Britisches Gericht kippt Deal: Ruanda ist kein sicherer Drittstaat

Großbritannien darf keine Asylbewerber direkt nach Ruanda ausfliegen, entscheidet ein Gericht in London. Für Premier Sunak ist das ein Dämpfer.

Frauen stehen mit Plakaten in einer Reihe. Darauf stehen Sätze wie: No to Rwanda deportations stop the flights

„Stand Up To Racism“-Aktivisten im Dezember in London Foto: Kirsty Wigglesworth/ap

BERLIN taz | Großbritanniens Vorhaben, Asylsuchende ohne Anhörung nach Ruanda zu schicken, statt ihre Anträge anzuhören, ist rechtswidrig. Dies urteilte in zweiter Instanz ein Berufungsgericht in London am Donnerstag.

Damit ist eines der kontroversesten Vorhaben der regierenden Konservativen vorläufig gestoppt. Aber die Gründe dafür sind sehr eng gefasst: nicht die Verbringung von Flüchtlingen nach Ruanda an sich ist rechtswidrig, sondern es wird lediglich Ruanda der Status als „sicheres Drittland“, in das man Flüchtlinge bedenkenlos bringen darf, abgesprochen. Und dies auch nicht wegen der Menschenrechtslage, wie es zahlreiche Kampagnengruppen geltend gemacht hatten – sondern nur, weil keine Gewissheit bestehe, dass Ruanda Asylsuchende nicht in ihr Herkunftsland weiterschicken werde. „Solange die Defizite in (Ruandas) Asylverfahren nicht korrigiert sind, ist die Verbringung von Asylsuchenden unrechtmäßig“, so das Gericht in der Zusammenfassung seines Urteils.

Im April 2022 hatte die damalige britische Innenministerin Priti Patel angesichts der rapiden Zunahme illegaler Bootsüberquerungen von Schutzsuchenden aus Frankreich über den Ärmelkanal an die englische Südküste mit Ruanda vereinbart, Ankömmlinge direkt ins Flugzeug nach Ruanda setzen zu dürfen. Ihre Asylanträge sollten dann dort entgegengenommen und nach ruandischem Recht behandelt werden.

Ruanda nimmt bereits routinemäßig Flüge des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR aus Libyen mit afrikanischen Asylsuchenden auf. Für Großbritannien richtete die ruandische Regierung ein ehemaliges Hotel als Vorzeige-Aufnahmeeinrichtung her und ließ sich die ganze Aktion von London mit 140 Millionen Pfund (165 Millionen Euro) bezahlen.

Vernichtendes Urteil für Ruandas Flüchtlingspolitik

Aber kein einziger Flüchtling wurde bisher nach Ruanda gebracht. Der erste geplante Abschiebeflug am 14. Juni 2022 wurde in letzter Minute per Eilantrag vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gestoppt. Daraus entwickelte sich das Gerichtsverfahren in London.

In erster Instanz gab ein Gericht in London im vergangenen Dezember einerseits den zehn klagenden Asylsuchenden in ihren Einzelfällen recht – erklärte aber andererseits den Flüchtlingsdeal mit Ruanda prinzipiell für rechtens. Während die Regierung ihre Niederlage in den Einzelfällen akzeptierte, zogen Flüchtlingsorganisationen gegen den Ruanda-Deal als solchen in die nächste Instanz.

Mit der Feststellung, Ruandas Asylverfahren gewähre keinen ausreichenden Schutz vor Abschiebung ins Herkunftsland, hielt die zweite Instanz jetzt nur einen einzigen Klagepunkt aufrecht. Alle anderen Klagepunkte wurden abgewiesen. Insbesondere sei die Ruanda-Politik an sich kein Bruch der UN-Flüchtlingskonvention: Diese hindere prinzipiell keinen Staat daran, Asylsuchende bei der Ankunft in andere sichere Länder zu bringen, statt ihre Asylanträge aufzunehmen. Das Gericht verweist unter anderem auf das Dublin-Verfahren innerhalb der EU, wonach Asylsuchende ins Land ihrer ersten Ankunft innerhalb der EU abgeschoben werden dürfen.

Die Feststellung, es gebe für Flüchtlinge in Ruanda keinen sicheren Schutz vor Abschiebung in ihr Herkunftsland, ist allerdings im Detail ziemlich vernichtend. So werden die Erfahrungen des Flüchtlingsdeals zwischen Ruanda und Israel aus dem Jahr 2013, wonach Israel ankommende Asylsuchende ohne Verfahren nach Ruanda schickte und Ruanda dafür Geld bekam, sehr negativ bewertet, etwa indem solche Flüchtlinge gegen ihren Willen weiter nach Uganda gebracht wurden (auch die taz berichtete). Der bisherige Umgang der ruandischen Justiz mit Asylsuchenden sei mangelhaft. Ruandas Zusicherungen, in Zukunft werde alles besser laufen, seien nicht ausreichend für eine Einstufung als „sicheres Drittland“, so der Tenor des Urteils.

Politisches Problem für den konservativen Premier

Für Großbritanniens Premierminister Rishi Sunak stellt das Urteil einen Dämpfer dar. Seit dem Beginn der illegalen Bootsüberquerungen aus Frankreich im Jahr 2018 haben fast 100.000 Flüchtlinge auf diese Weise die Insel erreicht – 45.755 allein im Jahr 2022, mit weiter steigender Tendenz.

Der rechte Flügel der Konservativen sieht darin einen Nachweis von Unfähigkeit ihrer eigenen Regierung und fragt sich, wieso die Leute nicht nach Frankreich als sicheres Drittland zurückgebracht werden können – Ruanda galt immer als Plan B, und nun geht nicht einmal das.

Auch die gesetzliche Grundlage, die es überhaupt erst ermöglichen würde, eine Aufnahme von Bootsflüchtlingen zu verweigern, steht immer noch nicht. Ein entsprechender Gesetzentwurf hängt derzeit im Oberhaus fest.

Anfang des Jahres hatte Sunak das Beenden der illegalen Bootsüberquerungen als eine von fünf Versprechen genannt, die er in seiner verbleibenden Regierungszeit bis zu den 2024 erwarteten Wahlen erfüllen werde. Das wird nun immer unwahrscheinlicher. Für den Premier, der den massiven Rückstand der Konservativen gegen die Labour-Opposition in Umfragen bisher nicht nennenswert verkleinern konnte, dürfte es damit immer schwerer werden, rechte Wähler bei der Stange zu halten.

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