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Zukunft der AltenpflegeDas hausgemachte Pflegedesaster

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Eine steigende Zahl von Pflegebedürftigen, weniger Fachkräfte, niedrigere Renten und kaum Wohnraum: Deutschland droht eine dramatische Pflegekrise.

Pflegeroboter werden das Problem mit der unterfinanzierten Pflege nicht lösen Foto: Paul Hartl/imago

E rinnern Sie sich noch an die Geschichten über glückliche ältere Menschen, die von einer polnischen Pflegekraft, meist einer Frau, rund um die Uhr versorgt wurden? Die Polin wohnte mit im Haus oder in der großzügigen Wohnung und umsorgte den alten Menschen liebevoll. Diese Geschichten gibt es heute immer noch, aber man hört von vielen Menschen mittlerweile eher Klagen über das Pflegedesaster: kein bezahlbarer Heimplatz zu finden, zu wenig und überlastetes Personal. Die Pflegekrise indes deutete sich bereits vor 20 Jahren an.

Jetzt steuert diese Krise in eine offensichtliche Ausweglosigkeit: Eine steigende Zahl von Pflegebedürftigen, die zudem immer älter werden und intensiver denn je betreut werden müssen trifft auf eine sinkende Zahl von Pflegekräften, die noch mehr zu tun haben und alsbald an ihre physischen und psychischen Grenzen geraten. Hinzu kommen höhere Kosten durch gestiegene Energie-, Lebensmittel- und Betreuungspreise. Ein Mix, der, wie Pfle­ge­öko­no­m:in­nen sagen, ein „Heimsterben in Deutschland“ bewirkt.

Allein in diesem Jahr gingen rund 200 Pflegeeinrichtungen in die Insolvenz, im vergangenen Jahr waren es mehr als doppelt so viele. Da wundert es kaum, dass die Stimmung bei den Gepflegten, vor allem aber beim Pflegepersonal laut des Care Klima-Index des Markt- und Meinungsforschungsinstituts Ipsos auf dem Tiefpunkt angelangt ist.

Es dürfte noch dramatischer werden: Aus den aktuell etwa 5 Millionen Pflegebedürftigen werden 2030 schon 5,75 Millionen, im Jahr 2050 könnten es 7,25 Millionen sein. Gleichzeitig fehlen dem Kölner Institut der deutschen Wirtschaft zufolge bis 2035 rund 307.000 Pflegekräfte. Was tun?

Wer soll das bezahlen?

Die gängige Antwort lautet meist: mehr Geld. Woher aber soll das kommen? Vom Staat, der für Gesundheitswesen, Bildung, Verkehr, Sozialleistungen ohnehin schon mehr als früher ausgibt? Von den Ar­beit­neh­me­r:in­nen, die dann noch weniger Netto vom Brutto haben? Zum Vergleich: Eine private polnische Pflegerin kostet zwischen 2.000 und 3.000 Euro monatlich, das können sich nur reichere alte Menschen leisten. Für einen Pflegeheimplatz müssen Gepflegte heute trotz Pflegekassenzuschuss durchschnittlich 2.400 Euro selbst bezahlen. Aber wie, wenn die Durchschnittsrente bei den künftigen Se­nio­r:in­nen nur rund 1.300 bis 1.400 Euro beträgt?

Und wer pflegt dann all die Alten, die mehr sein werden als die Jungen? Schon jetzt geht es nicht ohne eingewanderte Fachkräfte. Aber jene, die beispielsweise in den Philippinen einen Pflege-Bachelor und einen Deutschkurs gemacht haben und von Deutschland gezielt angeworben worden sind, verlassen das Land meist nach wenigen Jahren wieder. Sie fühlen sich hier kaum integriert und noch weniger wertgeschätzt.

Zugewanderte Fachkräfte müssen aber auch irgendwo wohnen, doch es mangelt schon jetzt an bezahlbarem Wohnraum. Ein Drama steht uns bevor – allerdings ein hausgemachtes.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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10 Kommentare

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  • Man sollte, muss, in dieser Situation auch über ein verpflichtendes Soziales Jahr für alle nach der Schule / Ausbildung reden. Es ist jedem Jugendlichen zumutbar für ein Jahr, natürlich gegen Bezahlung und Anrechnung auf die Arbeitszeit ( Rente ), etwas gutes zu tun.

  • Ich habe es lange versucht. Über 30 Jahre als Altenpflegerin und PDL in der vollstationären Pflege. Das System ist seit Jahrzehnten krank und es nervt regelrecht, dass jetzt von Pflegekrise gesprochen wird, denn unsere Arbeitsbedingungen waren schon immer katastrophal (!!!!!!!), nicht erst seit gestern. Aber jetzt werde ich mit Mitte 50 meinen Job aufgeben müssen, obwohl ich gut verdiene und die Arbeit mit den Bewohner*innen nach wie vor schön ist. Corona und die zugehörigen Umstände haben mich krank gemacht - und nicht nur mich. So viele Leute geben in der Pflege ihre gelernten und gut bezahlten Jobs auf, weil sie schlichtweg nicht mehr können. Die Bezahlung ist sehr gut in der Pflege, das hat sich grundlegend geändert, weil eben der Mangel so groß ist. Es sind die Umstände! Und ganz ehrlich: absolutes Politikversagen! Lauterbach und Co haben meiner Meinung nach nichts, aber auch gar nichts, begriffen.



    Aber ok, ich kann leider auch nur jammern. Lösungen habe ich nicht. Ich wüsste, wie man mehr Leute als Arbeitskraft in die Pflege holt, aber wie das alles noch finanziert werden soll, ist mir ebenfalls schleierhaft. Ein vollstationärer Platz kostete bei uns bereits 2.400 Euro reiner Eigenanteil und in den letzten 5 Jahren stieg die Quote der Sozialhilfeempfänger von ca 5 % auf über 30 %.

  • Das Problem ist mit den nötigen Reformen in der Pflegeversicherung, der GKV und Rente können Sie nur Wahlen verlieren und die regierenden denken nach der Wahl nur an den Sieg bei der nächsten Wahl.

  • Die "Geschichten über glückliche ältere Menschen, die von einer polnischen Pflegekraft, meist einer Frau, rund um die Uhr versorgt wurden" waren auch nur Scheinlösungen.

    Die polnische Pflegekraft wurde nämlich nicht für 24 Stunden Arbeit bezahlt, auch wenn sie rund um die Uhr im Dienst war. Und ausgeblendet wurde auch, dass der Arbeitsschutz, insbesondere gesetzliche Grenzen zu Höchstarbeitszeiten, Ruhezeiten und Urlaubsansprüchen nicht eingehalten wurden.

    Nun ja. Die Einleitung des Kommentars war sicherlich humorvoll oder sarkastisch gemeint. :-)

  • Deutschland ist Mittelmaß geworden.

    All dies weiß man seit Jahrzehnten,



    man hat es eben immer nur links liegen lassen. Es anzugehen kostet Wählerstimmen, wie man an Macrons Rentenreform sehen kann. Ob Rente, Pflege, Gesundheitswesen oder Schule und Bildung, der Crash der kommen wird ist vorprogrammiert.



    Deutschland ist schon längst im Mittelmaß angekommen, und es wird noch viel tragischer werden.



    Da helfen auch populistische Sprüche wie "von oben nach unten verteilen" und "Vermögenssteuer" nicht mehr, das System als solches ist gerade am kippen.



    Wenn ich dann von ganz linken Tagträumern höre "Es ist genug Geld da", dann könnte ich ob o viel Dummheit verzweifeln.

  • Das Realdesaster aus Niedriglohn, Armut und folgender Altersarmut wird die Anzahl der Pflegebedürftigen niedrig halten. Arme Menschen sterben früher, die Demenzwahrscheinlichkeit nimmt aber mit dem Alter zu.

    Es gibt keine Lösung, die von entscheidenden Gruppen unserer Gesellschaft akzeptiert wird.



    Also gibt es kein Ende des Niedriglohnsektors, kein einheitliches Rentensystem mit einer auskömmlichen Rente wie in Österreich, keine soziale Aufwertung von "Care Work", keine Förderung alternative Wohn- und Lebensmodelle.



    Und es gibt sehr wenig Forschung im Hinblick auf Alters- und Demenzerkrankungen.

    Stattdessen haben wir die Suche nach billigen Pflegekräften im Ausland, Einsparungen im Gesundheitsbereich und Erhöhung von Beiträgen.

    Wie auch in anderen Bereichen scheitern die deutsche Politik, sobald ihre ideologischen Konzepte auf die Realität aufprallen.



    Ja, es ist hausgemacht und es ist eine Katastrophe mit Ansage.



    Und wie die aussieht, kann jeder bei einem Besuch in einem Pflegeheim feststellen.

  • Wo ist jetzt die hausgemachte Ursache?



    Es wird alles teurer und es wird mehr Personal benötigt. Aber wo ist jetzt der Schalter , um es ändern zu können?



    Das einzige was geändert werden kann, ist viel mehr Mittel (Steuern) in das System zu geben. Aber das ist auch nicht so einfach und mehr Personal wird damit auch nicht geschnitzt, obwohl die eine oder andere bei 5k Euro Einstiegsgehalt es schon machen wird.



    Und wenn es einen Platz gibt, dann wird auch heute schon bezahlt:



    " durchschnittlich 2.400 Euro selbst bezahlen. Aber wie, wenn die Durchschnittsrente bei den künftigen Se­nio­r:in­nen nur rund 1.300 bis 1.400 Euro beträgt?" Die Frage ist keine. Bei Bedürftigtkeit übernimmt auch heute schon der Staat den Rest (mit der Frage, ob man es sich bei den Kindern zurückholen kann). Hier findet also schon längst ein sozialer Ausgleich statt (den einige auch gar nicht gut finden, nach dem Motto, warum muss ich meine ganze Rente abgeben, während ein Bürgergeldempfänger quasi aufgestockt wird).

    • @fly:

      Nunja man könnte schonmal damit Anfangen, das Personal auch anständig zu bezahlen, das würde den Job Interessanter machen und der Fachkräftemangel würde sinken (das wäre schonmal ein Schalter und das ist tatsächlich auch ein hausgemachtes Problem)....was den Platz angeht: wenn ich mir die ganzen Neubauten von Altenheimen so ansehe, die es mitlerweile gefühlt an jeder Ecke gibt, kann ich das mit dem Platzproblem nicht nachvollziehen, das hauptprblem scheint mir nach wie vor die fehlenden Fachkräfte zu sein

      • @PartyChampignons:

        Die Bezahlung ist aufgrund des massiven Mangels deutlich in die Höhe gegangen und jede Pflegekraft, auch ungelernt, kann sich heute ihren Arbeitsplatz aussuchen. Für Niedriglohn arbeitet heute keine Kraft mehr.



        Und ja, statistisch gesehen gibt es zu wenig Pflegeplätze.

  • Wer soll das bezahlen, ist wohl die wichtigste Frage in der heitigen Zeit.



    Antworten gibt es nicht!