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Afghanistan nach dem AbzugHölle auf Erden

Gastkommentar von Theresa Breuer

Es gibt gute Gründe, Afghanistan zu helfen. Aber den Preis zahlen die Frauen und Mädchen. Für sie gibt es unter den Taliban keine Freiheit.

Frauen warten, um von einer humanitären Hilfsorganisation Lebensmittelrationen zu erhalten Foto: Ebrahim Noroozi/dpa

K aum ein Land auf dieser Welt behandelt Frauen so schlecht wie das Taliban-Regime. In weniger als zwei Jahren haben die selbsternannten Gotteskrieger die Hölle auf Erden geschaffen. Nichts anderes hatten sie angekündigt. Die Taliban leben ihre menschenverachtende Geisteshaltung. Ihren Worten lassen sie Taten folgen – im Gegensatz zu unserer Bundesregierung.

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Am Flughafen von Kabul spielten sich apokalyptische Szenen ab, als die Taliban im August 2021 in Kabul einmarschierten. Zehntausende Menschen versuchten zu fliehen, klammerten sich in ihrer Verzweiflung an Flugzeuge und stürzten in den Tod. Die Welt war entsetzt. Trotzdem mahnten konservative Politiker in Deutschland, 2015 dürfe sich nicht wiederholen.

privat
Theresa Breuer

ist Journalistin und hat zehn Jahre lang im Nahen Osten und Zentral­asien als Reporterin und Filmemacherin gearbeitet, zuletzt als Afghanistan-Korrespondentin des Netzwerks Weltreporter. Sie ist Mitbegründerin der Initiative Kabul Luftbrücke, die nach dem Einmarsch der Taliban mehr als 3.400 Menschen sicher außer Landes brachte.

Nach der Bundestagswahl im Herbst 2021 kündigte Außenministerin Annalena Baerbock an: „Viele Menschen leben in täglicher Angst. Das gilt besonders für diejenigen, die mit uns für eine bessere Zukunft Afghanistans gearbeitet, daran geglaubt und sie gelebt haben. Am schwersten ist die Lage für die besonders gefährdeten Mädchen und Frauen. Gegenüber diesen Menschen haben wir eine Verantwortung, und wir werden sie nicht im Stich lassen.“

Die Ampelregierung beschloss ein Aufnahmeprogramm für gefährdete Afghaninnen und Afghanen. Es sollte gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Organisationen ausgearbeitet werden. Die Zusammenarbeit war ein einziges Debakel. Monatelang ließ das Innenministerium auf sich warten, bis Gefährdungskriterien für das Programm veröffentlicht wurden. Das Geschlecht allein hätte gereicht. Die Zeit raste.

Ausgang nur im Ganzkörperschleier

Schon am Tag 1 ihrer Herrschaft schafften die Taliban das Frauenministerium ab, schlossen Mädchenschulen und schlugen die anschließenden Proteste nieder. Trotzdem hatten die Vereinten Nationen gehofft, die Taliban zur Einsicht bringen zu können. Ohne Erfolg. Im Mai verkündeten die Taliban die Burka-Pflicht. Frauen sollten ab sofort nur noch im Ganzkörperschleier das Haus verlassen dürfen. Das Gewand schränkt Sicht und Bewegungsfreiheit ein, es gleicht einem Gefängnis aus Stoff.

Auf die Ankündigung folgte ein internationaler Aufschrei. Der Erlass war provokativ und völlig überflüssig. Die Burka ist keine Erfindung der Taliban. In vielen Teilen des Landes gehen Frauen ohne Burka nicht aus dem Haus – sofern es ihnen überhaupt erlaubt ist, das Haus zu verlassen. Warum ein Gesetz erlassen, das ungeschrieben seit Generationen gilt?

Ganz einfach, weil sie es können. Die selbsternannten Gotteskrieger haben eine Weltmacht gedemügt und bloßgestellt. Von den hehren Motiven, mit denen die USA und ihre Verbündeten den Krieg rechtfertigten, ist nicht viel übrig geblieben. Der überhastete Abzug ist zum Sinnbild westlicher Scheinheiligkeit geworden. Nun herrscht ein Terrorregime, mit dem der Westen nicht verhandeln will, es aber auch nicht ignorieren kann.

Zu viel Elend würde die Aufmerksamkeit wieder auf Afghanistan lenken, Fragen von Schuld und Verantwortung aufwerfen. Niemand hat ein Interesse daran, Bilder von hungernden Kindern zu produzieren. Das ist verständlich, aber verschlimmert das Problem. Wir helfen dem Taliban-Regime zu überleben und opfern dafür die Frauen.

Männer werden zu Verfolgern

Das System der Taliban ist perfide. Indem der Erlass nicht Frauen selbst, sondern ihre männlichen Angehörigen bei Verstößen bestraft, macht es alle Männer in Afghanistan zu Komplizen der Taliban. Sie sind für das Verhalten ihrer Frauen verantwortlich, müssen dafür sorgen, dass die weiblichen Angehörigen die Regeln der Taliban befolgen. Der Erlass beraubt Frauen jeglicher Autonomie, gibt ihnen keine Chance mehr, sich gegen­ die Vorschriften aufzulehnen oder bei Widerstand ins Gefängnis zu gehen.

Das Gesetz entmenschlicht Frauen, degradiert sie zu Eigentum ihrer männlichen Verwandten. Es schränkt nicht nur die Freiheit von Frauen ein, es gibt vor allem Männern in der Gesellschaft uneingeschränkte Macht. Kaum eine Frau in Afghanistan wird sich einer Regel widersetzen, wenn am Ende nicht sie selbst, sondern ihr männlicher Vormund dafür bestraft wird. Wenn es doch eine Frau wagen sollte, wird sie wahrscheinlich keine Märtyrerin für Frauenrechte, sondern nur ein weiteres Opfer von häuslicher Gewalt.

Afghanistan galt auch vor der Herrschaft der Taliban als eines der schlimmsten Länder für Frauen weltweit. Frauen werden von männlichen Angehörigen geschlagen, verstümmelt, mit Säure überschüttet und in Brand gesetzt. Als ein guter Ehemann gilt allein ein Mann, der seine Frau nicht grundlos schlägt. Die Taliban machen es einem leicht, Afghanistan zu vergessen. Sie begehen keine Massaker und ziehen auch nicht plündernd oder vergewaltigend durch das Land. Sie schränken Rechte ein.

Die internationale Staatengemeinschaft fordert, das zu unterlassen. Die Taliban unterlassen es, dieser Forderung nachzukommen. In Afghanistan leben 20 Millionen Frauen und Mädchen. Die meisten Afghaninnen können nicht lesen, haben keinen Zugang zum Internet, manche noch nicht mal die Vorstellung von einem anderen Leben. In den letzten 20 Jahren ist aber auch eine Generation herangewachsen, die eine Gesellschaft im Wandel erlebt hat.

Krieg und Terror waren allgegenwärtig, aber auch Schulbildung, mehr Selbstbestimmung, Frauen in der Politik, im Fernsehen, als Unternehmerinnen. Diese Frauen wollten ein freies, selbstbestimmtes Leben führen. Daran haben sie geglaubt. 40.000 Studentinnen dürfen seit letztem Dezember nicht mehr studieren. Als Frauen dürfen sie nicht arbeiten und noch nicht mal einen ­Reisepass allein beantragen. Sie brauchen internationale Hilfe. Die Frauen sind die größten Opfer des brutalen Unterdrückungsregimes in Afghanistan­. Sie gilt es zuallererst vor den Taliban zu schützen.

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8 Kommentare

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  • Alles glaubhaft, richtig und schlimm.



    Zuletzt stand noch hier zu lesen, dass der ganze militärische Einsatz in Afghanistan rein nix gebracht hätte. Sinnlos gar.



    Und jetzt, was folgt daraus, was tun?



    Ich befürchte: das muss die afghanische Gesellschaft komplett selbst in die Hand nehmen. Und wenn die das nicht packen, die Volksgruppen und Clans der Männer mit ihren Frauen zusammen für ihre Kinder? Dann ändert sich wohl nix.



    Der progressivste aber unwahrscheinlichste Fall: Alle die die es dort ankotzt dürfen in das freie/weniger freie oder am wenigsten freie Land ihrer Wahl ausreisen und bekommen dort Bleiberecht, von der UNO organisiert. Alle die bleiben sind halt Taliban-affin und haben ihr persönliches Glück gefunden.

  • Zuallererst: Danke für diesen Beitrag. Auch wenn er grauenvoll, empörend und schliesslich deprimierend ist.



    „Monatelang ließ das Innenministerium auf sich warten ... Die Zeit raste“ – Das ist für mich der Kernsatz, bzw. der Kern des Übels. Da sind zwei diametrale Welten am Werk. Auf der einen Seite bestbetuchte Ministerialbeamte denen es in keiner Minute an irgendetwas fehlt, im Gegenteil, deren Leben – im Weltverglich – im Überschuss an allem abläuft. Und auf der diametralen Seite Menschen, denen die Menschenwürde genommen wird, die um ihr nacktes Leben laufen, mit den Peinigern und Häschern auf den Fersen.



    Da es nicht geht, dass die Beamten für ein paar Monate ohne Kreditkarte, noch Smartphone oder Bargeld nach Afghanistan (den Sudan, Cherson, oder sonst-höllen-wohin) versetzt werden, um dort zu ERFAHREN was Zeit bzw. monatelang warten in solcher Situation bedeutet, sollten in solchen Situationen Menschen ans Werk die empirische ERFAHRUNG HABEN. Wie die Autorin vielleicht. Da ginge alles besser und rascher, kostete weniger Leben, und selbst den deutschen SteuerzahlerInnen weniger.



    Nachdem ich den Schluss des Beitrags gelesen hatte musste ich an John Lennon und Yoko Ono‘s „Woman is the nigger of the world“ denken. Über ein halbes Jahrhundert ist vergangen. Die Wahrheit im Lied nicht.

    • @Ardaga:

      Genau. Die SPD hat es damals vermasselt, und vermasselt es heute noch.

  • Meiner Einschätzung nach sind weibliche Menschen in Afghanistan Sklavinnen. Und jetzt, schlage ich etwas Furchtbares vor, was den Frauen und Mädchen aber vielleicht doch helfen würde: Die Frauen und Mädchen freikaufen und ihnen, sofern das ihrem Wunsch entspricht, in westlichen Ländern ein besseres Leben zu ermöglichen. Und diejenigen Frauen, die nicht in den Westen, sondern in moderat islamische Länder wollen, dort versuchen anzusiedeln. Ihnen helfen, dort kleine Geschäfte o.ä. zu eröffnen.

    Ich denke, der Ukraine-Krieg hat gezeigt, dass sich die Vorbehalte gegenüber Flüchtlingen meist auf Männer beziehen, nicht auf Frauen und weibliche Kinder. Ich bin überzeugt davon, dass fast alle Länder dieser Welt Frauen und weibliche Kinder aus Afghanistan aufnehmen würden, wenn diese das wünschen und dürfen.

  • Die Frage ist nur, wie sollen Frauen und Mädchen effektiv geschützt werden? Welche Druckmittel hat die "internationale Gemeinschaft" gegenüber einer religiös faschistischen Bewegung, wie die der Taliban? In Zeiten eines neuen Kalten Krieges zwischen Ost und West, in dem China und Russland die Talibanm aus geostrategischen Gründen eher hoffieren, als gemeinsame Sanktionen zu befürworten, ist zudem eine starke internationale Antwort fast unmöglich geworden. Die afghanische Bevölkerung lebt in Geiselhaft und wird sich nur mit militärischem Widerstand aus der Talibanherrschaft befreien können. Dabei könnte der Westen, sofern er es wollte, allerdings helfen.

  • Sorry, aber wen interessieren Frauen?



    Im letzten Jahrtausend gab es mal in den öffentlich rechtlichen Fernsehsendern ein Frauenmagazin "Mona Lisa". Die haben frühzeitig gewarnt, dass sich in Afghanistan etwas zusammen braut, da Taliban immer mehr Regeln gegen Frauen durchsetzten. Die Journalistinnen wiesen zu Recht darauf hin, dass das gar nicht geheime Programm der Taliban eine Gesellschaftliche Katastrophe und für die Weltgèmeinschaft massive Gefahr heraufbeschwöre. Bis dahin wurde als erster Schritt nur den Frauen das Leben zur Hölle gemacht und die Taliban waren noch etabliert genug, um sicher im Sattel zu sitzen. Daher riefen die Journalistinnen dazu auf, jetzt sofort gegen die Taliban vorzugehen, bevor sie sich besser festsetzen könnten. Die Journalistin bemerkte aber auch, dass sie da kaum Handlungswahrscheinlichkeit sähe, da es bisher ja "nur" Frauen treffe. Und internationale Politiker genau wie die Bundesregierung keinerlei Anzeichen zeigten, Frauen zu helfen.



    Wie Recht sie behalten sollte!



    Auch mit der Gefahr für die Weltgemeinschaft.



    Und eben auch mit der Verachtung vor Frauenschicksalen.



    Wer glaubt ernsthaft, dass sich da etwas geändert hat? Besonders jetzt, da Rechtsparteien wieder Mode werden? Die sind schließlich noch frauenverachtender als die anderen Parteien im Bundestag - so weit das möglich ist...

  • Kann mir jemand hier bitte erklären, was man den mit Afghanistan machen soll? Als die Natotruppen dort waren, wollten alle, dass sie unbedingt gehen. Jetzt sieth man aber, was passiert.

    • @__tester:

      Vielleicht mal nichts.



      Das soll jetzt kein Zynismus sein, aber wenn man sieht, dass bei uns auch Jahrzehnte Aufsicht benötigt wurden, damit sich trotz einer demokratischen Vorgeschichte und vieler schon vorangeschrittener soziökonomischer Prozesse, die Demokratie dauerhaft etablieren konnte.



      Afghanistan zu min. 95% unter demokratische Kontrolle bringen und dann 50 Jahre massiv begleiten und unterstützen, dafür wird man derzeit kaum jemanden außerhalb Afghanistans finden.



      Vielleicht sickern über Internet und andere Informationsquellen langsam Reformideen ein oder die Gesellschaft ändert sich einfach von innen. Wenn man sich die gesellschaftliche dort in den letzten 200 Jahren ansieht kann das schon noch etwas dauern.