Friedensarbeit in der Kirche: Die Christen und der Krieg
Seit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine ringen viele Christen um ihre Haltung zu Waffenlieferungen. Was bedeutet das für den Pazifismus?
F riedrich Kramer, Pfarrerskind und friedensbewegt seit seiner Jugend in Wittenberg, kommt in den Saal, Papiere unter dem Arm. Der Raum, Balkendecke, viel Backstein, hat etwa achtzig Plätze und ist gut gefüllt, gesetztes Publikum, gepflegtes Auftreten, viel weißes Haar. Der Abend wird vom Kantor am Flügel umrahmt. Es gab schon Bach. Ein Heimspiel für Kramer.
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Er ist Bischof der Mitteldeutschen Kirche und nach Stendal gekommen, einer 40.000-Einwohner-Stadt im Norden Sachsen-Anhalts, um über den Frieden zu reden. Neben der Auferstehung ist Frieden schließlich der Markenkern der Kirche und Kramer im Nebenamt so etwas wie sein Botschafter. Kramer ist Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland, der EKD.
Im Januar 2022 ist er ins Amt gekommen. Sein Auftrag: Die Friedensarbeit der evangelischen Kirche zu repräsentieren und sich dazu zu äußern. Bis Februar 2022 war das ein übersichtliches Feld: Kramers Vorgänger geißelte Atomwaffen und Landminen, er forderte gewaltfreie Konfliktlösungen und die Eindämmung deutscher Rüstungsexporte. Als „wichtiger und unbequemer Mahner“ wurde der Beauftragte in den Ruhestand verabschiedet. Kramer übernahm.
Einen Monat später überfiel Russland die Ukraine. Der oberste Friedensmann der Protestanten muss seitdem das thematisieren, was er doch überwinden will. Das Thema des Abends ist nicht der Frieden, sondern sein alter böser Feind, der Krieg „als theologisch-kirchliche Herausforderung“.
Wer heute alles das Wort Frieden im Munde führe, wundert sich Kramer, und ruft: „Frieden schaffen ohne Waffen!“ Neulich musste er sich in Halle anhören, wie ein Neonazi diese Losung brüllte, die jeder junger Pazifist im SED-Staat laut oder auch leise rief und dafür viel in Kauf nahm.
Friedrich Kramer, 58 Jahre alt, hat als junger Mann in der DDR den Militärdienst an der Waffe verweigert, war als „Bausoldat“ in Prora auf Rügen stationiert und musste in den 18 Monaten beim Bau des Hafens Mukran schuften. Bausoldaten waren nichts anderes als Zwangsarbeiter. Und jetzt bemächtigen sich Rechtsradikale Kramers Idealen.
Biblischer Pazifismus und tätige Nächstenliebe
Es ist schon eine verkehrte Welt. Die Falschen sagen das Richtige. Und den Richtigen wird Falsches vorgeworfen. Die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus gelte seit einem Statement in der ARD im März als Fürsprecherin von Waffenlieferungen. Dabei habe sie doch nur gesagt, „sie akzeptiert Waffenlieferungen als Ultima Ratio“, beteuert Kramer. Tatsächlich kann man Kurschus seit ihrem Auftritt bei „Anne Will“ immer wieder dabei zusehen, wie sie als oberste Protestantin händeringend versucht, den biblischen Pazifismus mit der tätigen Nächstenliebe für ein überfallenes Land und seine Menschen zusammenzuführen. Und man kann dabei hören, wie dieser Spannungsbogen ächzt.
Die evangelische Kirche, die sich 1945 lossagte von Kriegsrhetorik, Waffensegnung und Hurrapatriotismus und sich stattdessen auf den neutestamentlichen Pazifismus besonnen hat, ringt seit dem Überfall auf die Ukraine um eine eindeutige Position.
Da findet sich die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käsmann an der Seite von Linken-Ikone Sahra Wagenknecht wieder, aber auch neben dem AfD-Vorsitzenden Tino Chrupalla. Und die Ratsvorsitzende der EKD Anette Kurschus ruft deutschen Waffenlieferungen ein verschämtes Okay hinterher. Kathrin Göring-Eckart von Bündnis90/Die Grünen, auch eine prominente Protestantin, vier Jahre lang Vorsitzende der EKD-Synode, konnte es mit den deutschen Panzern für die Ukraine dagegen nicht schnell genug gehen.
Ja, die evangelische Kirche rede mehrstimmig, bekennt Friedrich Kramer. „Wir finden uns in Zerrissenheit wieder“, sagt er seufzend. Und immer wieder diese arg verkürzte Frage nach Waffen – ja oder nein? Er ist strikt dagegen und empfiehlt das Gebet um Frieden, Gespräche mit der Gegenseite und humanitäre Nothilfe, selbstverständlich ohne Waffen. „Die Waffen, die wir liefern, werden Tod bringen.“ Habe Jesus nicht Gewalt abgelehnt? „Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.“
Mit diesem Herrenwort unterlegt Kramer seine Rede und schließt mit zwei fast weihevollen Verheißungen: „Wir Deutschen werden uns nicht mehr an Krieg beteiligen.“ Und: „Wir Deutschen haben verlernt, Krieg zu führen.“
Viele der sechzig, siebzig Zuhörer klatschen. „Ihre Rede war grandios, ich bin tief berührt“, bedankt sich einer. „Herr Landesbischof, wie schätzen Sie die Ursachen des Krieges ein“, fragt ein anderer. „Können wir nicht alle einen Brief an die russische Duma schreiben, in dem steht, wir bedrohen euch nicht“, regt ein Dritter an. Die Friedensrede geht in eine Diskussion über, viel Kopfnicken, zwischendurch Applaus. Der Ortspfarrer sitzt abseits und streicht sich über den Bart.
Da plötzlich steht ein Mann im Saal und stellt ihm, als wäre er der biblische Versucher, eine Falle: Was soll man tun, wenn einem Fünftklässler auf dem Schulhof von zwei Achtklässlern das Handy weggenommen wird? Kramer antwortet zunächst, die Eltern sollten informiert werden, keinesfalls jedoch sollte man Knüppel reichen. Dann aber weist er die Frage ab. Für den Krieg in der Ukraine würde dieses Gleichnis nicht passen, sagt er und will den Disput beenden. Der Mann, mit weißem Bart und weißem Haupthaar, bleibt stehen und spricht vernehmbar ins Rund: „Ich bin der Meinung, es können gar nicht genug Waffen in der Ukraine sein!“
Einen Augenblick lang scheint dem ganzen Saal der Atem zu stocken. Unsicher blicken Christen einander an. Applaus gibt es keinen, Protest allerdings auch nicht. Erleichterung macht sich breit, als der Störenfried sich wieder gesetzt hat. „Ich bin Diplom-Militärwissenschaftler“, sagt ein anderer zu Kramer. „Sie waren in Prora, ich war auf der anderen Seite. Jetzt sind wir zusammen!“ Ein Absolvent der DDR-Militärakademie und ein ehemaliger Bausoldat, vereint im Kampf für den Frieden in der ehemaligen Sowjetunion – Kramer dürfte innerlich zusammenzucken. Gut, dass der Kantor bald den Schlussakkord setzt und alle singen: „Gib Frieden Herr, gib Frieden, die Welt nimmt schlimmen Lauf …“
Zweihundert Kilometer weiter südlich, in Erfurt, kommt es nicht zu solchen Überraschungen. Zwei Kerzen auf dem Altar, ein Kruzifix, an der Wand geschnitzte Heilige, der Vorbeter, ein Laie, beginnt: „So wollen wir Fürbitte halten – für die Ukraine, für den Jemen, für Syrien, für Bergkarabach. Für die über 100 Millionen Flüchtlinge und Heimatlosen, Herr im Himmel, wir bitten dich …“ Das Friedensgebet in der Erfurter Innenstadt nimmt alle Kriegsschauplätze mit auf. Etwa zwanzig Menschen sind gekommen, evangelische und katholische Christen. Viele kennen sich. Es ist eine Art Szenetreffen, wobei die Szene in die Jahre gekommen ist.
„Schwerter zu Pflugscharen“ ruft es vom Emblem am Portal, in der Mitte eine Figur, die das tut, was der Prophet Micha von 2.700 Jahren verheißen hat: Mit kraftvoller Geste schmiedet sie ein Schwert zur Pflugschar um.
In Erfurt ruft das Symbol zum ökumenischen Friedensgebet, das hier jeden Donnerstag um fünf Uhr in der Lorenzkirche stattfindet. Friedensgebete, so hatte Kramer gesagt, seien ein Schatz der Kirche. Das bekannteste lädt montags in die Leipziger Nikolaikirche ein, das älteste aber in die Lorenzkirche in Erfurt. „Seit 1978“, sagt Dieter Oberländer. Mehr als ein halbes Leben lang ist er schon dabei.
Initiiert haben das zwei Mütter, berichtet Oberländer. 1978 erreichte die Militarisierung der DDR einen neuen Höhepunkt. In Schulen führte die SED verpflichtend das Fach „Wehrkundeunterricht“ ein. Politoffiziere kamen in die Klassen und geißelten die Nato. Halbwüchsige lernten, wie sie provisorische Gasmasken fertigten und sich beim Atomschlag vor der tödlichen Strahlung schützten. Um dem etwas entgegenzusetzen, haben die Mütter am zentralen Erfurter Anger das wöchentliche Gebet initiiert, Protestanten und Katholiken gemeinsam.
In einem Café in der Nähe erzählt Oberländer, wie er als Fünfjähriger das verbrannte Dresden erblickte, wie er und seine Mutter den Bombenhagel auf Erfurt überstanden. Als er als junger Mann im VEB Starkstromanlagenbau Erfurt die Gründung der NVA, der DDR-Armee, bejubeln sollte, weigerte er sich, kündigte, absolvierte eine kirchliche Ausbildung und begann in seiner Heimatstadt Erfurt als „Jugendwart“ zu arbeiten. Oberländer gehörte seitdem zu der Handvoll kirchlicher Mitarbeiter, die junge Männer wie Friedrich Kramer vor und während des Bausoldatendienstes seelsorgerlich begleiteten.
Man kann Oberländer, Jahrgang 1939, als standfesten Senior der Erfurter Friedensbewegung bezeichnen. Dennoch hat er angesichts des russischen Überfalls seine Überzeugung überprüft. Die beiden Initiatorinnen lassen sich nicht mehr treffen, bedauert Oberländer. Eine der Frauen sei verzogen, die andere leider verstorben. Leute wie Oberländer, meist Männer, allesamt Rentner, haben die Fackel weitergetragen.
„Vater im Himmel, wir bitten dich …“, sagt der Vorbeter in der Lorenzkirche, ein alter katholischer Friedensmann. Es ist eine schlichte Liturgie, nichts Besonderes, etwa zwanzig Minuten Gebet, die Lieder sind ohne Begleitung. Es geht um die Vision, dass aus Schwertern Pflugschare werden, um ihre Wiederholung und um Beständigkeit.
Ist Oberländer, inzwischen über achtzig Jahre, selbst beständig? „Schwerter zu Pflugscharen ist eine hilfreiche Utopie, ein Zielgedanke“, beginnt er. „Aber was bedeutet das, wenn Menschenleben direkt bedroht sind?“ Jetzt müssten Leben gerettet werden, und das schließe Gewalt nicht aus. „Ich bin nicht gegen Waffenlieferungen“, formuliert er vorsichtig. Die Spirale der Gewalt könne allerdings nicht ins Unendliche weitergehen. „Wir sind jetzt mittendrin.“ Es klingt sorgenvoll.
Gibt es Streit unter den Friedensfreunden? „Nein.“ Man rede. „Es gibt welche, die sagen: ‚Schluss, wir können da nicht mitmachen!‘“, erzählt Oberländer. Doch was wäre die Alternative? Sollten sich die Ukrainer ergeben? Und sollten sie anschließend gewaltfreien Widerstand leisten? „Gewaltfrei müsste es bleiben und der Widerstand müsste wachsen“, sinniert er.
Oberländer kommt auf die Gewaltfreiheit in der DDR zu sprechen. „Bei uns hat das vierzig Jahre gedauert, bis zu den Kerzen im Herbst 1989.“ Man merkt, wie sich da einer herantastet an den Riss, der die Kirche durchzieht. Dann bekennt Oberländer: „Ich lasse mir nicht sagen: Jetzt gibst du deinen Pazifismus auf!“ Er klingt, als antworte er auf Anfechtungen. Leicht sind die Gespräche unter alten Freunden wohl nicht.
Erfurt ist nicht nur die Stadt des Friedensgebetes, sie ist auch die Stadt des jungen Luthers. 1505 trat er hier ins Augustinerkloster ein. Mit Kriegen hatte er weniger Probleme. Gewissenszweifel plagten ihn beim Seelenheil, Krieg und Gewalt galten als Folgen einer unerlösten Welt. Und diese muss von der Obrigkeit mit dem Schwert regiert werden. Die Zwei-Reiche-Lehre, die sich auf Luther beruft, baut darauf auf. Die evangelische Kirche hat in den Jahrhunderten auch mit dieser Lehre alles praktiziert, was ihr Kritiker vorwerfen: Sie hat Waffen gesegnet, hat Menschen töten und Länder überfallen lassen, sie hat Feindbilder gepredigt, zum Krieg gehetzt und zum Feldzug gerufen.
Sie hat sich aber auch mit den Mächtigsten im Staat angelegt, hat den Erniedrigten beigestanden, sie hat Feindesliebe verkündet und Pazifismus. Kurzum – sie hat Großes geleistet und Verachtenswertes getan. Es gibt Protestanten, die in sich beides vereinen.
Das Martin-Niemöller-Haus in Berlin-Dahlem erinnert an so einen Geist. Namensgeber Martin Niemöller hat als U-Boot-Kommandant im Ersten Weltkrieg Schiffe versenkt, trat als Deutschnationaler 1918 einem Freikorps bei und hat die Weimarer Republik bekämpft. Nach 1933, da war er schon Pfarrer in Dahlem, hat er die NS-treuen Deutschen Christen bekämpft, war persönlicher Gefangener Adolf Hitlers, hat acht Jahre im KZ überlebt und ist nach 1945 zu einer Leitfigur der Friedensbewegung geworden.
Niemöller war ein scharfer Kritiker der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik, wurde Präsident der deutschen Friedensgesellschaft, protestierte gegen die Stationierung von Atomwaffen und hat als greiser Mann gegen den Nato-Doppelbeschluss demonstriert. 1979 hat er seine Dahlemer Grabstelle an der Annenkirche an Rudi Dutschke abgetreten. Der einstige Studentenführer, auch stark von evangelischen Denkern geprägt, war Heiligabend an den Spätfolgen eines Attentats gestorben.
Ulrich „Uli“ Sonn kommt die Treppe zum Niemöller-Haus hoch. Schnell schließt er den Kreis von Niemöller zu Dutschke und den Protestbewegungen der achtziger Jahre – Frauenbewegung, Friedensbewegung, Öko-Bewegung. Die evangelische Kirche, jedenfalls ihr linker Flügel, war immer mittendrin. „Das schlägt sich in der Tür nieder.“ Sonn weist auf eine schmucklose graue Innentür. Sie ist übersät mit Aufklebern, die alle nach einer friedlichen Welt rufen: Atomwaffenfreie Zone! – Kein Blut für Öl! – Nie wieder Krieg! – Frieden schaffen ohne Waffen! Der Erfurter Schmied ist auch mit dabei: Schwerter zu Pflugscharen!
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Solche Türen kennt man aus Studenten-WGs. Das Niemöller-Haus war in den Achtzigern selbst so etwas wie eine Friedens- und Öko-WG, beschreibt Sonn. Die politischen Forderungen der jungen Leute – viele studierten nebenan an der Freien Universität – und die urchristliche Sehnsucht nach Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung ergänzten sich. „Es war unheimlich viel Bewegung.“
Dieser intensiven Zeit bereitete der Mauerfall ein jähes Ende. Die Aufmerksamkeit wanderte nach Berlin-Mitte, die jungen Leute zogen mit. Dahlem wurde wieder Randlage und ist heute wieder das, was es zu Niemöllers Zeiten war – ein beschaulicher Stadtteil mit herrschaftlichen Häusern.
Es sei der Dahlemer Gemeinde hoch anzurechnen, dass sie die Immobilie nicht verkauft habe, sondern sanieren ließ, sagt Katja von Damaros. Die ehrenamtliche Vorsitzende des Trägervereins ist zum Gespräch hinzugekommen.
Unter ihrer Federführung wurde das Haus grundlegend erneuert. Die graue Tür blieb allerdings verschont. Mit dem Abschluss der Bauarbeiten 2019 kam es zu einer Neuausrichtung, erzählt Katja von Damaros. Das Haus erinnert weiterhin an den NS-Kirchenkampf, aber ist auch Lernort mit Workcamps, Seminaren und Bibliothek, es ist Heimat des Friedenszentrums, für dessen Programm Uli Sonn verantwortlich ist, Veranstaltungsort der Kirchengemeinde und Kindergarten. Und seit einem Jahr ist es ein wöchentlicher Anlaufpunkt, wo ukrainische Flüchtlinge Beratung finden. Hat sich dadurch etwas verändert?
Die Grundfrage, wie Zukunft gemeinsam friedlich gestaltet werden soll, habe sich nicht verändert, sagt Uli Sonn. Es gehe nicht um die Frage, Waffen liefern oder nicht. Die Aufgabe beginne früher. „Unsere Aufgabe ist es, präventiv zu arbeiten.“ Da habe man Erfahrung. „Wir haben jahrelang Versöhnungsarbeit auf dem Balkan geleistet.“
Irgendwann müssten Russen und Ukrainer wieder miteinander reden. „Natürlich ist es eine völkerrechtswidrige Invasion,“ keine Frage. Aber Russen und Ukrainer blieben doch Nachbarn. Sei es nicht Irrsinn, dass man keine russischen Komponisten mehr spielen wolle? „Wir müssen entgiften.“ Uli Sonn, er hat schon die siebzig überschritten, redet sich langsam in Fahrt.
Der alte Niemöller hatte eine einfache Botschaft: Wer Frieden will, muss mit dem Feind reden! „Das Plakat hing lange am Haus“, erzählt Sonn und hebt die Arme. „Ich würde es gern wieder aufhängen.“ Niemöllers Lebensprinzip, sagt Katja von Damaros, war noch einfacher. „Er fragte: Was würde Jesus dazu sagen? Und nicht: Was würde der Bundespräsident dazu sagen?“ Oder eben die Medien, ergänzt Sonn. „Die Mentalität des Kalten Krieges wird wieder hochgeholt,“ gepflegt von Leuten, die deutlich später geboren wurden. Das beunruhige ihn. „Diese Mentalität erinnert mich an die fünfziger Jahre.“
Ja, die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus ringt sichtlich um ihre Position zu Waffenlieferungen. Aber sie ringt nur mit sich, nicht für die Kirche. „Sie kann das gar nicht dekretieren“, sagt Sonn. Und auch ein Bischof könne das nicht. „Das ist das Erbe des NS-Kirchenkampfes.“ Die Kirche soll sich vom Staat fernhalten. „Und sie soll das Gewissen schärfen.“
Die Kirche tat es in der DDR, sie tat es in der alten Bundesrepublik. Und sie soll es heute tun. „Wie sich diese Gewissensentscheidung dann manifestiert“, schließt der alte Pazifist Uli Sonn, „ist Sache eines jeden Einzelnen“. Und diese Entscheidung ist schwer genug.
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