piwik no script img

Sonneberg, Frankreich und HeizungsgesetzEs bleibt Horror

Ein AfD-Mann als Landrat und keiner weiß, was der macht. In Frankreich hat die Polizei den Jugendlichen Nahel M. erschossen und es gibt Proteste.

Paris, 2. Juli 2023 Foto: Juan Medina/rtr

t az: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?

Friedrich Küppersbusch: Trotz „Wagner“-Implosion kein Frieden.

Und was wird besser in dieser?

Gern weiterimplodieren.

In Sonneberg wird erstmals ein AfD-Kandidat zum Landrat gewählt. Was hilft jetzt?

Unaufgeregtheit. Die AfD hat Alarm kassiert bis hin zur New York Times; das letzte Mal der Corona-Ausbruch nach einer Karnevalsfeier hatte so geschallert. Beides nicht so lustig. Beruhigend für eine Partei, die sich notorisch medial übergangen sieht. Außerhalb einer harten Nerdszene weiß kein Schwein, was einen guten Landrat von einem schlechten unterscheidet, ob der vaterländische Verwalter jetzt Rassentrennung auf Radwegen einführt oder kurz telefonisch mit Putin diese leidige Ukrainesache klärt. Hilfreich wird also, nüchtern zu gucken, ob der Neue liefert. Was er auf Plakaten versprach, liegt außerhalb seiner Amtsgewalt. Aus dieser sachlichen Perspektive heraus wäre Sonneberg kein Multispreader-Event, sondern ein Wahlkreis, der sich tüchtig vertan haben könnte. Helfen hilft nix, die wollen Autorität.

Der ­Bundesfinanzminister Christian Lindner sagte bei einem Auftritt in Weimar zum Sieg der AfD: „Das größte Standortrisiko für Ostdeutschland ist die AfD.“ Kämen Sie als Fachkraft noch nach Deutschland?

Der Klassiker „Was sollen denn die anderen denken“ lenkt hilfreich davon ab, es selbst zu tun. Versuchen wir’s trotzdem: Sonneberg zum Beispiel hat unterdurchschnittliche 5 Prozent Arbeitslose, unter Nichtstaatsbürgern jedoch über 11 Prozent. Der Landkreis ist nationaler Rekordhalter im Mindestlohn, nirgends ist der Anteil an Mindestlöhnern höher als hier. Kümmerstaat mal Perspektivlosigkeit gleich Langeweile. Erz-, Glas- und Spielzeugindustrie starben nacheinander weg, hier bräuchte es erst mal Ansiedlung, damit man sich dann drüber ärgern kann, wenn keine Fachkräfte folgen. Genau genommen müsste der FDP-Chef also standortscheue Unternehmer kritisieren. Dann wäre Lindner aber selbst ein Standortrisiko.

In Frankreich erschoss ein Polizist am Dienstagmorgen den 17-Jährigen Nahel M. in Nanterre. Mehrere Nächte in Folge kam es zu Ausschreitungen. Die Polizei, gegen die sich die Krawalle richten, soll die Lage beruhigen. Geht so De­eskalation?

Man mag die Revolution, Barrikaden und „An die Laterne!“ als Frankreichs staatsbegründende Folklore lesen heute – um den Horror der bürgerkriegsähnlichen Bilder einzusortieren. Wenn man damit fertig ist, bleibt Horror. Ein Gesetz von 2017 erlaubt es der Polizei, bei „Befehlsverweigerung“ zu schießen. Das führte zu 13 Toten bei Verkehrskontrollen 2022. Der Todesschütze diesmal ist Afghanistanveteran und ordensgeschmückter Gelbwestenbekämpfer. Die Eskalation hat einen Trumpf – auf sie ist Verlass. Beide Seiten sind drauf verabredet. Deeskalation fängt damit an, dass jemand sie will.

Die Ampel feierte die Einigung zum Heizungsgesetz. Die Sonderregel für über 80-Jährige wurde nun gestrichen. Ist das Altersdiskriminierung?

Die Greisenklausel war ein gut gemeinter Selbstmordanschlag: Klimawandel jetzt mit vermindertem Eintritt für Rentner, Schüler und Kriegsversehrte. Vulgo: Was da vor uns liegt und die Ampel verlangt, ist nur was für starke Gemüter, Leistungsfähige. Deutlicher kann man „Zumutung“ nicht formulieren.

Das Gebäudeenergiegesetz sei ein „Meilenstein für den Klimaschutz“, sagen die Grünen. Wer kann die Novelle nach all dem Streit noch feiern?

Leute, die nach 168 Seiten ungefähr gar nichts verstanden haben. Das Ding ist unfassbar kompliziert, fachchinesisch, mit Querbezügen durchschrotet – ich wäre stolz gewesen, die Hälfte als Masterarbeit abzugeben. Den Inhalt versteht kein Mensch, aber wissenschaftlich wurde sauber gearbeitet.

Auch Delfine sprechen mit ihrem Nachwuchs „Babysprache“, steht in einer Veröffentlichung eines internationalen Forscherteams. Wer sollte seine Kommunikation an die Zielgruppe besser anpassen?

Mit etwa einem halben Jahr brabbeln Menschenbabys kleine Laute. Das triggert die Eltern, die sofort losdutzidutzi, weil sie denken, das Kleine begänne zu reden. Tatsächlich geht’s nur drum, die Eltern zum Quatschen zu kriegen, um so – deutlich später – selbst sprechen zu lernen. Ich mache jetzt hier definitiv nicht den Vergleich zu Wahlergebnissen in Ostdeutschland.

Was machen die Borussen?

Erstes Spiel neue Saison gegen Köln. Ja, die haben uns acht Minuten das Gefühl gegeben, Meister zu werden voriges Mal. Nein, wir sind nicht nachtragend.

Fragen: Adefunmi Olanigan

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Friedrich Küppersbusch
Jahrgang: gut. Deutscher Journalist, Autor und Fernsehproduzent. Seit 2003 schreibt Friedrich Küppersbusch die wöchentliche Interview-Kolumne der taz „Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?".
Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Köln hat nicht die Meisterschaft für Dortmund versemmelt. Das war Dortmund selbst. Daher gibt es auch nichts nachzutragen.



    Und acht Minuten das Gefühl zu haben Meister zu sein ist ja besser als nichts.

    • @Mallorcajoerg:

      Gefühlt waren sie doppelt so lange Meister wie Schalke. Wenigstens etwas.