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Angriff auf Belgorod in RusslandAuf Klaviatur des Kremls spielen

Kommentar von Barbara Oertel

Nach dem Angriff auf Belgorod erhitzt sich die Debatte um Waffenlieferungen an die Ukraine. Viele Fragen sind offen, aber wer das Opfer ist, ist klar.

Russische Schüler bei Militärübung in Belgorod (von russischer Staatsagentur verbreitetes Foto) Foto: Anton Vergun/Sputnik/imago

M ehr vom Gleichen? Mitnichten. In dieser Woche bestimmte Russlands Krieg gegen die Ukraine, der seit 15 Monaten andauert, wieder einmal die Schlagzeilen. Mit Angriffen zweier dubioser paramilitärischer Gruppen, der russischen Freiwilligenlegion „Freiheit für Russland“ und des russischen Freiwilligenkorps RDK, auf die südrussische Region Belgorod an der Grenze zur Ukraine scheint eine neue Eskalationsstufe erreicht zu sein.

Doch anstatt sich mangels nicht zu überprüfender „Fakten“ bei der Bewertung in vornehmer Zurückhaltung zu üben, haben einige Spezialisten sofort eine Analyse zur Hand: Hinter dieser Aktion könne ja nur die ukrainische Führung stecken. Kyjiw wolle nicht nur die Kontrolle über seine von Moskau völkerrechtswidrig annektierten und besetzten Gebiete wiedererlangen, sondern trage den Krieg jetzt auch noch nach Russland hinein.

An dieser Stelle sei daran erinnert, wer in diesem barbarischen Feldzug, der große Teile der Ukraine verheert und Tausende Tote gefordert hat, der Angreifer ist und wer der Angegriffene. Und an Artikel 51 der UN-Charta, der das Recht auf Selbstverteidigung festschreibt.

Jede*r, der oder die wider besseres Wissen im Fall Belgorods etwas anderes behauptet, spielt auf der Klaviatur des Kremls und damit auch all denjenigen in die Hände, die den Westen spalten wollen, jegliche Waffenlieferungen am liebsten schon gestern eingestellt hätten und bereit wären, die Ukraine zu opfern. Genau dies aber ist keine Option, ja es darf keine sein.

Putin wird reagieren müssen

Die Gefechte in Belgorod, vielleicht der Auftakt zu weiteren Vorstößen in Richtung anderer russischer Grenzregionen, werfen viele Fragen auf, die derzeit unbeantwortet sind. Jedoch könnten diese Kampfhandlungen das weitere Kriegsgeschehen erheblich beeinflussen. Ein partieller Rückzug der Streitkräfte aus der Ukraine, um die eigenen Grenzen schützen zu können?

Klar ist: Wladimir Putin und seine Entourage werden reagieren müssen, die Erklärungsnot gegenüber der eigenen Bevölkerung wächst. Dass die Nerven blank liegen, zeigt auch das Hysterischwerden des offiziellen Diskurses, nur ein Indiz unter vielen.

Aber auch die ukrainische Führung steht unter Druck. Sie muss liefern, nicht nur im Hinblick auf die immer kriegsmüder werdenden Ukrainer*innen, sondern auch auf ihre westlichen Verbündeten. Doch selbst wenn die Gegenoffensive, wie viele Ex­pert*in­nen annehmen, für die Ukraine nicht die erhoffte Wende bringt – zu der Ankündigung von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und anderen westlichen Po­li­ti­ke­r*in­nen: „For as long as it takes“, gibt es keine Alternative. Das bedeutet jedoch keine Carte blanche für die Führung in Kyjiw. Denn das wäre falsch verstandene Solidarität.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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11 Kommentare

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  • Skatelefants , Moderator

    Vielen Dank für Eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion geschlossen.

  • Viel erhitzte Gemüter in der Tat. Es sei ein wenig ergänzend was gesagt:

    Die Beteiligten:

    Die Einheit "Freiheit für Russland" ist teil der Internationalen Legion der Ukraine, ist befehlstechnisch & logistisch in die Internationale Legion eingegliedert. Erhält Ausbildung durch reguläre Ukrainische Truppen, so z.B. auch am Britischen NLAW-Manpad. de.wikipedia.org/w...Freiheit_Russlands

    Die Einheit Russisches Freiwilligen Corps -RDK. Ist nach eigener Aussage Teil der Internationalen Legion, was die Ukraine jedoch bestreitet. Der Anführer Denis Nikitin, ist ein dem verfassungsschutz bekannter Neonazi der Russischer staatsbürger ist, und zwischen Zeitlich in Deutschland lebte. Das RDK Operiert in der Ukraine.de.wikipedia.org/w...Freiheit_Russlands

    Drei große Fehleinschätzungen:

    1. Die rezenten Ereignisse sind eine Neue Situation:

    Zwar ist eine inkursion dieser Stärke so neu, aber, es ist eine schlechtinformierte Fehlannahme, dass dieser Vorfall ohne Präzedenz sei. So wird entlang der gesamten Ukrainische-Russischen Grenze, nahezu täglich Artillerie Feuer ausgetauscht. Darüber hinaus hat das RDK bereits im März 2023 die Russisch ukrainische Grenze im Bryansk-Oblast (nahe weißrussland) überquert, und dort ein Dorf angegriffen, dabei gab es tote Kämpfer & Civilisten. Quelle: www.zdf.de/nachric...-russland-100.html

    2. Es handle sich hierbei um einen Angriff Russlands auf Russland bzw. eine Art Bürgerkrieg.

    Selbst wenn nicht der Ukrainische Generalstab diese Sache auf höchster Ebene absegnete, ist eine beteiligung bzw. Kentnis von Teilen der Ukrainischen Armee, beim besten Willen nicht hinwegzudenken. Wären es Freiwilligen Verbände deutscher Kämpfer gewesen, hätte ja auch niemand behauptet das sei ein Angriff Deutschlands auf Russland gewesen. Es liegt somit ein Ukrainischer Angriff vor.

    3. Dies sei unzulässig

    Die Ukraine kann legitim auch russisches Staatsgebiet angreifen.

  • "zu der Ankündigung von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und anderen westlichen Po­li­ti­ke­r*in­nen: „For as long as it takes“, gibt es keine Alternative."

    Erstens ist dies Unsinn, es gibt immer Alternativen und abwägbare Optionen. Zweitens sollte allein die Ukraine Entscheiden ob und wie sie Ihre Kampfhandlungen fortsetzen will. Nicht die NATO, und auch nicht westliche Politiker.

    "Jede*r, der oder die wider besseres Wissen im Fall Belgorods etwas anderes behauptet, spielt auf der Klaviatur des Kremls und damit auch all denjenigen in die Hände, die den Westen spalten wollen, "

    Auch dies ist Unsinn, eine demokratische Debatte ist umso wichtiger wenn es um Leben und Tod geht. Eine freie, offene Debatte zu wichtigen Themen sollte in einer Demokratie ohne Diffamierungen und Polemik geführt werden. Dass gilt hier genauso wie bei den unsäglichen Corona Debatten in Deutschland. Wer am Ende Recht hatte wird man oft nie, womöglich erst nach vielen Jahren erfahren.

  • Nicht nur ist der Einsatz völkerrechtlich abgedeckt, sondern auch militär-strategisch klug. Abgesehen davon hat das faschistische Regime im Kreml die selbe Nummer im donbass durchgezogen als Teil der eigenen imperialistischen Expansionspolitik.



    Dann sollen die Russo-Faschisten mal jetzt schön die hunderte Kilometer an Grenze mit Soldaten und Gerät sichern. Wird der Ukraine bei der Gegenoffensive helfen, wann auch immer die kommen mag.

  • 》Doch anstatt sich mangels nicht zu überprüfender „Fakten“ bei der Bewertung in vornehmer Zurückhaltung zu üben, haben einige Spezialisten sofort eine Analyse zur Hand: Hinter dieser Aktion könne ja nur die ukrainische Führung stecken. Kyjiw wolle nicht nur die Kontrolle über seine von Moskau völkerrechtswidrig annektierten und besetzten Gebiete wiedererlangen,sondern trage den Krieg jetzt auch noch nach Russland hinein《

    Unter ihnen auch der TAZ-Korrespondent in der Ukraine, Clasen: 》Geschwundene Glaubwürdigkeit

    Der Angriff auf russische Dörfer war natürlich ein Angriff durch den Staat Ukraine. Er geht auch gegen die Kriegsmüdigkeit der eigenen Bevölkerung《

    taz.de/Besetzung-r...schaften/!5933437/

    Und Joschka Fischer sagt gerade im Interview mit dem Tagesspiegel: 》Kissinger hat eine Warnung ausgesprochen: Wenn beide Seiten so weitermachen, dann geraten sie in den Dritten Weltkrieg. Sind Sie auch so skeptisch?



    Ich meine, die Möglichkeit ist nie auszuschließen. Es können Unglücke passieren, junge Männer in Militärmaschinen Unbedachtes tun.《

    www.tagesspiegel.d...erden-9880979.html

    "Vornehme Zurückhaltung" ist dann vielleicht doch das Gegenteil von verantwortungsvoller Risikoanalyse, und weder Clasen noch Fischer lassen sich unter "Auf Klaviatur des Kremls spielen" wirklich einordnen (sowieso eine Unsitte aus den Zeiten des Kalten Kriegs, als ungefähr alles, was Spzialdemokraten zur Ostpolitik sagten, von der Union unter "5. Kolonne Moskaus" diffamiert, Willy Brandt als "Emigrant" ('nicht für Deutschland gekämpft') geschmäht und die Anerkennung der Oder-Neiße- Grenze als Verrat denunziert wurde)

  • Sehe ich auch so. Wo "Opfer" drauf steht, ist jetzt meistens "Putin" drin. Würde mich wundern, wenn diese russischen Freiwilligenlegionen nicht vom FSB/SWR (vormals KGB/GRU) unterwandert sind.



    Der Belgorod-Plot erinnert ein wenig an den "Putsch" in der Türkei, der Egowahn eine perfekte Vorlage für seinen Autokratie gab. Narrativ: Das "Opfer" schlägt zurück ...

  • Eine der besten, sachlichsten und ausgewogensten zusammenfassenden Darstellungen des Vorfalls in den deutschen Medien findet sich m.E. beim ZDF und stammt von zwei Wissenschaftlern von der DGAP in Berlin.



    www.zdf.de/nachric...-russland-100.html



    Inhaltlich widersprechen die Männer dem obigen Kommentar in mehrfacher Hinsicht: 1. Es gibt überhaupt keine vernünftige Zweifel daran, dass die Aktion von ukr. Seite koordiniert war und auch den ukr. Zielen und Kriegsführungssitten entspricht. 2. Putin hängt die Aktion gerade nicht an die große Glocke, sondern tut sie als "Terrorismus" ab, hält eher still (wie in ähnlichen Situationen, man denke an den Untergang der Moskwa, die Bombadierung der Krimbrücke, die Anschläge auf russ. Propagandisten, die Drohnenangriffe auf Moskau) und framt das Ganze als Ablenkungsmanöver wegen Bachmuth (was es nach Ansicht der Fachleute wohl auch war). Die Fachleute weisen darauf hin, dass es ganz im Ggt. die ukr. Medien sind, die dafür gesorgt haben, dass so ein großes Echo entsteht.



    Was das Fazit angeht, es gebe keine Alternative zu „For as long as it takes“, hat Oertel wohl Recht. Für eine Äbschwächung der Nato-Hilfe bietet diese Aktion genauso wenig Anlass wie die anderen.



    Allerdings fehlt der Hinweis auf die Unschärfe und Einseitigkeit dieser Maxime, die ja nur auf militärische Unterstützung zielt. Wichtig wäre aber, parallel dazu beide Seiten viel stärker zu drängen, mit dem Krieg aufzuhören. Lula hat da mit seiner Ablehnung eines Treffens sowohl der ukr. als auch der russ. Führung ein tolles Zeichen gesetzt und gesagt, "weder Selenskyj noch Putin seien an Frieden interessiert." www.zdf.de/nachric...-russland-100.html



    Man müsste die milit. Hilfe viel stärker durch solche Appelle flankieren. Man müsste auch viel stärker den Kriegsdienstverweigerern beider Seiten helfen. Da passiert in D gar nichts.

  • Ist das jetzt Werbung für den 3. Weltkrieg? Diese ganzen sofakrieger hier werden es noch schaffen. Und wofür? Ehrlich? Für Demokratie und Freiheit? sehe nicht, daß die in der Ukraine verteidigt werden, höre und lese es nur immer. Die Ukraine scheint seit Jahren ein Spielball externer Mächte zu sein.. nicht mein Begriff von Freiheit und Demokratie. Und jeden Tag sterben Menschen, jeden Tag den der Krieg andauert... Ich denke Krieg ist nie eine Lösung. Nie. Und solange ich lesen muss, daß der deutsche Export nach Russland sogar steigt, sehe ich auch nicht, warum wir alle leiden, die Russen und Ukrainer sterben müssen, wenn manche sogar sehr viel Geld verdienen mit der "verteidigung" der Demokratie. Zahlen sind vom statistischen Bundesamt Nov. 2022

  • doch natürlich gibt es eine alternative ?



    man kann schlicht und ergreifend darauf hinweisen, dass es keine Waffen gibt wenn Ukraine die anders als besprochen nutzt.

  • „Aber auch die ukrainische Führung steht unter Druck. Sie muss liefern, nicht nur im Hinblick auf die immer kriegsmüder werdenden Ukrainer*innen… .“

    Es ist ohne jeden Zweifel das Recht der Ukrainer:innen, sich gegen den brutalen Überfall des Regimes in Moskau zu wehren und ihre Heimat zu verteidigen.



    Dabei schreibe ich bewusst „Ukrainer:innen“ und nicht „Ukraine“. Weil es um konkrete Menschen geht, konkret um deren Zuhause, deren Freiheit und deren Leben.

    Der Satz der Autorin umreißt ein Legitimitätsproblem, vor dem Selenskyj und die ukrainische „Führung“ steht: Denn wenn immer weniger Ukrainer:innen einen Sinn in der endlosen Fortführung der Kampfhandlungen sehen, weil inzwischen fast jede:r Verwandte oder Freunde verloren hat und deshalb „Kriegsmüdigkeit“ als Synonym für Zweifel breit macht, kann dann Selenskyj diese Menschen zur Fortführung des Kriegs zwingen?



    Wer aus der Sicherheit eines deutschen Wohnzimmers oder beim gemütlichen Morgenkaffee von der Terrasse das mit „dann würde ja Putin gewinnen“ kommentiert, sollte sich die Frage gefallen lassen, für wessen „Freiheit“ er/sie da kriegsmüde Ukrainer:innen ins Gras beißen lassen will.



    Niemand jenseits der ukrainischen Grenze hat das Recht, hierüber ein Urteil zu fällen oder zum Kampf für oder gegen egal welche Werte und Ziele aufzurufen!

    Wir können jenseits dieser Grenzen nur Hoffen, dass dieser brutale Krieg endlich endet!

  • Sorry, kann der Intention des Artikels nicht so ohne Weiteres folgen: 1. Belgorod ist schon einige Tage her. 2. Es wird immer Meinungsmacherinnen wie Wagenknecht geben, die vermeintlich Frieden wollen auf Kosten des Untergangs der Ukraine, den sie natürlich nicht benennen. 3. Von Anfang an gab es Widerstand in RuSSland, der aber ähnlich barbarisch niedergeknüppelt wurde - vom lupenreinen Demokraten - wie die Aggression in der Ukraine. 4. Das mit dem Beginn eines Krieges die Wahrheit zuerst stirbt, ist eine hinreichend bekannte Binsenwahrheit, wobei RuSSland im Lügen ganz vorne dran ist. 5. Die unsägliche Rolle von Merkel hätte hier ruhig mit einer Zeile erwähnt werden können. Ohne ihre und ihrer Entourage blinde Politik gäbe es den Krieg in dieser Form nicht.