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Russische Propaganda in WochenzeitungKampf der Patrioten

Wer russische Medien liest, erlebt ein Feuerwerk von Lügen und Verdrehungen. Die Berliner Stadtbibliothek legt eines dieser Medien aus.

Propaganda ist im Alltag präsent: Werbung für den Dienst im russischen Militär in Sankt Petersburg Foto: Anton Vaganov/reuters

Die Wochenzeitung Argumenty i fakty ist laut Impressum außerhalb Russlands „not for sale“. In der Berliner Stadtbibliothek liegt sie trotzdem aus: Momentan ist die Ausgabe 9/2023 (Anfang März) verfügbar. Die Bibliothek hat diese Zeitung abonniert, um Le­se­r*in­nen „möglichst das gesamte Medienspektrum anbieten zu können“, erklärt Pressesprecherin Anna Jacobi. Laut Eigenangabe liegt die Auflage bei über 1,2 Millionen Exemplaren. Der Eigentümer wird dort aber nicht genannt.

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Tatsache ist: Die Zeitung wird von der Moskauer Stadtregierung herausgegeben. Sie hat Argumenty i fakty – einst unabhängiges Flaggschiff der Perestroika-Ära, um 1990 mit einer Auflage von über 33 Millionen Exemplaren – bereits 2014 aufgekauft.

Seit der Krim-Annexion und der Besetzung der Ost­ukrai­ne verfügt die Moskauer Exekutive also über ein bestens eingeführtes Veröffentli­chungs­or­gan. Ein Jahr nach Beginn des russischen Angriffskriegs ist diese Publikation ein interessantes Anschauungsobjekt, um die Mechanismen staatlicher Propaganda zu analysieren.

So werden Porträts von „Helden der Spezialoperation“ in verschiedene Ressorts gestreut und prominent bebildert. Die Texte nutzen reportagehafte Elemente und setzen schon in der Überschrift direkte Rede ein, um Authentizität zu suggerieren: „Ich habe mein Business aufgegeben und Hubschrauber gekauft.“

Russen als Helden inszeniert

So wird das Porträt eines ursprünglich militärfremden jungen Mannes angetitelt, der als Kriegsgewinnler Wohnungen im Donbass kaufen will, sich dann vor Ort von der Notwendigkeit des Kampfeinsatzes überzeugt. Nun investiert er sein Geld in Militärtechnik und bleibt als Freiwilliger vor Ort.

„Der Engel kommt als Retter. Die Geschichte des Freiwilligen Gagarin, der Hunderte Kinder unter Beschuss des ukrainischen Militärs aus Mariupol gerettet hat“, wird ein zweiter Text betitelt. Er vermittelt den Eindruck, die ukrainische Armee habe die Stadt unrechtmäßig besetzt – und die heldenhaften russischen Verteidiger setzten ihr Leben für Zivilisten aufs Spiel.

Vor dem Hintergrund der russischen Blockade und der Zerstörung des Theaters von Ma­riu­pol, in dem Frauen und Kinder Schutz suchten, kann der Text nur als Versuch gewertet werden, die geschundene Stadt positiv zu besetzen. Ob es die Personen, so wie sie geschildert werden, wirklich gibt, muss in Zweifel gezogen werden.

Viele Texte behandeln Sanktionen von USA und EU gegen Russland. Die Hauptthese wird immer wiedergekäut: Sanktionen belasten die russische Wirtschaft weniger als angenommen. Im Wirtschaftsteil ist ein Text über Klopapier, dessen Diktion an die Panik zu Anfang der Coronapandemie erinnert: Hamsterkäufe als erste Reaktion auf Sanktionen.

Russland wird konsequent als Opfer dargestellt

Inzwischen ist die türkische Firma Hayat Kim­ya Marktführer in Russland: Klopapier kostet über 30 Prozent mehr als vor Kriegsbeginn. Für vier Rollen Klopapier zahlt man in Moskau momentan 200 Rubel (etwa 2,50 Euro), vor dem Krieg waren es 130 Rubel.

Im Politikteil wird Russland konsequent als Opfer dargestellt, illustriert mit einer Collage, die die Sanktionen von USA und EU als ansteigende Mauer dargestellt. Das wird mit der ikonischen Fotografie der Erstürmung des Berliner Reichstags 1945 kurzgeschlossen. Garniert mit zwei Flaggen: die sowjetische und die russische – mit der Losung „Mobilisierung der Wirtschaft“.

Der Text geht auf das Motiv, das zwei historisch unterschiedliche Situationen visuell gleichsetzt, gar nicht ein. Am Schluss die Drohung: „Man zwingt uns zu den Prinzipien zurückzukehren, die Zar Alexander III. Ende des 19. Jahrhunderts formuliert hat: Russland hat nur zwei Verbündete: sein Heer und seine Marine.“

Die im Politikteil aufgestellte Behauptung, USA und Nato streben die Auflösung Russlands an, wird im Gesellschaftsressort durch einen Artikel flankiert, der das am 23. Dezember 1917 von Frankreich und Großbritannien unterzeichnete Abkommen in Erinnerung ruft. Darin haben beide Mächte im Falle eines Separatfriedens zwischen Russland und dem Deutschen Reich eine gemeinsame Intervention und die Aufteilung Russlands in verschiedene Einflusssphären beschlossen.

Der Westen als Feindbild und „künstliches Konstrukt“

Der Text reiht Zeitzeugenberichte von 1919 aneinander, die nur von Gräueltaten durch US-Soldaten berichten. Sie kämpften damals mit den „Weißen“ gegen die Bolschewiki. Daraufhin wird der Großfürst Alexan­der Michailowitsch zitiert, der auch nach der Machtergreifung Lenins gesagt haben soll: „Die Integrität Russlands ist in jedem Fall zu verteidigen, und Schritt für Schritt werden wir uns (nach den Gebietsverlusten als Folge des Ersten Weltkriegs) wieder an unsere ursprüngliche Westgrenze annähern.“

Historische Ereignisse werden manipulativ eingesetzt, um Angst zu schüren

Historische Ereignisse werden manipulativ eingesetzt, um in der Bevölkerung Angst vor einer etwaigen Wiederholung zu schüren und Behauptungen zu stützen. „Die Geburt des Westens. Wie es Churchill gelang, den USA und somit der ganzen Welt seine schon lange währende Russophobie überzustülpen“, beginnt ein Text, der sich auf Churchills Rede vom 5. März 1946 bezieht, in der der britische Premier erstmals vom Eisernen Vorhang sprach. Der Artikel bemüht sich, den Westen als „künstliches Konstrukt“ zu entlarven, und bezichtigt ihn einer latent antirussischen Haltung.

Die Webseite von Argumenty i fakty spricht von mehr als 38 Millionen Zugriffen im Februar. Dem Youtube-Kanal folgen 78.000 Follower. Hier ist etwa der Zweiminüter „Schlacht der Woche“ mit einer halben Million Zugriffen zu sehen. Dramatische Musik unterstreicht Filmaufnahmen aus der Vogelperspektive. Drohnen machen „den Gegner unschädlich“, russische Verluste werden komplett ausgeblendet. Hält man sich an Argumenty i fakty, bekommt man den Eindruck einer in der Unterstützung der sogenannten Spezialoperation geeinten Bevölkerung.

Geht man hingegen auf den Telegram-Kanal von Igor Girkin alias Igor Strelkow (circa 800.000 Follower), erhält man eine schonungslose Analyse für das Versagen der russischen Armee im Ukrainekrieg. Girkin, der im November 2022 in Den Haag in Abwesenheit als Hauptverantwortlicher für den Abschuss der Passagiermaschine der Malaysian Airlines mit 298 Toten im August 2014 zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde, benennt nüchtern den Hauptgrund des Ukraine-Desasters: Korruption und Vetternwirtschaft.

Putin-Gegner von rechts außen

Denn so werden nur unfähige Leute nach oben gespült, erklärt der ehemalige Soldat und bewegt sich argumentativ in der Nähe des inhaftierten Regimegegners Ale­xei Nawalny. Während dieser im Straflager seinen Telegram-Kanal (250.000 Follower) nutzt, um sich dezidiert gegen den russischen Angriffskrieg auszusprechen und als Konsequenz eine Demokratisierung Russlands fordert, hätte laut Girkin der Angriffskrieg gegen die Ukraine schon 2014 geführt werden sollen, denn da „war die ukrainische Armee noch nicht so gut aufgestellt“.

Putin hat in Girkin, dem ehemaligen FSB-Mitarbeiter und Militärangehörigen, einen ernstzunehmenden Gegner, der ihn von rechts außen kritisiert und gleichzeitig lächerlich macht. „Halt einfach das Maul“, rät er dem Präsidenten öffentlich, „du hast von Tuten und Blasen keine Ahnung.“ Während täglich mehr Russ*in­nen wegen Landesverrats verhaftet werden, leistet sich Girkin sogar Verbalinjurien gegen den Präsidenten und bleibt unbehelligt. Hat Putin etwa Angst vor den unkontrollierbaren Folgen einer Verhaftung „des wahren Patrioten“ (Girkin über Girkin)?

Auf Instagram geht zur selben Zeit ein Post viral, der zwei Fotos zeigt, die ein identisches Setting haben: aufgenommen 1940 in Warschau und 2022 in Moskau. Im Zentrum ist jeweils ein großes weißes V, umgeben von Fahnen und Säulen. 1940 behauptet der Sockel der Propagandaskulptur: Deutschland siegt an allen Fronten. 2022 „In der Wahrheit liegt die Kraft“. Hat sich hier die Propagandaabteilung des Kreml tatsächlich von Joseph Goebbels inspirieren lassen?

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6 Kommentare

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  • "Putin hat in Girkin, dem ehemaligen FSB-Mitarbeiter und Militärangehörigen, einen ernstzunehmenden Gegner, der ihn von rechts außen kritisiert und gleichzeitig lächerlich macht. "



    Ich halte Girkin, einen FSB-Mitarbeiter, nicht für einen "Putin-Gegner", sondern einfach für einen Propagandisten, der ein bestimmtes Minderheitenpublikum, - die fanatische Kriegspartei - bedient und bei Laune hält. Vieles seiner vermeintlichen Kritik läuft auf das Argument hinaus: Wenn wir Putin stürzen, kommt einer der korrupten Dilettanten aus seiner Umgebung, der noch schlimmer ist. Das ist eine sehr bekannte Propagandafigur, für deren "liberale" Varianten lange auch der Westen empfänglich war: "Putin ist gemäßigt; X. oder Y. oder Z. - das sind die wahren Falken". "Putin hält immerhin Russland zusammen und verhindert Chaos" etc.



    Wenn der Krieg verloren ist, wird die Kriegspartei für Putin lästig und gefährlich, dann wird Girkin wieder sang- und klanglos in der Versenkung verschwinden, oder exemplarisch über die Klinge springen.

  • Ich lese im Artikel weit ausgeführt, warum diese Zeitung ein lügnerisches Propagandablatt ist.



    Einverstanden. Konnte ich mir allerdings auch vorher denken.



    Was ich nicht finde, wie sich der Inhalt des Artikels mit seiner unterschwelligen Ambition, das Auslegen dieses Blatts verwerflich zu finden, mit dem Satz "Eine Zensur findet nicht statt" vereinbaren lässt.



    Gerade innerhalb einer Zeitung, die im Zweifelsfall denselben Maßnahmen unterliegen würde, hätte ich mir da deutlich mehr Gedankenarbeit erhofft.

    • @Encantado:

      Zensur bedeutet, dass die Zeitung gar nicht erst erscheinen darf. Dass sie nicht ausgelegt wird, ist keine Zensur. "Wild und Hund" liegt ja wahrscheinlich auch nicht in der Stadtbibliothek aus.

  • Das kann doch jemanden, der regelmäßig im taz-Forum stöbert, nicht mehr schocken! Ein Großteil der Skurrilitäten aus Propaganda und Desinformation wird doch auch hier von einigen ganz Eifrigen beharrlich serviert. Gerne mit vorangestelltem Lippenbekenntnis: "natürlich verurteile ich ...", Aber! s.o.

    • @dites-mois:

      Ja...wenn hier mal wieder der Flieder blüht, fragt man sich, warum denn keiner nachdenkt beim Kartöffelchenessen...

      • @Suryo:

        Was ist eigentlich aus Ernie geworden? Ich hab ja sonen konkreten Umbenennungsverdacht . .