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Schwuler Bürgermeister in TimmendorfGegen queere Sichtbarkeit

Sven Partheil-Böhnke, selbst schwul, tut sich schwer mit der queeren Szene. Das Schrille könne andere überfordern. Sein Rat: besser nicht auffallen.

Lebt mit Mann und Hund in der Ostsee-Gemeinde: Sven Partheil-Böhnke Foto: Markus Scholz/dpa

Hamburg taz | Sven Partheil-Böhnke hat anlässlich des Pride Month, der jeden Juni von der queeren Szene gefeiert wird, einen seltsamen Rat. Der Bürgermeister der Gemeinde Timmendorfer Strand ist selbst schwul, findet aber, dass sexuelle Orientierungen besser nicht in der Öffentlichkeit zum Thema gemacht werden sollen. „Ich glaube, dass die Bewegung nach hinten losgeht, wenn zu viel Aufsehen darum gemacht wird“, sagte er jüngst den Lübecker Nachrichten. Besser sei da doch, wenn sich alle nur möglichst normal und nicht so schrill geben würden. Normalität sei schließlich der beste Schutz vor feindlichen Attacken.

Der 54-jährige gebürtige Flensburger lebt, wie er gern betont, seit einigen Jahren mit Mann und Hund in der Ostsee-Gemeinde und hat 2020 entschieden, sich auf das frei werdende Bürgermeisteramt zu bewerben. Das Abwahlverfahren seines Vorgängers schob Partheil-Böhnke als FDP-Gemeindevertreter selbst noch mit an, im Wahlkampf verwies er vor allem auf seine Stärke in der Personalführung.

Die Gemeindeverwaltung wollte er wieder „schlagkräftig“ machen, die Digitalisierung sei dabei eine „Herzensangelegenheit“. Erfahrung habe er darin schließlich, weil er zuvor als selbstständiger Steuerberater tätig war. Und: Im Wahlkampf beteuerte er auch, mit der Kandidatur überhaupt keine politischen Ambitionen verknüpft zu haben.

Bevor Partheil-Böhnke sich nun öffentlich hadernd mit der queeren Szene zeigte, sah das in der Vergangenheit aber auch schon anders aus: Vor zwei Jahren, ebenfalls im Pride Month, hat Partheil-Böhnke sich auf seinem privaten Facebook-Profilbild mit Regenbogenfarben umrahmt, einige Tage nach der Amtsvereidigung und noch heute für je­de:n öffentlich einsehbar.

Ganz schön heteronormativ

Und noch heute redet er auch über sein eigenes Privatleben, obwohl er meint, man solle seine Sexualität nicht ständig offen zeigen: Mit seinem Partner ist er seit 27 Jahren zusammen. „Für schwule Beziehungen ist das ein halbes Leben“, betont er und will wohl sagen: Für ein schwules Paar sind er und sein Partner ganz schön heteronormativ unterwegs. Nicht so wie die anderen Schwulen? Eben ganz normal?

Da verwundert es auch kaum noch, dass er letztlich die Schuld für homophobe Übergriffe bei den Opfern sieht: Wer so offensichtlich seine sexuelle Orientierung zur Schau stellt, überfordere möglicherweise andere damit.

Dass es damals, zu Beginn seiner Beziehung, für ein schwules Paar nicht so einfach war wie heute, habe ihm und seinem Mann eher geholfen als sie behindert, erläutert er den Lübecker Nachrichten. „Wir haben versucht, den vermeintlichen Makel durch Leistung zu kompensieren.“

Ob sein Rat an die queere Community, sich den heterosexuellen Normen anzupassen, auf offene Ohren stößt, ist fraglich. Als Bürgermeister hat er aber offenbar ohnehin eine andere Zielgruppe im Sinn, von denen er sich Zustimmung erhofft.

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14 Kommentare

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  • Ist Heterosexualität wirklich noch so dominierend in dem Sinne, dass sie anderen etwas aufzwingt? Mir scheint es mehr so, dass die Gesellschaft sehr vielfältig geworden ist, und zwar, und das scheint mir der Punkt, nicht nur in sexueller Hinsicht, sondern in vielen Punkten. Natürlich meinen da auch viele andere Gruppen (nicht nur Heterosexuelle), dass ein bestimmtes Kriterium zuviel Aufmerksamkeit bekommt. Queere und andere Gruppen haben sich auch schon zu Wort gemeldet, wenn irgendein anderes Thema ihrem Empfinden nach zu dominant wurde und dadurch zuviel Aufmerksamkeit an sich reißt. Das kann Klima sein, dass (für manche) zu sehr von andern Gerechtigkeitsfragen ablenkt, es kann die Aufmerksamkeit für Ostdeutsche oder irgendeine andere Gruppe sein, die anderen unangemessen vorkommt.

    Prinzipiell scheint mir das ein Wesen der Demokratie zu sein, das immer in Frage zu stellen, auch darüber zu streiten und es immer neu auszutarieren.

  • Vielleicht das nächste Beispiel dafür, dass Machtstreben kein Geschlecht und keine sexuelle Orientierung kennt. Andere Beispiele: Jens Spahn. Oder Angela Merkel.

  • Er empfiehlt ein Schattendasein. Und was ist überfordernd? Schon ein spontaner Kuss in einer Pizzeria? Wenn er von "normal" redet, dann sollten die LGBTI immerhin so weit wahrnehmbar sein wie die Heten! Schrillheit gibt im Übrigen überall. Und der teilweise schrille CSD ist ja kein Beispiel für Alltagsleben, sondern eine einmal im Jahr stattfindende Demo.

  • In meinen Augen ein Grund, diesen Mann auf jeden Fall kein weiteres Mal ins Amt zu wählen.

  • Schwule sind selbst schuld an homophoben Angriffen? Lese ich tatsächlich Täter-Opfer-Umkehr aus den eigenen Reihen? Warum?

    Was kommt als nächstes? Menschen als woke abstempeln, weil man sich für LGBT-Rechte engagiert? Also für Menschen wie den Bürgermeister der Gemeinde Timmendorfer Strand? Das ist doch unlogisch!

    • @Troll Eulenspiegel:

      > "Schwule sind selbst schuld an homophoben Angriffen?"

      Wo steht das denn im Artikel? Ich kann das da nirgends hineinlesen.

      Das manche Leute mit den schrillen Seiten der Szene überfordert sind, na, da kann man ja wohl nur zustimmen, oder? Das ist aber doch keine Entschuldigung von Taten oder eine Täter-Opfer-Umkehr!

    • @Troll Eulenspiegel:

      Wo lesen Sie hier ein Täter-Opfer-Umkehr heraus? Das würde mich wirklich interessieren. Ich lese nirgendwo, dass er das behauptet hätte.

      • @Fran Zose:

        Auch an Jeff gerichtet, Zitat:

        "Da verwundert es auch kaum noch, dass er letztlich die Schuld für homophobe Übergriffe bei den Opfern sieht: Wer so offensichtlich seine sexuelle Orientierung zur Schau stellt, überfordere möglicherweise andere damit."

        Sowas Ähnliches sehe ich auch bei Frauenhassern: Diese seien doch selbst schuld, wenn die sich zu knapp anziehen.

  • Natürlich sorgt das Schrille für sehr viel mehr Aufmerksamkeit - aber auch für stärkere Ablehnung bei den Noch-Nicht-So-Offenen.

    Wenn ein Hetero-Mensch extrem auffällig die Sexualität betont, dann stößt das auch häufig auf Unverständnis. Nicht unbedingt bei den gleichen Leuten, aber eben doch. Und super-gerne gesehen ist das meist auch nicht.

    Ich denke, dass beides seinen Platz und seine Funktion hat. Einerseits zu zeigen, dass es eine buntere Realität gibt, als Teile der Gesellschaft denken, andererseits in einer Nicht-Hetero-Normalität nicht zu schweigen, sondern die Leute mit der anderen Realität zu konfrontieren.

    Ich denke auch nicht, dass ein schwules oder lesbisches Paar, nur weil es relativ unauffällig ist, gleich "Hetero-Normen" entsprechen muss, was in diesem Artikel ja ein scheinbar Feigheit suggerieren soll. Sind das nicht einfach Gesellschafts-Normen? "Sexualität muss nicht immer im Vordergrund stehen" ist doch eigentlich auch im Sinne der Gesellschaft. Der einzelne Mensch gehört in den Vordergrund, nicht seine Sexualität!?

    Ja, es ist ein Kampf gegen die Spießigkeit, auf der anderen Seite will man die Gesellschaft aber auch ändern, nicht nur konfrontieren.

    Beide Stile (und die vielen, vielen Modelle da zwischen) haben absolut ihre Daseinsberechtigung, helfen, die Gesellschaft voran zu bringen und dürfen besonders nicht als Feige abgestraft werden. Es gibt für alles einen Raum, aber es gibt auch Räume in denen manches nicht so gut passt. Das muss jeder für sich wissen - es ist aber auch zu begrüßen, wenn auf andere Mitmenschen Rücksicht genommen wird. Das machen die "Heteros" auch.

    • @Jeff:

      Heten wurden auch nie drangsaliert, gefoltert oder ermordet weil sie so sind. Deswegen dürfen die unauffällig leben.

      People of LGBT dagegen möchten denselben Status. Es geht darum beim "schrillen Auftreten" genau diesselbe Freiheit einzufordern, wie Heten. Was triggert dich denn am schrillen Auftreten? People of LGBT treiben es ja nicht öffentlich im Park.

      Und der Verweis "Heteros sollen auch nicht in der Öffentlichkeit..." erinnert mich an das Hufeisenmodell. Linke Gewalt mit Rechter vergleichen, usw.

      Oder du bist ein Incel, der es nicht ertragen kann, wie zwei Menschen glücklich sein dürfen.

      Ein bisschen angepisst bin ich schon. Wir haben gekämpft für LGBT-Rechte und nicht einmal das wird gebührend anerkannt.

      • @Troll Eulenspiegel:

        Ich glaube, Jeffs Beitrag war nicht als Angriff gedacht.



        Es ist in meinen Augen auch ein guter Ansatz, bestimmte Debatten nicht zu sehr identitär aufzuladen.

        Es gibt immer sichtbare und weniger sichtbare Gruppen.



        Es ist ein Fehler, der insbesondere den "spießigeren" Schichten unterläuft, zu glauben, alle seien so wie die Sichtbaren aus der jeweiligen Gruppe.

        Ob man die Äußerung des Bürgermeisters als "Stich in den Rücken" empfindet, sei jede*r selbst überlassen.

        Man könnte sie auch so definieren, dass er vermitteln möchte, dass die Gruppe der Schwulen viel heterogener ist, als 0815-Spießbürger das glauben mag.

        Womit wir wieder dabei wären, dass die identitär aufgeladenen Debatten nicht zielführend sind, weil z.B. die sexuelle Orientierung nur ein Teil der individuellen Identität ist, und bei weitem nicht alles am Individuum definiert.



        (jede*r der es mag, darf sich natürlich auch gerne ausschließlich über seine sexuelle Orientierung identifizieren - und nein, ich will damit auf keinen Fall den Kampf um Anerkennung und Gleichberechtigung diffamieren)

  • Besser nicht auffallen = Sich am besten verstecken = Nichts bewirken

  • "Da verwundert es auch kaum noch, dass er letztlich die Schuld für homophobe Übergriffe bei den Opfern sieht: Wer so offensichtlich seine sexuelle Orientierung zur Schau stellt, überfordere möglicherweise andere damit." --> Das ist natürlich völliger Unfug. Kein Opfer dieser Welt ist schuld an der Gewalt ihm gegenüber. Schuld ist immer nur und ausschließlich der Täter, der sich zur Gewaltausübung entscheidet.

    Ansonsten stimme ich Herrn Partheil-Böhnke durchaus zu. Warum muss Sexualität immer in der Öffentlichkeit so zelebriert werden? Das betrifft nicht nur homosexuelle, sondern im gleichen Maß heterosexuelle öffentliche Zurschaustellung.

    Meines Erachtens wohnt der queeren Community damit auch ein gewisser innerer Widerspruch inne: Man will, dass Homosexualität als "normal" bzw. normaler Teil der Gesellschaft wahrgenommen wird, besteht aber gleichzeitig mit einem "Pride Month" dem CSD und anderen eher illustren Veranstaltungen auf der eigenen Besonderheit und Außergewöhnlichkeit.

    Damit steht man sich - meines Erachtens - zumindest argumentativ ein Stück weit selbst im Weg - was (nochmal) keinerlei Gewalt nur im Ansatz rechtfertigt - denn, das "Außergewöhnliche" kann schon denklogisch nicht das "Gewöhnliche" oder "Normale" sein.

    • @Kriebs:

      Die "queere Community" ist halt auch ziemlich divers, einen Gefallen tut der Herr BM halt keinem, außer die in ihrer Menschenverachtung bestätigen, die (unauffällige) Schwule ned mehr durch die Straßen jagen würden aber ner*nem DRAG zumindest hinterherspucken.



      Bei den christlichen Kirchen (so als "community"-Vergleich) sinds wohl mit Weihnachten bis Hl3Könige, Ostern und Pfingsten mehr als 4,5 Wochen im Jahr um das "Außergewöhnliche" zu zelebrieren.