Experte zum Faschismus in den USA: „Bei Trumps Gewalt geht es um Lust“

Was in den USA seit Trump passiert, sei klar faschistisch, meint Journalist Jeff Sharlet. Nicht nur Weiße fühlten sich davon angesprochen.

Trump fährt eine Rolltreppe runter, im Hintergrund Fans mit T-Shirts, auf denen "Trump - Make America Great Again" steht.

Trump vor Fans in New York 2015 Foto: Christopher Gregory/getty images

taz: Herr Sharlet, Sie haben lange Zeit den Begriff „Faschismus“ gemieden, eher von extremen Rechten gesprochen, um die Bewegung zu beschreiben, die Sie beobachten. Weshalb haben Sie nun Ihre Meinung geändert?

Jeff Sharlet: Der Faschismus war in den USA immer präsent. Es gab Elemente des Faschismus, aber er konnte nicht das herrschende Paradigma werden. So viele Communities von People of Colour haben in den USA die Erfahrung gemacht, unter faschistischer Kontrolle zu leben. Viele Sheriffs haben mit faschistischer Macht geherrscht. Aber eine richtige faschistische Regierung? Nein, die würden wir nicht bekommen, dachte ich.

Warum?

Der Grund war derselbe, der die USA unter den Industrienationen so ungewöhnlich macht: die Verehrung für Gott. Und manche mögen fragen: Oh, ist dieses superchristliche, nationalistische Zeug nicht einfach auch faschistisch? Nach dem, was ich gelesen habe, ist ein Kennzeichen des Faschismus der Personenkult. Bei diesem Personenkult geht es nicht nur um eine Galionsfigur, es geht um eine Lizenz. Es braucht einen irdischen Avatar der absoluten Macht – den Übermenschen, wenn man so will –, um all die Hitlers, all die kleinen Trumps zu lizenzieren. Ich dachte, sie würden den „Vater“ nicht gegen den „Führer“ austauschen. Ich lag falsch.

Wann wurde Ihnen das klar?

2015, als Trump die goldene Rolltreppe im Trump Tower herunterfuhr, um seine Präsidentschaftskandidatur anzukündigen. Die Realität ist, dass George W. Bush und George H.W. Bush, gegen die ich demons­triert habe, keine Faschisten waren. Sie waren Imperialisten. Es gibt mehr als eine Sorte des Bösen auf der Welt. Aber als Trump die goldene Rolltreppe herunterkam – das war faschistische Ästhetik. Bis dahin hatten wir in den USA, selbst unter Reagan, nicht wirklich einen Personenkult. Wir hatten die Gründer, wir hatten den Mythos, und wir hatten die Gewalt. Aber wir glaubten an uns selbst: eine strahlende Stadt auf einem Hügel. Bei der Gewalt von Trump geht es um Lust. Es handelt sich, wie ich in „The Undertow“ zeige, um einen Kult des militanten Erotizismus.

Warum mögen weiße Evangelikale Trump, obwohl er ein dreifach verheirateter, vulgärer Mann ist, der offen über seine Affären spricht?

Ich habe genug mit diesen Leuten zu tun gehabt, um sagen zu können: Junge, die reden wirklich gerne und viel über Sex! Der Sex, den man nicht haben sollte, ist eines ihrer Lieblingsthemen, ebenso der genaue Weg zum Sex, den man nicht haben sollte – und sie können dabei ins Detail gehen. Trump gab ihnen die Lizenz dazu. Er gab ihnen die Erlaubnis für unangemessene sexuelle Gedanken. Er gab ihnen damit auch die Erlaubnis für faschistisches Gedankengut.

Jahrgang 1972, ist US-amerikanischer Journalist und Autor. Er recherchiert zu religiösen Subkulturen in den USA. In seinem neuen Buch “The Undertow: Scenes From a Slow Civil War“ („Der Sog: Szenen aus einem langsamen Bürgerkrieg“), zeigt er, warum der Faschismus in den USA Fuß fasst. Dafür reiste er durch das Land und sprach mit Amerikaner*innen, die vom Bürgerkrieg träumen.

In Ihrem Buch „The Undertow“ schreiben Sie über eine Kirche in Omaha, Nebraska, in der ein weißer Pastor seine auch aus vielen People of Colour bestehende Gemeinde zum Bürgerkrieg aufruft. Wofür steht dieses Bild?

Pastor Hank Kunneman spricht von der Kirche als Miliz. Wie immer mehr Kirchen in den USA unterstützt seine Kirche Waffenbesitz nicht nur, sondern die Kirchenmitglieder haben auch Waffen. Pastor Kunneman ist zwar ein Weißer, aber in seiner auch Schwarzen Gemeinde bezeichnet er sich selbst als Schwarzen Mann. Er sagt „Ich war verloren. Ich war ein weißer Mann. Ich ging in die Schwarze Kirche und wurde wiedergeboren.“ Plötzlich befinden wir uns also in einem Raum der Wiedergeburt. Er sagt auch: „Diese Männer da hinten, diese Männer mit den Waffen, warum sind die da? Die Kirche ist bewaffnet, weil die Engel bewaffnet sind. Aber man kann die Engel nicht sehen. Wozu brauchen wir also bewaffnete Männer? Damit man sie sehen kann. Aus demselben Grund haben wir auch das Kreuz, damit man es sehen kann.“

Er setzt die Waffe und das Kreuz gleich?

Diese Leute ehren die Waffe. „Ich erkläre es euch mit Psalm 23“, sagt Pastor Kunneman, „dein Stock und dein Stab“, und dann macht er einen verdammten Elvis-Hüftschwung. Der Stab ist die Waffe und der Phallus. In dieser Vorstellung ist Schwarzsein eine Art von Sexualität, und Kunnemann besitzt diese potente sexuelle Macht auf die gleiche Weise, wie er behauptet, er habe ein Mandat für den Krieg, um die Nation zurückzuerobern. Das meint er nicht nur im übertragenen Sinne, er sagt ganz offen: „Der Krieg kommt. Wir werden einen Krieg führen, und wir werden ihn gewinnen.“

Wis­sen­schaft­le­r*in­nen wie Anthea Butler argumentieren, dass „Weißsein“ ein Versprechen von Macht ist. Es versteckt sich hinter „Farbenblindheit“, aber das macht es nicht weniger rassistisch. Es ermöglicht, BPoC in die Bewegung aufzunehmen, solange sie sich für die Aufrechterhaltung der Strukturen der White Supremacy einsetzen.

Das Wichtigste, was man über die Funktionsweise des amerikanischen Faschismus verstehen muss, ist die Art und Weise, wie er People of Colour absorbiert. Ich schreibe in „The Undertow“ über eine Kundgebung in Sunrise, Florida. Man erwartet dort Kubaner, aber man findet auch eine große venezolanisch-US-amerikanische Gemeinschaft, eine nicaraguanisch-US-amerikanische, eine große puertoricanisch-US-amerikanische Community – sie alle sind für Trump.

Was sind Ihrer Meinung nach die zentralen Ideen, die wir begreifen müssen, um das Ausmaß des amerikanischen Faschismus zu verstehen?

Ist es das Weißsein? Ist es die Klasse? Geschlecht? Misogynie? Die Erschöpfung an der Pandemie? Liegt es an den Bildschirmen? Der Klimakatastrophe? Ja, all das spielt eine Rolle. Der gemeinsame Nenner ist aber Trauer, unverarbeiteter Verlust – sei es der Verlust des Privilegs, das mit dem Weißsein einhergeht, sei es realer wirtschaftlicher Verlust, sei es der Verlust des Glaubens an die Zukunft. Ob es, wie bei Ashli Babbitt, die beim Sturm auf das Kapitol, an dem sie teilnahm, getötet wurde, die erdrückende Verschuldung ist, in der sie steckt, oder die zunehmende Obdachlosigkeit, die sie umgibt und die sie nicht verstehen kann. Menschen wie ihr fehlt eine Sprache für strukturelle Ursachen von Problemen – wenn zum Beispiel ein obdachloser Mann in ihren Garten defäkiert. Sie sagt sich dann: Ich bin des Mitleids müde, ich bin es leid, gegen den Strom zu schwimmen. Und der Sog zieht sie dann in die Wut.

Dieses Interview wurde aus zwei Gesprächen, die über einen Zeitraum von zwei Wochen stattfanden, zusammengestellt und gekürzt. Eine längere englische Version erschien bei „Religion Dispatches“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.