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Wahlumfragen in BerlinZartgrün ist der Horizont

Anna Klöpper
Kommentar von Anna Klöpper

In einer neuen Umfrage vor der Berliner Wiederholungswahl verliert die SPD überraschend deutlich. Jetzt müssen die Grünen aus der Reserve finden.

Vielleicht lohnen sich die Mühen des Straßenwahlkampf ja noch für sie: Grünen-Kandidatin Jarasch Foto: picture alliance/dpa | Christophe Gateau

U mfragen vor Wahlen sind nur Momentaufnahmen, der Wählerwillen ist bis in die Wahlkabine hinein eine volatile Angelegenheit. Und dennoch, dieser BerlinTrend vom Donnerstag ist interessant. Das Rennen ums Rote Rathaus am 12. Februar scheint durchaus ein bisschen offener als es zuletzt den Anschein hatte. Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey ist womöglich angezählter, als man glauben mochte nach der durchaus von ihr erfolgreich versenkten Silvester-Diskussion.

Erste Auffälligkeit beim BerlinTrend im Auftrag von RBB und Berliner Morgenpost: Die CDU liegt vorn, mit 23 Prozent Zustimmungswert sogar noch komfortabler als in der Umfrage eines anderen Meinungsforschungsinstituts eine Woche zuvor. Zweite Auffälligkeit: Die Grünen sind deutliche drei Prozentpunkte vor der SPD, mit 21 zu 18 Prozentpunkten. Eine Woche zuvor lagen beide Parteien mit jeweils 19 Prozent noch gleichauf in der Wähler*innengunst.

Man merke: Die Berliner CDU kann sich offensichtlich Entgleisungen leisten, wie den rassistischen Vorschlag einer Vornamenabfrage zu den vermeintlichen Silvester-Tätern. Selbst ein Bundesvorsitzender Friedrich Merz schadet mit seiner „Pascha“-Rhetorik den stabilen Zustimmungswerten der Berliner CDU nicht. Sie muss also über eine relativ unerschrockene Stamm­wäh­le­r*in­nen­schaft in dieser Stadt verfügen.

Die SPD wiederum profitiert nicht von der Performance der Regierenden – zu der die Wäh­le­r*in­nen ein ambivalentes Verhältnis haben. 34 Prozent würden sie in einer Direktwahl wählen, wenn sie denn könnten – die Grünen-Kandidatin Bettina Jarasch nur 15 Prozent; für Kai Wegner von der CDU würden 20 Prozent stimmen. Nur hilft Giffey das nichts, wenn die Menschen – weil sie sie nunmal nicht direkt wählen können – ihr Kreuz dann doch lieber bei der CDU machen.

Wenn konservative Wäh­le­r*in­nen wieder zur CDU schwenken, werden die Grünen zur eigentlichen Gefahr für Giffey.

Der Union hatte Giffey im Wahlkampf 2021 mit einem konservativen Kurs Stimmen streitig gemacht: Die Verlängerung der A100 mochte sie nicht auschließen, eine Randbebauung des Tempelhofer Felds ebenso wenig. Wenn die Wäh­le­r*in­nen wieder zum konservativen Original schwenken, werden die Grünen zur eigentlichen Gefahr für Giffey.

Zurück zum Original

Liegen sie am Wahlabend vor der SPD, würde Giffey in einer möglichen grün-rot-roten Koalition den Chefinnensessel verlieren. Dass sie als Senatorin in ein Kabinett Jarasch geht ist indes schwer vorstellbar. Ebenso wenig, dass sie nach einem verpatzten Wahlsieg noch Berliner Parteivorsitzende bleiben könnte.

Zugleich ist schwer vorstellbar, dass die deutlich links ausgerichteten Berliner Grünen mit einer CDU zusammengehen würden, die sich besagte rassistische Entgleisungen leistet – denn rein rechnerisch wäre nach dem BerlinTrend auch eine Jamaika-Koalition mit der FDP möglich. Da ist die Linke, die in Berlin noch zweistellig ist, für die Grünen schon eher der Koalitionspartner der Herzen. Jarasch hat eine Koalition mit der CDU auch bereits für sich ausgeschlossen.

Eine Deutschland-Koalition aus CDU, SPD und FDP wäre zwar ebenfalls rechnerisch möglich, aber unwahrscheinlich: In vielen Punkten, etwa beim A100-Weiterbau und bei der Haltung zum Volksentscheid Deutsche Wohnen enteignen, sind längst nicht alle auf Linie mit der Regierenden. Bei der Wiederwahl zur Parteivorsitzenden bekam sie im Sommer 2022 nur 59 Prozent. Der Landesverband ist also deutlich linker als die Chefin. Wäre die weg vom Rathausfenster, ist eine Juniorpartnerschaft mit der CDU kaum attraktiv.

Die Zeichen stehen also – zumindest bis zur nächsten Umfrage – auf grün-rot-rot. Und wer zurecht denkt, wo eigentlich die Grünen bleiben in diesem Wahlkampf, der könnte schlussfolgern: Wenn Jarasch noch mal einen Akzent setzen will in diesem kurzen Wahlkampf, dann jetzt.

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Anna Klöpper
Leiterin taz.eins
Seit 2011 bei der taz. Leitet gemeinsam mit Sunny Riedel das Ressort taz.eins. Hier entstehen die ersten fünf Seiten der Tageszeitung, inklusive der Nahaufnahme - der täglichen Reportage-Doppelseite in der taz. Davor Ressortleiterin, CvD und Redakteurin in der Berliner Lokalredaktion. Themenschwerpunkte: Bildungs- und Familienpolitik.
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4 Kommentare

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  • Für die Grünen könnte die Wahl zum Alptraum werden. Eine grüne Regierungschefin die eine Koalition mit einer dann gedemütigten SPD eingehen muss, die den Grünen dann ihr Programm diktieren kann. Denn die SPD hat einen entscheidenden Vorteil ggü den Grünen, sie kann mit Grünen, Linken, FDP und CDU. Die ideologischen Grünen können stattdessen nur mit SPD und den Linken. Und diesen Vorteil wird die SPD gnadenlos ausspielen.

  • "Der Landesverband ist also deutlich linker als die Chefin. Wäre die weg vom Rathausfenster, ist eine Juniorpartnerschaft mit der CDU kaum attraktiv."

    Ist eine Juniorpartnerschaft mit den Grünen wirklich attraktiver ?

    Für die linke Mehrheit der SPD vielleicht, aber es gibt ja auch noch andere.



    Und ob die alle bei einer geheimen (und knappen) Wahl für eine Grüne als Bürgermeisterin stimmen würden ?

  • "Friedrich Merz schadet mit seiner „Pascha“-Rhetorik den stabilen Zustimmungswerten der Berliner CDU nicht."



    Merz will ja auch keine Stimmen von der Linke oder den Grünen holen, sondern von der SPD und der AfD. Und scheinbar kommt seine „Pascha“-Rhetorik dort sogar gut an.

    Bei den Grünen wäre ich vorsichtig mit einer Prognose, denn ich glaube viele sind von deren Umweltpolitik und Lützerath derart enttäuscht, dass es sich im Ergebnis bemerkbar machen wird.

    Das die AfD in Berlin "stabil" wird, finde ich furchtbar.

  • Vielleicht sollten die regierenden Parteien in Berlin mal ihre Erfolgsbilanz der letzen Jahre plakativ äußern. Z.B. zu den Themen Wohnungsmarkt, Bildung, Kriminalität, öffentliche Verwaltung etc. Oder wo steht das Land Berlin im Ländervergleich ?



    Au Weia.