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Graichen-Affäre im WirtschaftsministeriumNepotismus und Klassen­gesellschaft

Die Graichen-Affäre erregt die Gemüter so sehr, weil sie eine Selbstlüge offenlegt: Nicht Leistung entscheidet über Erfolg, sondern das Netzwerk.

Zusammenhalt: Wirtschaftsminister Robert Habeck mit seinem Staatssekretär Patrick Graichen Foto: Kay Nietfeld/dpa

W er bereit ist, etwas zu leisten, der bekommt auch etwas. So lautet eine der Selbstlügen unserer bürgerlich-demokratischen Gesellschaft. Ehrlicher wäre: Wer wen kennt, der was hat, bekommt etwas, und wer nicht: Yallah, ciao!

Dass das mit der Leistungsgesellschaft ein Märchen ist, zeigt sich für manche früher als für andere. Auch wenn mein wohlmeinender Sozialkundelehrer in seinem staatstragenden Unterricht (Soziale Marktwirtschaft, beste wo gibt!) anderes erzählte, sah ich doch: Wenn dein Vater Lehrer ist, der an derselben Schule unterrichtet, dann sind die anderen Lehrer netter zu dir (mündliche Note 1), als wenn dein Vater Arbeiter ist, nicht so gut Deutsch spricht und deshalb nicht so gern zu Elternabenden geht, weshalb ihn eh keiner kennt.

Später, als es im sozialwissenschaftlichen Studium darum ging, sich nicht nur theoretisches Wissen über den Markt und seine Herrschaft anzueignen, sondern auch ein bisschen was Handfestes, um sich selbst irgendwann an diesem Markt verdingen zu können, zeigte sich der Mechanismus deutlicher: Freunde mit Anwalts- und Managereltern fanden auffällig schnell entsprechende Möglichkeiten.

Und wenn sie noch nichts hatten, konnten sie entspannt bleiben und darauf vertrauen: Wenn es so weit ist, lässt sich schon was regeln. Ich absolvierte mein erstes marktwertsteigerndes Praktikum bei der taz, mit viel Glück, ermöglicht über den Umweg eines taz Panter Workshops.

Die alltägliche Ungerechtigkeit

Vetternwirtschaft im Wirtschaftsministerium! Klüngel bei den Grünen! Grüner Morast! Graichen-Clan!, schreien viele jetzt über den Fall Patrick Graichen, Staatssekretär im Habeck-Ministerium, der sich an der Auswahl eines neuen Geschäftsführers für die bundeseigene Deutsche Energie-Agentur beteiligt hat.

Der Be­we­rbe­r, der den Posten dann bekommen sollte, ist sein enger Freund und Trauzeuge. Lobby für das Klima ist doch nicht dasselbe wie Lobby für Automobilkonzerne! Graichen ist der beste Mann für den Job! Bei anderen Parteien läuft es doch auch so! Sowieso ist das doch eine rechte Kampagne von Klimaleugnern!, schreien die anderen. Ich frage mich: Wie viel Selbstgerechtigkeit braucht es, erst dann ein Problem am eigenen Handeln zu erkennen, wenn alle aufschreien?

Dass sich die Wortmeldungen auf beiden Seiten in ihrer Unbeholfenheit und Hysterie so ähneln, hat einen Grund: Der Fall legt, für beide Seiten schmerzhaft, weil ihr Selbstbild unterlaufend, den Finger in die Wunde.

In seiner zugespitzten Form zeigt er auf, was tagtäglich, ganz selbstverständlich, tausend- und millionenfach auch im Kleinen passiert. Mächtige und reiche Menschen nutzen ihren Einfluss, um anderen Menschen aus dem eigenen Kreis (oder gleich dem Trauzeugen) mächtige und lukrative Positionen zu verschaffen. Diese alltägliche Ungerechtigkeit erlebt man nicht als Skandal, wenn man selbst nie gegen sie ankämpfen musste, denke ich, und checke mein Adressbuch, das noch ausbaufähig ist.

Links lesen, Rechts bekämpfen

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Volkan Agar
Redakteur taz2
Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.
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8 Kommentare

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  • Tja, die wenigsten Menschen wissen, dass 314152463 eine Primzahl ist.

    Und doch ist es eine seit Anbeginn der Zeit geltende Tatsache.

    Und genau so ist es mit der Binse, dass nicht Leistung und Fähigkeiten über den Erfolg entscheidet, sondern gute Beziehungen.

    Und was haben beide Erkenntnisse gemeinsam ?

    Sie sind zu Nichts nütze und und sie sind unumstößlich.

    • @Bolzkopf:

      1. Vom Einhegen via Eignung Befähigung Leistung etc haben Sie schon gehört?! Klar Versuche - aber trotz alle dem!



      & informelle Durchbrechungen? Bitte!



      ”Der informale Verfassungsstaat“ by



      Helmuth Schulze-Fielitz



      www.duncker-humblo.../9783428456895.pdf



      Einfach das Inhaltsverzeichnis durchschmökern! Woll.



      (btw kl. Anteil => Präsi/Behördenleiter VGs in NRW nach Parteienproporz!



      Daß mein unsäglicher KollegeVors. auf FDP setzte & bei dafür VG Minden - im Ergebnis hinten runter fiel; weil die FDP aus dem Landtag flog - hat mich für den rechtlichen Berater des Staatsmümmelmann denn doch sehr gefreut & nicht nur mich! Woll.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    Respekt! Danke. „ermöglicht über den Umweg eines taz Panter Workshops.“ Ist der Weg auch krumm, ist er doch nicht „um“. „sich die Sache von Verlierern zu eigen zu machen, ist eine der letzten Gewissheiten des Linksseins“. genossenschaft.taz...raits/volkan-agar/



    Die ersten Akademikerkinder beginnen schon, ihre Herkunft zu verschleiern.

    • @95820 (Profil gelöscht):

      anschließe mich (& tu mal in die Runde:



      Ein Lob aus gut berufnem Munde!;)

      & Ol Conny “Mann kennt sich! Man hilft sich!“ (grad nochn kölscher Millionär a ☕️☕️!) ist den paternalistischen Grünen on the top - sowas von selbstverfreilich! Nix is mehr heilig!



      “Klientelismus ist ein System personeller, ungleicher Abhängigkeitsbeziehungen in politischen Apparaten, zwischen einflussreichen Personen und ihren Klienten auf der Grundlage von Leistung und Gegenleistung. Betrachtet man diese Form asymmetrischer Beziehung von Seiten der einflussreichen Person aus, spricht man auch von Patronage.

      Der Klientelismus ist ein Organisationsschema mit zugleich feudalistischen und familiaristischen Strukturelementen. Er ist eine Sonderform parochial – partizipatorischer (politischer) Kultur, die von der anthropologischen Analyse aus gesehen einzig eine Tauschbeziehung zwischen zwei Personen mit ungleich verteilten Machtchancen darstellt. Diese Tauschbeziehung beruht auf der Basis gegenseitiger Interessen und wechselseitiger Hilfe.“ Ach was! ©️ Loriot



      de.wikipedia.org/wiki/Klientelismus



      Ok. Das mag derzeit noch etwas blande sein?! *



      Doch frißt sich‘s - Zahn für Zahn - doch unaufhaltsam querbeet müfflig rein!



      Als Treibsatz arroganz - nicht nur zu vermuten: “Wieso? Wir sind doch die Guten!“ & Merken nicht in ihrem selbstgefällig Wahn! “Ey! Ihr blöden Nasen! Das ist derselbe CC/FDP-hohle asiZahn!

      kurz - Im Ergebnis gar nicht mal soo 🤮!



      Das Mühlrad - von ollem Brecht •

      unterm——*



      Bland(e) bedeutet mild, sanft oder reizlos. In der Medizin bezeichnet es: schwach oder milde ausgeprägte Krankheitsmerkmale, siehe Krankheitsverlauf #Nach Stärke der Symptome. blande Psychose (Schizophrenia simplex)



      de.wikipedia.org/wiki/Bland



      But. Über principiis obsta - wehret den Anfängen - sind wir ersichtlich auch bei den Grünen weit hinaus! Newahr



      Na aber Si’cher dat. Dat wüßt ich ever.



      Da mähtste nix.



      principiis obsta (et respice finem!) & bedenke das Ende! Besser is das!



      Normal •

  • 6G
    663803 (Profil gelöscht)

    Da fällt mir nur ein Interview mit Lenny Kravitz vor mehr als 10 Jahren ein; he is a Lucky man, because in troubeling situations he always know anybody to call (by phone).



    Sieht man sich die langjährigen Schwierigkeiten der jungen Frauen an, die einen Epstein oder einen Weinstein ob ihres Vorgehens juristisch belangen wollten, erkennt man wie hilfreich geeignete Kontakte sind. (Was nicht heißen soll Lenny wäre einer wie Epstein!!)

  • "Wer bereit ist, etwas zu leisten, der bekommt auch etwas"

    Wer genau verbreitet das? Zunächst einmal dürfte nach diesem Prinzip die Bereitschaft etwas zu leisten nicht bezugsberechtigt machen, sondern die Leistung selbst.

    Und weiter muss diese Leistung auch irgendeiner Form der gesellschaftlichen Wertschätzung unterliegen - sprich: Irgendwer muss einen Mehrwert darin sehen und dafür einen Gegenwert erbringen. Wenn ich seit 20 Jahren 16 Stunden täglich Selfies mache und in einer riesigen Videocollage verarbeite ist das eine absurd aufwendige Leistung. Sie berechtigt aber nicht zwangsläufig zu einer angemessenen finanziellen Entlohnung.

    • @Questor:

      Sorry - vllt hamse ja ne Leerstelle in Ihrem Text?!



      Helfe gern wie Andreas Rebers



      “…So lautet eine der Selbstlügen unserer bürgerlich-demokratischen Gesellschaft. Ehrlicher wäre: Wer wen kennt, der was hat, bekommt etwas, und wer nicht: Yallah, ciao!…“



      So - geht‘s weiter! Woll.



      Get it? Fein. But



      “Questor ist ein Android, die geistige Schöpfung des genialen Wissenschaftlers Vaslovik, der jedoch inzwischen spurlos verschwunden ist. Dessen Kollegen zerstören zwar einen Teil von Vasloviks ursprünglicher Programmierung, können den Androiden jedoch trotzdem fertig stellen.“=> vllt isses ja so viel einfacher?!



      Who know’s?!

  • "Nicht Leistung entscheidet über Erfolg, sondern das Netzwerk." Wenn das alles ist, was Sie über Graichens Qualifikationen wissen: sofott bei Habeck bewerben. Schangsen sind super, zB weil-ja-nicht-Trauzeuge und so...