Berliner Grüne vor Wahlwiederholung: Spitze nimmt Anhänger in die Pflicht
Der Frust wegen Lützerath sei verständlich. Doch wer dafür die Spitzenkandidatin abstraft, gefährde einen grünen Sieg, heißt es auf dem Landesparteitag.
Der Frust der Klimabewegung über die Räumung des fast 600 Kilometer entfernten nordrhein-westfälischen Dorfes und der Umgang der Grünen damit wurde auf dem Landesparteitag immer wieder thematisiert. Nicht nur die Grüne Jugend als Nachwuchsverband, auch ältere Mitglieder berichteten am Rednerpult von Zweifeln an der eigenen Parteimitgliedschaft. Eine Delegierte im Rentenalter, nach eigenen Worten gerade zurück aus Lützerath, formulierte es so: „Ich dachte, ich gehe raus aus den Grünen.“ Ein Parlamentsmitglied vom Realo-Flügel, der hingegen daran erinnerte, dass Parlaments- und Regierungsarbeit stets Kompromisse erfordert, erhielt weit weniger Beifall.
Die Wahlwiederholung steht an, weil der Berliner Verfassungsgerichtshof Mitte November die Parlamentswahl vom 26. September 2021 für ungültig erklärte. Bei der Wahl vor eineinhalb Jahren gewann die SPD vor den Grünen, die wiederum knapp vor der CDU lagen. Regierungschefin des knapp 4 Millionen Einwohner großen Stadtstaates wurde die frühere Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD), die so eine bereits seit 2016 regierende Koalition mit Grünen und Linkspartei fortsetzte.
Aktuell liegt die SPD allerdings abgeschlagen mit 18 Prozent nur auf Platz drei. Laut der jüngsten, am Dienstag veröffentlichten Umfrage führt die CDU mit 23 Prozent vor den Grünen mit 21 Prozent. Die bisherigen links-grünen Koalitionspartner kommen allerdings weiterhin zusammen auf 50 Prozent der Stimmen. Die CDU ist trotz Führung auch im Verbund mit der FDP von einer Mehrheit im Abgeordnetenhaus, dem Berliner Landesparlament, weit entfernt. Mit einer umschwenkenden SPD aber könnten die Christdemokraten doch in die Lage kommen, die künftige Landesregierung anzuführen.
Diese Situation schlug sich deutlich in mehreren Reden des Parteitags nieder, die vor einer CDU-Regierung warnten. Die SPD wird als Konkurrentin um die Führung im links-grünen Lager kaum noch wahrgenommen. Spitzenkandidatin Jarasch griff etwa die Idee der CDU auf, den von ihrer Partei abgelehnten Weiterbau der Stadtautobahn A100 als „Klimaautobahn“ anzugehen. Das sei eine Mogelpackung der CDU, sagte Jarasch – „auch eine grün angemalte Autobahn bleibt eine Autobahn“.
Für das Wahlprogramm, gegenüber dem von 2021 teilweise aktualisiert, baute die Partei einen Punkt ein, der in Kontrast zu einer klaren Positionierung des rot-grün-roten Senats steht. Die Grünen begrüßen demnach nun die Forderung, das Bundesland schon bis 2030 klimaneutral zu machen. Diese ist Ziel eines Volksentscheids, der sechs Wochen nach der Parlamentswahl am 26. März ansteht. „Wir wünschen ihm viel Erfolg, denn auch wir sagen Ja zu mehr Klimaschutz“, heißt es im Wahlprogramm.
Die Landesregierung, die Klimaneutralität bis 2045 anstrebt, hatte die Forderung hingegen mehrfach abgelehnt, weil sie in nur sieben Jahren nicht umsetzbar und „nicht zielführend“ sei. „Eine Verschärfung der Zielzahl allein wird uns nicht klimaneutral machen“, hieß es bislang dazu – und zwar aus dem Mund der für Klimaschutz zuständigen Senatorin Bettina Jarasch.
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