die dritte meinung: Der Umgang mit gewalttätigen Elternteilen gefährdet Kinder, warnt Rainer Becker
Die Gewalt in Partnerschaften stieg 2022 gegenüber dem Vorjahr um 9,4 Prozent. 80 Prozent der Gewaltopfer waren Frauen, 78 Prozent der Täter Männer. Kinder bleiben hierbei zu oft unberücksichtigt. Denn was nützen Wohnungswegweisungen und Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz, wenn gleichzeitig Jugendämter und Familiengerichte verlangen, dass die Gewalttäter sofort und regelmäßig Umgang mit ihren Kindern haben müssen?
In der Mehrzahl betrifft dies Mütter. Wehren sie sich gegen diese erzwungenen Umgänge, wird ihnen nicht selten trotz der erlittenen Gewalt vorgehalten, dass sie dem anderen (schlagenden) Elternteil gegenüber „bindungsintolerant“ seien, da sie den Umgang zwischen dem Gewalttäter und den Kindern behindern würden. Dabei ist es nicht nur normal, einem schlagenden Elternteil gegenüber (bindungs-)intolerant zu sein, sondern gesetzlich geboten. So ist der Elternteil, bei dem das Kind lebt, nach Paragraf 171 Strafgesetzbuch sogar verpflichtet, sein Kind vor Umgängen mit einem Schläger/einer Schlägerin zu schützen. Nach häuslicher Gewalt Umgänge durchzusetzen, unterläuft damit strafrechtliche Ermittlungen und Gefahren verhindernde Maßnahmen und ist ein Verstoß gegen Artikel 31 der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen und Kindern vor Gewalt.
Rainer Becker
ist Ehrenvorsitzender der Deutschen Kinderhilfe und Polizeidirektor a. D.
Seit mehr als 5 Jahren ist Deutschland zur Umsetzung der Istanbul-Konvention, die den Rang eines Bundesgesetzes hat, verpflichtet. Es darf nicht länger getrennt werden zwischen partnerschaftlicher Gewalt und Kindeswohlgefährdung. Richter und Jugendamtsmitarbeiter brauchen offensichtlich klarere Vorgaben, was eine Kindeswohlgefährdung ist und was nicht. Beispielgebend ist hier Frankreich, bei dem im „Code civil“ geregelt ist, dass Elternteilen, die in Gegenwart der zur Familie gehörenden Kinder körperliche oder psychische Gewalt gegen den Partner ausgeübt haben, die elterliche Sorge entzogen wird. Deutschland ist bei familienrechtlichen Entscheidungen einfach zu täterfreundlich.
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