Recht auf Stadt: Die große Parkplatzsuche

Wie viele Parkplätze es in Berlin gibt, ist bislang nirgendwo erfasst. Nun wollen Initiativen Parkplätze zählen und so die Verkehrswende vorantreiben.

Ein Fahrrad auf einem Parkplatz steht zwischen zwei fetten Karren

Wenn die Autos weg sind, bleibt Platz für Fahrräder, Parklets, Kleingärten, Schwimmingpools? Foto: Sabine Gudath/imago

BERLIN taz | Gibt es mehr Menschen oder mehr Autos auf den Straßen Berlins? Spaziert man einmal stichprobenartig durch den Kiez, ist die subjektive Antwort meist eindeutig: Autos. Und damit sind nicht unbedingt die fahrenden gemeint, sondern die, die rechts und links am Straßenrand stehen. Durchschnittlich 12,5 Quadratmeter Stellplatz braucht ein Auto; 23 Stunden am Tag steht es im Schnitt ungenutzt dort rum. Zusammengerechnet ist das eine riesige Fläche, die auch anders genutzt werden könnte, finden die Ak­ti­vis­t:in­nen der Initiative Parkplatztransform.

In Zeiten der Verkehrswende und immer knapper werdender Freiflächen sind Parkplätze längst zum Politikum geworden. Doch wie viele Parkplätze es in Berlin genau gibt, ist bislang nirgendwo erfasst. Mehrere zivilgesellschaftliche Initiativen wollen das nun ändern, indem sie selbst Parkplätze zählen.

„Was uns antreibt, ist die ungerechte Aufteilung öffentlichen Raums in der Stadt“, erklärt Henrike Junge von Parkplatztransform der taz. In der Stadt würden vor allem besserverdienende Menschen ein Auto besitzen. „Der Parkraum für reiche Leute wird von uns allen finanziert“, sagt Junge.

Parken in Berlin sei viel zu günstig, kritisiert die Initiative. Dazu kommt, dass auch innerhalb des S-Bahn-Rings immer noch viele Parkplätze komplett kostenfrei sind – entgegen dem im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziel, flächendeckende Parkraumbewirtschaftung einzuführen. Angesicht der hohen Folgekosten, die Automobilität mit sich bringt, wie etwa Feinstaubbelastungen, Straßenreparaturen und klimatische Schäden, sei auch ein bewirtschafteter Parkplatz ein Zuschussgeschäft.

Deutlich mehr Parkplätze als Grünfläche

Die Idee, durch das Sammeln von Parkplatzdaten die Verkehrswende voranzubringen, kam Junge und ihren Mit­strei­te­r:in­nen vor drei Jahren. Eigentlich wollten sie nur ausrechnen, wie viel Geld der Stadt in den Gebieten entgeht, in denen sie auf Parkraumbewirtschaftung verzichtet. Dabei stellten sie fest, dass eben niemand weiß, wie viele Parkplätze es in der Stadt eigentlich gibt. „Das fanden wir skandalös, weil es offensichtlich doch sehr viel Raum ist“, sagt Junge.

Parkplatzdaten werden bislang nur im Rahmen von Parkraumbewirtschaftungsstudien erhoben. Möchte ein Bezirk Parkgebühren erheben, muss dafür zunächst eine Studie in Auftrag gegeben werden, in der untersucht wird, wie viele Parkplätze in dem betreffenden Gebiet überhaupt vorhanden sind. In Innenstadtbezirken sind zwar so ein Großteil der Parkplätze erfasst, doch die Daten sind oft nicht frei verfügbar, stark veraltet und digital nicht verarbeitbar.

Der Initiative gelang es nach drei Jahren Arbeit, einen Großteil der öffentlichen Parkplätze innerhalb des Rings zu erfassen. Dafür fragten sie Parkraumstudien aus allen Bezirken an und trugen die Daten händisch zusammen. Wo Daten fehlten, zählten sie in Zählaktionen mit Freiwilligen und mit dem Maßband nach. Mit den Aktionen wollte man gleichzeitig Aufmerksamkeit schaffen und für das Thema Flächengerechtigkeit sensibilisieren, erklärt Junge.

In einer ersten Analyse der Ergebnisse, die die Initiative Ende Oktober vorstellte, verglichen die Ak­ti­vis­t:in­nen Parkraum mit anderen öffentlichen Flächen. „In der Mehrzahl der Kieze innerhalb des S-Bahn-Rings hat ein Auto mehr Parkplatzfläche als ein:e Ein­woh­ne­r:in Grünfläche“, fasst Junge erste Ergebnisse zusammen.

Daten als Grundlage für Debatten

Mit den Daten will Parkplatztransform nicht nur die gesellschaftliche Debatte über gerechte Flächenverteilung vorantreiben, sondern auch andere Initiativen bei ihrer Arbeit unterstützen. So nutzte „Hermannstraße für Alle“ die Daten, um zu argumentieren, dass der Wegfall von Parkplätzen an der Hermannstraße zu verkraften sei.

Lobby-Organisationen wie der Dachverband Changing Cities zeigten sich ebenfalls begeistert von den Daten der Initiative. „Berlin braucht eine Strategie, um Parkplätze zu reduzieren“, fordert Kerstin Stark von Changing Cities. Weniger Parkplätze würden weniger Autoverkehr bedeuten. Die Verringerung von Parkplätzen sei eine sehr emotionale Angelegenheit, bei der es große Widerstände gebe, so Stark. Umfassende Daten würden helfen, die Debatte zu versachlichen

„Es wird oft so getan, als wäre das eine Fehde gegen die armen Autofahrer, dabei gibt es Handlungsbedarf“, sagt Stark. Auch ließen sich mithilfe der Daten konkrete Ziele beschließen: zum Beispiel, wie viele Parkplätze jährlich reduziert werden könnten.

Doch in den Verwaltungen selbst können die Daten nicht zur Verkehrsplanung genutzt werden, da sie von Freiwilligen erhoben wurden und auf teilweise veralteten Parkraumbewirtschaftungsstudien basieren. Trotzdem haben die Bezirke zunehmend Interesse an genauen Parkplatzdaten: „Land und Bezirk haben sich vielfältige Ziele in verschiedenen Planwerken und Beschlüssen gegeben. Dazu sind aktuelle und detaillierte Daten hilfreich, um daraus Vorhaben abzuleiten und diese zu begründen“, sagt Verkehrsstädträtin Annika Gerold (Grüne) aus Friedrichshain-Kreuzberg auf taz-Anfrage. Dazu würde etwa die Parkscheinpflicht, eine Bevorzugung von Sondergruppen wie Anwohner*innen, mobilitätseingeschränkten Menschen und die Umwandlung von Parkplätzen gehören.

Hilfreich beim Entsiegeln

Besonders bei Letzterem nimmt Friedrichshain-Kreuzberg eine Vorreiterrolle in Berlin ein. Parklets – Stadtmöbel aus Holz, die Sitzgelegenheiten und Hochbeete für Blumen miteinander kombinieren – sind mittlerweile überall im Bezirk zu sehen. Im Graefekiez plant der Bezirk ein Modellprojekt, indem auf sämtliche Parkplätze für Privatautos im Kiez verzichtet wird. Langfristig plant der Bezirk sogar eine Entsiegelung von Parkflächen – eine dringend notwendige Maßnahme, um die Stadt besser für die Auswirkungen der Klimakrise zu wappnen.

An aktuelle und für die Planung brauchbare Daten zu gelangen ist für den Bezirk eine ungleich größere Herausforderung: „Für ein detailliertes Ergebnis ist kleinteilige Arbeit in jedem Straßenzug notwendig. Wo straßenverkehrsrechtlich geparkt werden darf oder nicht, ist in Einzelfällen nur durch Fachpersonen zu bewerten“, erklärt Stadträtin Gerold. „Im Extremfall befassen sich Gerichte ausführlich mit diesen Fragen.“

Für die Entsiegelung von Flächen ist beispielsweise nicht nur die Parkrichtung erforderlich, sondern auch die Art des Straßenbelags. So kann in den Rillen von Kopfsteinpflaster Wasser versickern, auf Asphalt hingegen nicht.

Hilfe bekommt der Bezirk bei dieser Aufgabe abermals aus der Zivilgesellschaft. Seit einigen Monaten kooperiert Friedrichshain-Kreuzberg mit der Open-Street-Map-Community (OSM). Die Geodatenbank ist eine Art Wikipedia für Karten, auf der alle, die mitmachen wollen, Informationen eintragen können. Unter anderem greifen viele Navigationsapps auf das Kartenmaterial von OSM zurück.

Zivilgesellschaft hilft Verwaltung

Im letzten Jahr entwickelte OSM-Ehrenamtlicher Alex Seidel eine Methode, Parkraum mit verhältnismäßig wenig Aufwand zu verzeichnen. In der Straße muss nur erfasst werden, ob und wie dort geparkt werden darf – die genaue Anzahl an Parkplätzen wird dann automatisch berechnet. Möglich ist das, da Informationen wie Straßenlänge, Bäume und Ausfahrten bereits sehr genau in Open-Street-Map-Karten enthalten sind. Als Pilotprojekt erfasste OSM den gesamten Parkraum Nordneuköllns.

Nun sollen aufbauend auf Seidels Methode auch aktuelle Parkplatzdaten für Friedrichshain-Kreuzberg erhoben werden. Geld vom Bezirk bekommt Seidel dafür nicht; allerdings hat er sich gemeinsam mit zwei Mitstreitern aus der OSM-Community erfolgreich für eine Förderung aus einem Technik-Fund beworben. „Wir möchten etwas liefern, das dabei hilft, die Stadt klimaresilienter zu machen und den Raum besser zu nutzen“, sagt Seidel im Gespräch mit der taz. Das Thema Parkplatzdaten schien „vielen unter den Nägeln zu brennen“.

Wäre Seidels Projekt erfolgreich, könnten durch die Parkplatzdaten die unter chronischem Personalmangel leidenden Verwaltungen in den Bezirken deutlich entlastet werden. Dass gute Daten allein aber noch keine Verkehrswende machen, zeigt auch das Beispiel Friedrichshain-Kreuzberg. Die Kontrolle der seit Langem beschlossenen flächendeckenden Parkraumbewirtschaftung, also letztlich deren Umsetzung im Alltag, scheitere bislang daran, genügend Kon­trol­leu­r:in­nen und geeignete Pausenräume zu finden, heißt es aus dem Bezirk.

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