piwik no script img

Böckler-Stiftung zu InflationHöherer Mindestlohn gefordert

Geht es nach den Ex­per­t*in­nen der Hans-Böckler-Stiftung, sollte die zuständige Kommission den Mindestlohn rasch anheben. Die Inflation mache eine Anpassung nötig.

Die außerordentliche Anhebung auf zwölf Euro pro Stunde Mindestlohnsei ein Fortschritt gewesen reicht aber noch nicht aus Foto: imago

Düsseldorf afp | Ar­beits­markt­ex­per­t*in­nen der Hans-Böckler-Stiftung haben der Mindestlohn-Kommission zu raschen weiteren Erhöhungen geraten. Die außerordentliche Anhebung auf zwölf Euro pro Stunde im vergangenen Jahr sei ein Fortschritt gewesen, der jedoch nicht ausreiche, erklärten die For­sche­r*in­nen der gewerkschaftsnahen Stiftung am Mittwoch. Auch angesichts der anhaltend hohen Inflation dürfe es „keine Verschnaufpause geben“.

Die Ex­per­t*in­nen verwiesen zum einen darauf, dass „die von vielen befürchteten negativen Konsequenzen für den Arbeitsmarkt ausgeblieben“ seien, seitdem der gesetzliche Mindestlohn 2015 eingeführt wurde. Zugleich sei selbst mit der außerordentlichen Erhöhung nicht einmal die vom Statistischen Bundesamt bei 12,50 Euro angesetzte „Niedriglohnschwelle“ erreicht worden.

Auch die Referenzwerte, die sich aus der EU-Mindestlohnrichtlinie ergeben, liegen demnach deutlich höher: „50 Prozent des durchschnittlichen oder 60 Prozent des mittleren Lohns, des Medianlohns, würden aktuell 13,16 Euro beziehungsweise 13,53 Euro entsprechen“, erklärten die Expert*innen. Es bleibe also noch Luft nach oben, „wenn eine existenzsichernde Untergrenze erreicht und gehalten werden soll“.

Die Böckler-Experten raten der Mindestlohnkommission „dringlich“, die Inflation besonders zu berücksichtigen, da die allgemeine Teuerung Beschäftigte mit niedrigem Entgelt besonders hart trifft. „Eine entsprechende Anpassung des Mindestlohns sollte mindestens einmal im Jahr erfolgen.“ Das schreibe im Übrigen auch die EU-Richtlinie vor.

Vorschlag zur Anhebung im Sommer?

Die unabhängige Mindestlohnkommission unterbreitet der Regierung derzeit alle zwei Jahre einen Vorschlag zur Anpassung des Mindestlohns. Der nächste Vorschlag wird für den Sommer erwartet.

In der Kommission sitzen drei von den Arbeitgebern entsandte Vertreter, drei Gewerkschafter, der Vorsitzende sowie zwei nicht stimmberechtigte Wissenschaftler. Laut Gesetz ist es ihre Aufgabe, eine „Gesamtabwägung“ vorzunehmen.

Die festgelegte Höhe soll „zu einem angemessenen Mindestschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beitragen, faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen ermöglichen sowie Beschäftigung nicht gefährden“. Die Kommission orientiert sich dabei „nachlaufend an der Tarifentwicklung“.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

15 Kommentare

 / 
  • Der Mindestlohn ist tendenziell immer zu niedrig. Zum einen definiert der Staat ja, wie hoch dieser Lohn sein soll, nicht wie hoch er sein muss, zum anderen können die Arbeitnehmer gar nicht darüber entscheiden oder es beeinflussen, wie hoch der Lohn sein wird. In Deutschlang gibt es jetzt noch 6 Mio. Mitglieder in DGB-Gewerkschaften, die haben da eine andere Situation, die können auch mal bestimmen bzw. wenigstens etwas aushandeln. Vor 30 Jahren hatten wir keinen Mindestlohn, wer Arbeitskräfte anforderte oder haben musste, hat sich an Tarifverträgen orientiert, heute geht es absurderweise um das, was der Staat als unterste Stufe vorsieht. Die Gefahr das Arbeit entwertet wird, ist superhoch. Und es besteht auch immer die Gefahr, dass dieser Lohn nicht reicht, dass die Menschen ihr ganzes Leben in Armut und in Not leben. Diese Lebenssituation überträgt sich dann auf die Familien, die Kinder, diese Form von Arbeitsverhältnis erzeugt eine verkrustete Armut.

  • Klingt logisch und berechtigt. Und gilt natürlich auch für die Berufstätigen: Mindestens 10 % im öffentlichen Dienst plus regelmäßigen vollen Inflationsausgleich.

  • Ich möchte nochmal anmerken, dass der Mindestlohn reine Sozialkosmetik ist.

    Den Menschen, die die gesellschaftlich notwendige unbezahlte Arbeit machen oder selbstständig sind, nutzt er gar nicht, sie müssen ihn aber mitfinanzieren, wenn die Kosten in die Preise übergewälzt werden - und es fallen Durchsetzungskosten an.



    Auch denen, die Lohnarbeit machen, verschafft er keine "faire[n] und funktionierende[n] Wettbewerbsbedingungen", das ist wirklich zynisch und Augenwischerei.



    Wer Augenhöhe und so etwas wie einen echten Arbeitsmarkt herstellen will, muss schon ein Bedingungsloses Grundeinkommen einführen. Damit haben Menschen dann die Kontrolle darüber, wo sie ihre Arbeitskraft einsetzen und zu welchem Preis.

    Da wir das BGE sowieso brauchen, um der ökologischen Katastrophe Herr zu werden, könnten Damen und Herren im Bundestag da jetzt mal so langsam in die Pötte kommen.

    • @Eric Manneschmidt:

      Sinnvoller als ein BGE ist aber, dass alle gesellschaftlich notwendige Arbeit angemessen bezahlt wird und jeder im arbeitsfähigen die Möglichkeit hat, seinen Lebensunterhalt selbst mit eigener Arbeit zu verdienen. Schließlich brauchen wir die Arbeitskraft und die Fähigkeit aller. Ein BGE macht allenfalls Sinn, wenn es nicht genug Arbeit für alle gibt, nicht wenn es an Arbeitskräftem mangelt. Um die sozialen Probleme wie zu niedrigen Renten, zu hohe Wohnkosten, nicht genug Personal in Pflege, Kinderbetreuung und ÖPNV zu lösen und die Gesellschaft gerechter zu machen braucht es keine höheren oder zusätzlichen Transferleistungen (Bürgergeld, Wohngeld BGE etc.), die die Arbeitgeber letzlich aus ihrer Verantwortung entlassn, für den Lebensunterhaltihrer Mitarbeiter zu sorgen, sondern höhere Löhne, nicht nur, aber besonders in den unteren Bereichen.

      • @Ruediger:

        Nein, das ist völlig unmöglich. Ihr Konzept erfordert, dass irgendeine allmächtige Behörde im Detail jede Art von geleisteter Arbeit bezüglich ihres gesellschaftlichen Nutzens bewertet. D.h. jede Art von Sorgetätigkeit (für Kinder, Alte, Kranke, Freunde, Nachbarn, Kollegen...) müsste klassifiziert werden, jede Art von gesellschaftlichem Engagement (z.B. politisches Engagement in Parteien und Vereinen oder auch außerhalb jeder Organisation), jede Art von schöpferisch-kreativer Aktivität (Malerei, Musik, Tüftelei, ...), jegliche Bildungsaktivität (ob das ein Studium oder das Belegen eines Volkshochschulkurses oder das Lesen eines guten Buches ist).



        Es kommt hinzu, dass diese Super-Arbeitsbehörde auch ganz genau wissen müsste, was jeder einzelne Mensch gut kann und wie arbeitsfähig er ist.

        Es ist ein Quatsch, "die Arbeitgeber" für die soziale Absicherung der Bevölkerung verantwortlich zu machen. Ihre Aufgabe ist die Herstellung/Zur-Verfügung-Stellung von Waren und Dienstleistungen, und zwar möglichst effizient, d.h. unter Verwendung möglichst geringer Ressourcen (dazu zählt auch Arbeitskraft).



        Nur das Gemeinwesen insgesamt kann effektiv für Soziale Sicherheit sorgen.

        Ja, wir brauchen die Arbeitskraft und Fähigkeit aller. Aber sie müssen auch selbst verantworten (können), was und wo sie beitragen zum Gemeinwohl. So viel Freiheit müssen wir den Menschen schon zumuten, vergessen Sie mal Ihre Idee von der Super-Behörde, die uns alle Entscheidungen abnimmt.

        • @Eric Manneschmidt:

          Eben nicht. Wer möchte, dass eine Arbeit gemacht wird, muss sie ausreichend bezahlen, sonst wird sie nicht gemacht. Wenn die Löhne entsprechend hoch sind, bleibt auch genug Zeit, im Ehrenamt Dinge zu tun, die Spaß machen und für die es keine Bezahlung braucht.

          • @Ruediger:

            Süß. Sie haben Ihre Eltern also bezahlt für die 15, 20 oder 25 Jahre, in denen die sich um Sie gekümmert haben...

            Ehrenamt ist wichtig, der größte Teil der unbezahlten Arbeit sind aber Sorgetätigkeiten, kein klassisches "Ehrenamt". Es ist auch nicht so, dass unbezahlte Arbeit immer "Spaß macht" oder Spaß machen muss. Sie ist einfach notwendig und muss daher ermöglicht werden.

            Übrigens ist nicht jede Erwerbsarbeit sinnvoll oder notwendig. Auch das spricht dagegen, die soziale Absicherung über Erwerbsarbeit zu organisieren.

            • @Eric Manneschmidt:

              Wenn ich mich um mein Kind kümmer, ist das keine Arbeit! Das gibt mir genau so viel wie meinem Kind. Wer das nicht machen will, muss dich ja nicht für ein Kind entscheiden.

              • @Ruediger:

                Na, dann definieren Sie mal, was (für Sie) "Arbeit" ist.



                Ist das, was Spaß macht, grundsätzlich keine Arbeit? (Darf Arbeit also keinen Spaß machen?)



                Was ist, wenn eine Tätigkeit manchen Spaß macht und anderen nicht?

                Was ist mit der Pflege von kranken und sterbenden Angehörigen? Die kann man sich eher nicht aussuchen und sie sind vielleicht nicht so süß wie Kinder.

    • @Eric Manneschmidt:

      "Wer Augenhöhe und so etwas wie einen echten Arbeitsmarkt herstellen will, muss schon ein Bedingungsloses Grundeinkommen einführen. Damit haben Menschen dann die Kontrolle darüber, wo sie ihre Arbeitskraft einsetzen und zu welchem Preis."

      Die Frage ist nicht wo und zu welchem Preis die Arbeitskraft eingesetzt wird, sondern ob sie dann überhaupt noch eingesetzt wird ;)

      • @SeppW:

        Nun ja, Sie haben meinen Punkt mit der unbezahlten Arbeit wohl überlesen. Nach der letzten Zeitverwendungsstudie von 2013 werden 57% der in Deutschland geleisteten Arbeitsstunden nicht bezahlt (www.destatis.de/DE...rbeit-022016.html).

        Zweitens steigt im Niedrigeinkommensbereich logischerweise der "Arbeitsanreiz", weil Erwerbseinkommen nicht mehr auf Sozialtransfers angerechnet wird.

        Und für Gutverdiener wird das BGE alleine nicht reichen, um den gewohnten Lebensstandard zu sichern.

        Übrigens zeigen alle mir bekannten BGE-Pilotprojekte, dass das Arbeitsangebot nur bei Leuten zurückgeht, die entweder kleine Kinder betreuen oder länger in Ausbildung bleiben (beides sicherlich sinnvoll für die Gesellschaft). Häufig arbeiten die Menschen sogar mehr (auch was erwerbsförmige Arbeit angeht).

  • Die durch den Energiepreis getriebene Inflation macht höhere Mindestlöhne erforderlich. Schließlich gibt es bei den niedrigsten Einkommen kaum Spielraum, die Inflation aufzufangen. Aber es ist ein gefährlicher Irrtum, wenn ein Ausgleich der Inflation nun über alle Einkommensgruppen hinweg erstreikt wird. Irgendjemand muss auch die Kosten der Energiewende stemmen. Man kann diese Wahrheit nicht ewig verheimlichen. Die alte Hoffnung, alles klammheimlich aus einem Wirtschaftswachstum zu bezahlen wird kaum noch aufgehen…

    • @mwinkl02:

      Dafür ist die Regierung zuständig. Ich sehe jedenfalls keinen Grund, warum gerade diejenigen bezahlen sollten, die gegen Geld arbeiten gehen.

    • @mwinkl02:

      Ach was, die Energiewende kostet uns nicht nur pro Kopf eine Kugel Eis pro Monat ?

  • Die Frist zur Umsetzung der EU-Mindestlohnrichtlinie endet erst im November 2024 und ist derzeit noch nicht gültig.

    Zusammen mit der Entscheidung der Bundesregierung, den Mindestlohn auf EUR 12,00 anzuheben wurde auch entschieden, dass die Mindestlohnkommission im Sommer 2023 über eine Erhöhung entscheiden soll, welche dann zum 01.01.2024 umzusetzen ist (siehe www.bundesregierun...ndestlohn-2006858).

    Insoweit wird es diesen Sommer zwar einen Vorschlag geben, jedoch in diesem Jahr keine Erhöhung mehr.