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Die Hauptstadt und ihr SenatWie Berlin gegen sich arbeitet

Berlin ist eine Stadt voller Möglichkeiten. Die Konzeptlosigkeit führender Po­li­ti­ke­r*in­nen trägt aber dazu bei, dass Chancen verschenkt werden.

Franziska Giffey, noch Regierende Bürgermeisterin von Berlin, am LGBTQI-Stand der Internationalen Tourismus-Börse Foto: Fabian Sommer/dpa

B erlin ist eine wunderbare Stadt, die alles tut, um zu verhindern, dass sie wunderbar bleibt. Was hat diese Stadt für Menschen, für Möglichkeiten!

Es gibt so viele, die hier ihre Zukunft sehen, die hier andere wie sie finden oder gar nicht wie sie, die Inspiration finden, immer noch eine Freiheit, wie es sie sonst in diesem Land nicht gibt, eine Internationalität, die das schrumpfende Provinzdeutschland drumherum umso kleiner erscheinen lässt, müder, fader.

Es verblüfft mich immer noch jeden Tag, wirklich jeden Tag aufs Neue, mit welcher Insistenz und Schludrigkeit diese Stadt gegen sich arbeitet. Und da geht es gar nicht um vagabundierende Baustellen, die immer wirken wie Guerilla-Aktionen einer Stadtverwaltung oder -nichtverwaltung, so willkürlich tauchen sie auf und verschwinden wieder.

Es geht auch nicht um Fahrradwege, die einfach im Nichts enden, wie leider auch erschreckend viele Leben von Fahrradfahrer*innen, die dafür umso grimmiger von neongelben Polizeischwadronen verfolgt werden, die die bestrafen, die am meisten gefährdet sind.

Sie sagen, sie lieben Berlin, lehnen aber alles ab

Es geht also nur teilweise um dieses Autoritärsgehubere, das sich immer stärker zeigt, vielleicht auch eine Folge der postpandemischen Regelwut, aber wir leben eben in Zeiten einer regressiven Moderne. Es geht auch nur teilweise um das Stadtschloss, mit dem so vieles angefangen hat oder verbunden ist, das kalte Hohenzollern-Herz dort, wo die Widersprüche, die Offenheit oder der Aufbruch in dieser Stadt beginnen könnten, ihren Platz haben könnten, ein Haus der Zukunft, ein Ort für alle und jeden, ein Palast der Republik vielleicht, ach, was für ein schöner Name!

Und auch nur teilweise geht es um die Autobahn A 100, die sie nun tatsächlich weiter in die Stadt hineinwalzen wollen, als sei fossile und individuelle Mobilität noch ein Versprechen und keine Drohung. Es geht nur teilweise um ganze Viertel, in denen der Quadratmeterpreis die einzige ästhetische Prämisse ist, was dazu führt, dass hier nur der kalte Wind des Kapitalismus seine Heimat findet. Und es geht nur teilweise um so stur verkorkste Großprojekte wie das Museum für Gegenwartskunst, das gebaut wird gegen den Einspruch wesentlicher Stimmen aus Kultur und Kritik, ein trotziger Tempel für eine Gegenwart, die schon jetzt veraltet wirkt.

Es geht mehr um die Selbstverleugnung in dieser Stadt, gerade durch die, die sagen, dass sie Berlin lieben oder Berlin sind – und die ablehnen, wofür diese Stadt stehen könnte und für viele, die hier leben, auch steht: die Solidarität, das Experiment, die Individualität, die Veränderung, die Schönheit, die Dunkelheit, die Intelligenz, die Verschwendung.

Es entsteht eine Koalition der aggressiven Visionslosigkeit

Eine Koalition der Kleinmütigkeit also, die dafür sorgt, dass Berlin eine Stadt der Geistesmenschen wie der Geistlosigkeit bleibt, im steten Streit von Vergangenheit und Zukunft, wobei allzu oft die Gegenwart abhandenkommt. Sie bauen sich eine Bastion gegen die Zukunft, eine Schuhkartonwelt – womit die Berliner Malaise sinnbildlich wird für dieses Land.

Denn die Hauptstadt ist mehr als eingeübtes Scheitern, über das sich alle risikofrei lustig machen können. Die Hauptstadt ist nur ganz vorn dabei in einem Land, das sich entschieden hat, im Schatten der Weltgeschichte reich und schläfrig zu werden, eingelullt von der eigenen Erfolgsgeschichte, die wie so viele Erfolgsgeschichten meistens schon eine Weile vorbei ist, wenn man sie erzählt.

Die Planlosigkeit, die Konzeptionslosigkeit, der Mangel an Energie und Eleganz, das alles reicht weit über Berlin heraus – wo sich jetzt also in einem Akt der Selbstermächtigung des Mittelmaßes eine Regierung gewählt haben, die genau die Fadheit dieser Stadt wie des Landes spiegelt: eine Koalition der aggressiven Visionslosigkeit, anspruchsfrei, rückwärtsgewandt, die eigene Karriere als Horizont der Möglichkeiten. Der eine, der von der CDU, heißt es, sei ein guter Netzwerker; die andere, die von der SPD, heißt es, „kann“ Verwaltung.

Wären bloß die richtigen Leute oben

Physiognomisch, biografisch und politisch-thematisch ist das ein Rückschritt in die 90er Jahre – mit dem Unterschied, dass die 90er Jahre, so wie sie waren, voller Farbe, Fun und Möglichkeiten, wie ausradiert wirken, negiert, als habe es sie nie gegeben.

Die grantige Kahlschädeligkeit von Kai ­Wegner, die adrette Krampfigkeit von Franziska Giffey: Es ist wie eine Korrektur der Geschichte, eine Verleugnung der Vergangenheit dieser Stadt, ihrer Brüche, Energie und Offenheit. Es ist wie ein später Triumph der Spaßverderber über die, die Berlin damals und immer noch zu einer Weltstadt machen wollten.

So wie sie also gerade Straßen bauen in Berlin, die die Stadt des 19. Jahrhunderts wiedererwecken sollen, als habe es Krieg, Moderne, zwei verschiedene deutsche Staaten nicht gegeben, setzt sich auch in der Politik eine Haltung durch, die die fehlende Zukunftsoffenheit mit einem Beharren auf einer künstlich kreierten Historie konterkariert. Was könnte aus dieser Stadt alles werden, was hätte aus ihr alles werden können, wenn man Mut hätte und die richtigen Leute in den richtigen Positionen.

Von außen wirkt es wie Führungslosigkeit

Aber noch einmal, Berlin ist hier nur ein Extremfall an verschenkten Chancen in einem Land, das sich in einem Stadium der Selbstverpuppung befindet. Die wesentlichen Zukunftsfragen werden delegiert, man tut sich schwer, seine Rolle in Europa zu definieren ­– von außen wirkt es wie Führungslosigkeit, von innen wirkt es wie politische Selbstaufgabe, verbunden mit einem verknorrten sprachlichen Schutzjargon, der alle Zweifel hinter herbeigelächelten Phrasen versteckt.

Können die also Verwaltung? Können die Karriere? Oder können die auch Zukunft? Auf mich wirken die beiden wie trotzige Nachzügler, die kaputt machen, was andere gebaut haben, was schön sein könnte und leben.

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8 Kommentare

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  • Interessante Perspektive!



    Aus der Ferne betrachtet haben die BerlinerInnen gewählt. Von einer "Selbstermächtigung" kann nur der sprechen, der ignoriert, dass Berliner BürgerInnen und Bürger die "Protestpartei CDU" gewählt haben, oder eben nicht wählen gegangen sind.



    Der ganze Artikel ist getragen von der Verantwortung Anderer. Also, seit ich erwachsen bin, vielleicht schon vorher, versuche ich mein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Für meine Erfolge, wie für meine Fehler bin ich selbst verantwortlich.



    Die wirklich deutsche Untugend an dem Artikel ist das ewige Gejammer.

  • CDU=yesterday, SPD=Achterbahn, Grüne=hauruck, Linke=Traumdeuter. Wie soll in sooo einer vielfältigen multikulturellen Stadt, wo sich jede Generation als vergessen fühlt, ein gerechtes verständnisvolles regieren gehen können und beständig funktionieren können?! Berlin ist einzigartig kompliziert, komplex und gebildet in viel diskutieren müssen. Wirklich wirklich schön wäre diese Stadt wenn es ruhiger wäre und nicht so stinken würde. Fazit: Alles wird so bleiben wie es ist.

  • Grüne und Linke fordern Berlin Klimaneutral bis 2030. Ich vermute der Autor dieses Artikls wird beim Volksentscheid darrüber mit Ja stimmen. Kann man machen, solange mans dann nicht machen muss. Wer einen Realitätscheck mal machen möchte, was unter der letzten RRG Regierung hier in Berlin so ''möglich''war, dem empfehle ich den TAZ Artikel ''Fahrradparkhaus am Ostkreuz''. Mich machen Artikel wie dieser hier fast schon wütend, weil sie eine träumerische Realität abildet, in der doch so vieles möglich sein könnte, die hier in Berlin einfach nicht existiert. Wenn man sich mal als Berliner richtig demütigen möchte, dann vergleicht man unseren Flughafen mit dem von Singapur. Was da Leute mit Ahnung geschaffen haben...

  • Reden, reden, reden. Ein Artikel wie die Berliner Politik seit Wowereit. Wir haben alle Visionen, Ideen, Träume und labern dann denganzen Tag darrüber. Tage, Wochen, Jahre und Jahrzehnte. Labern, Labern, Labern. Steht irgendeiner von den Träumern frühs auf und fängt an zu schaffen? Nix, kommt da, absolut nix!

  • Viel Schaum vorm Mund - in Bayern würde man Granulär sagen - und amit wäre alles gesagt.

  • Man kann die Situation in Berlin in wenigen Worten zusammenfassen:

    Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen.

  • Ich bin versucht zu sagen "weise Worte".

  • 1G
    14397 (Profil gelöscht)

    Danke an Georg Diez für die sehr richtigen, sehr wahren Worte. Obwohl ich weit entfernt von Berlin lebe, werde ich ihren Artikel sicher noch oft zitieren, er beschreibt die Situation auch in meiner Stadt und in D mehr als treffend, finde ich.