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Bürgermeister zu Kosovo und Serbien„Noch nie einen serbischen Freund“

Seit 15 Jahren ist das Kosovo unabhängig. Das Land strebt in die EU, die junge Generation wandert aus. Bürgermeister Alban Hyseni bleibt im Land.

Bürgermeister Alban Hyseni (Vetëvendosje!, LVV) im Rathaus der Gemeinde Gjilan Foto: Allegra Schneider
Jean-Philipp Baeck
Interview von Jean-Philipp Baeck

taz: Herr Hyseni, das Kosovo ist nun seit 15 Jahren unabhängig und Serbien erkennt diese Unabhängigkeit nicht an. Derzeit wird über einen Grundlagenverstrag diskutiert, wie das Kosovo und Serbien sich akzeptieren könnten. Wirken sich diese Debatten auf Ihre Arbeit als Bürgermeister aus?

Alban Hyseni: Nicht so sehr wie im nördlichen Teil des Kosovo, wo der Anteil der Serben an der Bevölkerung hoch ist. Gleichzeitig sind auch wir nah an der Grenze. Ich glaube vor allem, dass durch die Diskussionen mit Serbien und über die serbische Minderheit die Situation anderer Minderheiten im Kosovo etwa vergessen wird.

Wie meinen Sie das?

Wir haben zum Beispiel die Roma-Community in Gjilan. 18 von insgesamt rund 130 Familien haben keine Häuser. Deshalb wollen wir nun Sozialwohnungen bauen. Die Roma befinden sich insgesamt in einer schwierigen Situation. Sie gehen in die Schulen der serbischen Minderheit. Dadurch sprechen auch viele in der Roma-Community kaum Albanisch, was es schwierig macht, sich in eine Gesellschaft zu integrieren, in der mehr als 90 Prozent der Menschen Albaner sind.

Im Interview: Alban Hyseni

32, ist seit 2022 Bürgermeister der Stadt Gjilan im Südosten des Kosovo mit rund 50.000 Einwohnenden. Wie der kosovarische Premierminister, Albin Kurti, ist Hyseni Mitglied der sozialdemokratischen Partei Vetëvendosje! Zuvor war er Abgeordneter im Parlament Kosovos.

Aktuell ist das Bildungssystem im Kosovo aufgeteilt. Die Gemeinden mit serbischer Mehrheit haben eigene Schulen. Viele Kinder dort lernen zu Hause und in der Schule nur Serbisch. Wie begegnen Sie dem Problem?

Ich hatte in meiner Generation noch nie einen serbischen Freund. Mein Vater hatte einen, weil Serben und Albaner zusammenlebten und gemeinsam zur Schule gingen. Jetzt gibt es serbische Minderheitengemeinden und Dörfer, die in ethnische Gruppen aufgeteilt wurden. Das schafft Enklaven. Und dadurch wird die Freundschaft zwischen den Menschen unterbunden.

Wie kann sich das verbessern?

Wir müssen mehr Kontakt zueinander aufbauen. Im Grunde werden alle Probleme zwischen dem Kosovo und Serbien von der Politik geschaffen, aber nicht von den Menschen. Auf dem Markt kaufen wir gemeinsam ein, da hören Sie die Leute auf Serbisch oder Albanisch reden. Die Menschen wollen einfach nur ihr Leben leben und die Probleme lösen, wie Arbeitslosigkeit, ein schlechtes Bildungssystem oder ein schlechtes Gesundheitssystem.

Auf Ihrem Tisch steht neben der kosovarischen Flagge, die die Multiethnizität des Landes repräsentieren soll, auch die albanische Flagge. Steht Ihre Partei Vetëvendosje! weiterhin für die Idee, dass sich Kosovo mit Albanien vereinen könnte?

Wir wollen ein demokratisches Land aufbauen, das alle Rechte respektiert und auch die anderen ethnischen Gruppen, die nicht die Mehrheit bilden. Aber wir sind Albaner und können unsere Herkunft nicht verleugnen. Uns mit unserem Heimatland zu vereinen, ist daher unser politischer Wille. Aber es darf nicht erzwungen werden und es bedeutet auch nicht, dass wir ohne die anderen ethnischen Gruppen leben wollen.

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Meinen Sie nicht, dass diese Idee vor allem der serbischen Minderheit im Land Sorgen bereiten könnte?

Sie sind gleichberechtigte Bürger und sollten so behandelt werden. Es gibt vermutlich kaum ein Land, das den ethnischen Gruppen so viele Rechte einräumt. Serben, Roma, Türken, Goranen, Ägypter, Aschkali und Bosniaken haben garantierte Sitze im Parlament. Ich hatte viele Treffen mit der serbischen Gemeinschaft in Gjilan. Aber wenn man sie ins Rathaus einlädt, kommen sie nicht: Nicht weil wir Albaner sind, sondern weil sie kein Vertrauen in die Institutionen haben. Das ist unter Albanern nicht anders.

Die Menschen misstrauen der Politik?

Ja und sie haben allen Grund dazu. Es gibt Politiker, die sich große Vorteile verschafft haben, die ihre Kinder zur Ausbildung in die EU oder die USA schickten, während in das öffentliche Bildungssystem im Kosovo nicht genug investiert wurde. Deshalb müssen wir erreichen, dass die Menschen wieder Vertrauen in die Institutionen fassen, dass es jemanden geben kann, der das Land nicht ausraubt und sich für die Zukunft seiner Bevölkerung einsetzt. Das Durchschnittsalter im Kosovo liegt bei etwa 30 Jahren. Wir müssen diese junge Generation für die Politik interessieren.

Sie sind seit zehn Jahren in der Politik. Wollte Sie schon immer Politiker werden?

Ehrlich gesagt: nein. Mein Traum war es, Mitglied der kosovarischen Streitkräfte zu werden. Das hat wohl mit meinem Alter zu tun und mit dem Krieg in den neunziger Jahren. Aber ich sah dann eine andere Möglichkeit, meinen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten, habe Jura studiert und promoviere nun im Strafrecht.

Zog es Sie nie ins Ausland?

Zumindest nicht, um dort länger zu leben. Das war nie mein Ding.

Vielen Leuten aus dem Kosovo geht das anders. Es gibt starke Abwanderung. Warum?

Mehr als 40.000 Menschen haben letztes Jahr das Kosovo verlassen. Etwa 35 Prozent der Gesamtbevölkerung Gjilans leben im Ausland. Es gibt also eine ziemlich große Diaspora, mit der die Familien verbunden sind. Und in dieser Region waren auch die Investitionen bislang recht niedrig.

Was ist hier zu tun?

Da geht es auch um Grundbedürfnisse. Die Gesamtgemeinde umfasst neben der Stadt noch rund 50 Dörfer. 15 davon haben keinen Zugang zu Trinkwasser. Wir brauchen also Investitionen in die Infrastruktur, in die Trinkwasserversorgung, in das Schwarzwassersystem, ebenso in die Bildung und Gesundheitsfürsorge.

Das Gesundheitssystem im Kosovo hat große Probleme …

Die Basisversorgung wird von uns kommunal verwaltet. Wir haben etwa ein Familiengesundheitszentrum, das gute Arbeit macht, und investieren in ein neues medizinisches Versorgungszentrum. Auch das Krankenhaus bräuchte viele Investitionen. Wir versuchen, so nah wie möglich an die Menschen heranzukommen. In diesem Jahr haben wir ein neues Labor für Blutanalysen in einem der Dörfer gebaut.

Es müssen Zuzahlungen für die medizinische Behandlungen geleistet werden. Wie ist das für arme Menschen?

Genau deshalb müssen wir auch die Dienstleistungen dezentralisieren: Manche Menschen können es sich einfach nicht leisten, zur hausärztlichen Versorgung in die Stadt zu fahren. Insgesamt ist die Beteiligung für Gesundheitsdienstleistungen aber gering. Man zahlt zum Beispiel einen Euro für eine Infusion oder zwei Euro für eine Spritze. Menschen, die Sozialhilfe bekommen, müssen nichts bezahlen.

Werden viele Menschen in Gjilan von ihren Familien im Ausland unterstützt?

Ja, die Rücküberweisungen, die in unserer Region ankommen, sind ziemlich hoch. Das Geld wird im Wesentlichen für den Lebensunterhalt verwendet. Aber aus der Diaspora kommen auch Unternehmen, die in Gjilan investieren wollen. Wir planen eine große Wirtschaftszone, um ihnen etwas anzubieten.

Wen wollen Sie anlocken?

Unser Ziel sind besonders Unternehmen im Bereich der Technologie. An der Universität in Gjilan gibt es viele Informatikstudenten, das Potenzial ist groß. Gleichzeitig versuchen wir, den Tourismus zu fördern. Rund um Gjilan ist eine schöne Natur und wir grenzen an Nordmazedonien und auch an Serbien. Es gibt in der Nähe eine Burg aus der Römerzeit, die ist der perfekte Ausgangspunkt für einen langen Wanderweg.

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1 Kommentar

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  • Toller Artikel!

    Eine sehr lobenswerte und weitsichtig-ehrliche Einstellung. So einen Bürgermeister würde ich mir für meine Region wünschen! Hier erkennt man den Zweck einer Kommune - Daseinsvorsorge und nicht Bereicherung und Verwaltung der Verwaltung wegen.

    Einen Tipp für den Wunsch nach Tourismus und Natur. Wir waren letztes Jahr in der Region unterwegs. Am erschreckensten war das Müllproblem und der Umgang der lokalen Bevölkerung, Kinder und Autofahrer mit der Natur. Kaum Achtung, jede Straße, jeder Fluss und Weg übersäht mit Kunststoffmüll. Es gibt keine Mülltrennung, der Müll wird einfach hinter dem Haus in den Fluss gekippt.*Schock. Das hat viel mit Achtung, auch vor sich selbst und seiner Situation zu tun.

    Totaler Mangel an Caravan- und Campingplätzen. Gut wäre für die Regionale (Wochen-) Märke (Regionalwirtschaft), statt Supermarktketten aus DE, die sich dort breit machen. Letzteres sind für den Mülleintrag hauptverantwortlich. Hier kann die Lokalpolitik Regeln festlegen, fördern und handeln. Sensibilisierung durch Umweltbildung in der Schule ist ein wirksamer Ansatz für die gesellschaftliche Mitte. Dann könnte man auch gut Urlaub machen. Eine Bahnverbindung wäre auch was cooles, das kann man mit der EU gleich mitverhandeln :-)