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Berlin-Blockaden der Letzten GenerationSie sind ganz lieb

Erik Peter
Kommentar von Erik Peter

Die Aufregung um die Letzte Generation legt sich. Zeit anzuerkennen, wie nett die Gruppe eigentlich ist – selbst nach einem Treffen mit Volker Wissing.

A100-Blockade der Letzten Generation am Donnerstag Foto: dpa

D ie zweite Woche der Stadtstillstand-Aktionen der Letzten Generation ist zu Ende – und die Aufmerksamkeit und Aufregung haben deutlich nachgelassen. Dabei war die Gruppe erneut täglich auf den Straßen, teils mit zwei Dutzend parallelen Blockaden. Auch der Straßenverkehr auf Teilen der Stadtautobahn A100 wurde wieder zum Stillstand gebracht.

Die Meldungen über die durch die Aktionen ausgelösten Staus sind inzwischen vom Top-Thema zum wenig kommentierten Teil der Verkehrsnachrichten herabgestuft worden. Es ist ganz so, als hätte Berlin sich einfach darauf eingestellt, dass zu den Staus aus der Übermenge von Autos oder als Folge von Baustellen und Unfällen eben noch jene durch die Klebeaktionen dazukommen. Eine Rolle spielt zudem die Logik medialer Aufmerksamkeit. Die tägliche Wiederkehr derselben Aktionen, oft an denselben Orten, ist eben kaum mehr eine Nachricht wert.

Für diejenigen, die über Recht und Ordnung walten und jenen, die den Status Quo verteidigen, ist das eine gute Nachricht. So versuchte Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik diese Woche die Motivation der Ak­ti­vis­t:in­nen noch zusätzlich zu mindern, indem sie sagte, deren Blockaden verlören zunehmend an Wirkung, vor allem durch die bessere Vorbereitung der Beamten, die Blockaden immer schneller beenden würden.

Obwohl die Letzte Generation nach Aufmerksamkeit schreit, könnte die Entwicklung für sie zumindest einen positiven Effekt haben. Mit nachlassender Skandalisierung ihrer Aktionen könnte die Gefahr durch wütende Au­to­fah­re­r:in­nen sinken. Denn die Befürchtung war groß, dass jemand so sehr die Nerven verliert, dass Ak­ti­vis­t:in­nen schwer verletzt würden. Das ist bislang zum Glück nicht passiert.

Wünschenswert wäre, wenn die nachlassende Empörung zu einer Entdämoniserung der Kli­ma­k­le­be­r:in­nen führen würde – und sich mehr und mehr ein realistisches Bild durchsetzt: Ja, sie mögen nerven, aber: Sie sind total harmlos.

Nett geplaudert

Wie nett die Ak­ti­vis­t:in­nen sind, wie wenig konfrontativ, zeigte sich am Dienstag nach dem Gespräch mit Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP). Das Gespräch sei „menschlich respektvoll und äußert ergiebig“ gewesen, und man habe sich über „die Notwendigkeit sehr raschen Handelns angesichts der drohenden Gefahr durch Kipppunkte im Klimasystem“ verständigt, jubelte die Gruppe im Anschluss. Statt Kritik folgte lediglich der Wunsch, Wissing möge „Vorurteile und Sorgen“ vor der notwendigen Verkehrswende abbauen.

Wären die Ak­ti­vis­t:in­nen nur halb so radikal, wie es die Konsequenz ihrer Aktionsformen vermuten ließe und wie sie von der Öffentlichkeit gezeichnet werden, hätten sie Wissing als den Klimasünder bloßgestellt, der er ist und sich in seinem Büro angeklebt. Ihrer Beliebtheit hätte es nicht geschadet.

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Erik Peter
Politik | Berlin
Redakteur für parlamentarische und außerparlamentarische Politik in Berlin, für Krawall und Remmidemmi. Schreibt über soziale Bewegungen, Innenpolitik, Stadtentwicklung und alles, was sonst polarisiert. War zu hören im Podcast "Lokalrunde".
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7 Kommentare

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  • Heute ist in Wien der erste Mensch im Stau der Klima-Aktivist*Innen gestorben.







    Niemand vewehrt den Leuten von der letzten Generation, ihr Demonstrationsrecht ausgiebig wahrzunehmen.



    Aber dann bitte mit ordentlicher Anmeldung, damit Polizei und Katastrophenschutz Umleitungen organisieren können und Rettungsdienste rechtzeitig informiert sind !!!



    Diese Feinheit unterscheidet demokratische Rechte von Nötigung und Terror.

  • @THOMPSON

    Ach, Ihre Geschäfte. Sie sind sooooo wichtig, dass sie (sogar!) eine Umkehr Ihrer Weltanschauung rechtfertigen.

    Wissen Sie was? Glaubwürdig geht anders.

  • es ist doch schön wenn man feindbilder hat, so hat man den lieben langen tag über etwas zu tun, sich aufregen beispielsweise und es lenkt auch so schön ab, vom eigentlichen thema (könnte man sagen), aber das kann man diesen, seinem feindbild ja gleich mit anlasten.



    denn eigentlich sind wir ja alle für klimaschutz, wenn wir nicht so gerne autofahren würden und diese ganzen termine, die wir wahrnehmen müssen, zu denen wir wegen diesem blöden protests zu spät kommen, da passt die auseinandersetzung mit klimaschutz nun mal nur schlecht zusätzlich in den alltag mit rein.

    die analogie des zuspätkommens ist zwar eigentlich eine so schöne metapher, aus der diese aktionen schon ihre sinnhaftigkeit beziehen, aber lieber jemand schuld sein lassen, als sich selber schuldig zu fühlen.

    wo drüber haben wir eigentlich gerade gesprochen?

  • Ich hatte hier das "Glück", als Autofahrer - es war keine Spazierfahrt, sondern eine Geschäftsreise, betroffen zu sein. Um es sehr kurz und ohne Emotionen zu fassen; Für 15 km habe ich 2 Stunden und 40 Minuten in einem, mehr Stop als Go- Zyklus gebraucht. Mein persönliches Fazit, abgesehen von dem Termin, der sich quasi erledigt hat: Solche Aktionen sind ein Irrsinn, mit fatalen Folgen für die Umwelt (der Ausstoß von Schadstoffen bei solchen Blockaden deutlich höher als sonst), den betroffenen Menschen vor Ort und den Steuerzahler (der Aufwand mit Feuerwehr und Polizei ist dabei immens). Bis dahin habe ich solche Menschen gar respektiert, die eigentlich für uns alle und eine gute Sache kämpfen. Jetzt sind sie für mich- sorry für den Ausdruck, nichts anderes als Vollidioten, die den Kampf an falschen ansetzen!



    Es geht auch anders; Die Stadt Hannover ging mit einem Dialog, zusammen mit den Klimaaktivisten, von der Straße an einen "Runden Tisch"

  • So so, der Stand der aktuellen klimapolitischen Debatte lautet also ...

    Piep Piep Piep: "Sie sind ganz lieb"

    Besser als mit dieser Überschrift kann man die aktuelle Situation in DE nicht beschreiben.

  • zur richtigstellung ...

    gebäude besprühen, flugzeuge besprühen ist vandalismus.

  • "Ihrer Beliebtheit hätte es nicht geschadet." Beliebtheit? Wie ein eingewachsener Zehnagel, vielleicht. Frau könnte aus dem Artikel schließen, daß die Aktionen keinen Sinn mehr ergeben (regt sich ja niemand mehr drüber auf) und Gespräche weit mehr bringen. Und nein, ich glaube nicht, daß das Gespräch nur statt gefunden hat, weil sich jemand auf die Straße geklebt hat. Eher, daß es ohne die Klebeaktionen früher statt gefunden hätte. Glücklicherweise stecke ich weder in den Köpfen der "Aktivisten" noch des Herrn Wissing.