgegangen; wir wollten noch ein paar Sachen einkaufen und zur Bibliothek. Auf dem Rückweg fing es wieder an zu regnen, erst ein wenig, dann sehr plötzlich. Wir haben uns untergestellt und abgewartet und in der Plötzlichkeit eingerichtet.

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17 Kommentare

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  • Um Himmelswillen: Was für ein Geschwurbel! Kein Wunder - wenn der Junge die Krise kriegt.

    Ist das womöglich nur ein vergeblicher Versuch - sich als Literat zu geben?

  • Welle und Teilchen sind ja das Problem der Menschen, sind suchen immer noch nach ener schlüssigen Erklärung für die Vorgänge der Natur. Die Quantenphysik hat uns da auch nur einen kleinen Schritt weiter gebracht. Etwas weniger Selbstgerechtigkeit in der Wissenschaft wie in der gesamten Menschheit hilfreich. Alle Probleme der Erde auf den Klimawandel zu projezieren ist da auch etwas zu einfach. Alle Entscheidungen aus der Sicht der Klimaforscher zu treffen wird deshalb nicht funktionieren. Wir diskutieren über die Probleme der Welt und müssen mit jeder neuen Erkenntnis feststellen, das dadurch 3 neue Fragen aufgeworfen werden.

  • "Ich spüre die Präsenz meines Sohnes im Zimmer."

    Also ich weiß nicht, dieser ganze Jargon, wo "die Präsenz des Sohnes" "gespürt" wird und der 7-jährige beim romantisch-melancholischen Fensterblick die "schwarzen Wolken" erblickt, um dann das zu sagen, was er fühlt: "Dieser verdammte Klimawandel" (das ganz authentische Gefühl aller 7-jährigen bei Regenwetter), dieser ganze Jargon scheint mir mehr das Symptom einer Krise als ihre Beschreibung zu sein.



    Ansonsten vielleicht mal Walter Benjamin "Über den Begriff der Geschichte" lesen, um ein erweitertes Verständnis von Zeit(geschichte) zu bekommen, das sich nicht in hart fallenden Regentropfen erschöpft...

    So lange wir es noch aufgeblasen auf lyrisch sagen können, geht es uns wohl ziemlich gut... "verbunden in der Wortlosigkeit" ...

    • @Milky:

      Mein Sohn (7) hat mir heute morgen am Küchentisch, als er die FAZ ausgelesen und gerade nach der SZ greifen wollte, berichtet, dass der Forschungs-Fusionsreaktor Wendelstein 7-X massive Fortschritte macht und dass die DeIndustalisierungspolitik der Grünen meine und seine Zukunft aufs Spiel setzt.



      Er sagt das, was er fühlt, er sagt das, was er um sich sieht, er sagt das, was von ihm erwartet wird. Ich kann ihm nicht wirklich antworten, die Details verlieren sich, das Endspiel ist überwältigend.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    „Weil die alten Worte diese neue Wirklichkeit nicht richtig erfassen.“ Wir könnten es ja einfach lassen. „Verzeih‘, ich kann nicht hohle Worte machen…“ (frei nach Goethe)



    „Er ist sieben. [….], er sagt das, was von ihm erwartet wird.“ Ich ahnte es. Schule verdirbt den Charakter.

  • Es kann ja sein, dass es einigen Leuten schwerfällt, sich in der Zeit zurechtzufinden, und es aus ihrer Perspektive kein Morgen mehr gibt. Dafür gibt es Gründe.

    Aber das alles, weil es regnet?

  • War sehr erfrischend zu lesen. Merci für diese gedankliche Reise

  • Hähä, Freude über den Dauerregen. Nur ist er leider nicht von Dauer. Ab Mitte August droht neue Trockenheit. Das feuchte Intermezzo tat aber der Flora gut - es wächst Rasen, wo lang kein Grashalm mehr stand. Aber wiegesagt, ein bißchen ist es noch zu früh gefreut.

    • @Uwe Kulick:

      Ich komme ja ursprünglich aus einer ländlichen, bayrischen Gegend. In der Nachbargemeinde meines Onkels erhielten die Grünen 1980 bei ihrer Ersten Wahlbeteiligung 24%, im Bund nur 1,3%. Aber im allgemeinen hat man sich am Land immer ein wenig lustig über die Grünen gemacht, nicht nur, weil man dort als Kinderbuchautor Klimamonster werden kann, sondern früher weil die Grünen aus dem Thema Umweltschutz eine Art Religion gemacht hätten. O-Ton: „Da wollen uns jetzt Leute aus der Stadtblase, die eine Fichte nicht von eine Föhre unterscheiden können, erklären, was Natur, bio und Umweltschutz ist.“

      • @Jairi:

        Nuja. Ich erinnere mich, dass uns ein Bauer in den 80ern von seiner Wiese gejagt hat. Brüllte etwas von zertrampeln, Umweltschutz, etc. pp. War eine botanische Exkursion.



        Das war der Bauer, der ein gutes halbes Jahr später, Anfang Januar des nächsten Jahres auf gefrorenem Boden einen Acker jauchte.



        Oder anders gesagt: Wer nochmal behauptet ernsthaft, auf dem Dorf wisse man, was Umweltschutz ist?

  • "Es gibt auch kein Morgen, weil die Gegenwart so viel Aufmerksamkeit verlangt, "

    Es gibt einen Unterschied zwischen Aufmerksamkeit schenken weil sie verlangt wird, und die Aufmerksamkeit aufs wesentliche konzentrieren, egal wieviel der kapitalistische Zirkus mit all seiner Werbung, Meinungen, Meldungen, etc. um Aufmerksamkeit lechzt, um noch mehr Klicks und Geld zu generieren. Ersteres ist die Einstellung eines Konsumenten. Vielleicht sollte man hier mal anfangen mit der Selbstreflektion.

  • Mir helfen die Gedichte von Robison Jeffers. Ein Stoiker, der die Weltuntergänge seiner Zeit (Faschismus, Stalinismus, Krieg) den Fortschrittswahn und die naive Selbstherrlichkeit des Menschen scharf und nüchtern, ohne Haß, Zynismus oder Hoffnung beschrieb. Er fand Trost in der Natur, die uns, in der einen oder anderen Form, überleben wird.

  • Ich besuche gerade meine Schwester für einige Tage in Bayern, stehe gestern Abend auf dem dem Balkon ihrer Wohnung. Sie ist im Heim. Der Regen donnert und donnert vom Himmel. Ich empfinde Glücksgefühle dabei. Endlich bekommen die Bäume ein wenig Wasser. Meine Cousine hat mehrere Wälder und jammert seit Jahren über den Bäumetod wegen Trockenheit.

    • @Jairi:

      Hier in Hessen (Frankfurt) bin ich, auch wenn die Sonnenanbeter diesmal leer ausgehen und der Sommer fast komplett ausfällt, heilfroh über den Dauerregen.

      • @dator:

        Das Nichts nichtet. Die Unschärferelation ist im Text ganz deutlich. Weder Ort noch Impuls dieser Gedanken sind unabhängig voneinander zu bestimmen.

      • @dator:

        Ich lebe ja bei Ihnen in der Nähe bei den Schönen und Reichen im Taunus. Dort nervte mich zuletzt der Dauerregen eher, weil ich gerade einen Langstreckenlauf vorbereite.

        • @Jairi:

          "...weil ich gerade einen Langstreckenlauf vorbereite."



          Den kann man auch im Regen trainieren. das mache ich oft und finde es sogar sehr angenehm. Es gibt kein schlechtes Wetter, nur falsche Kleidung. :)