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Gesetz für schnelleres AsylverfahrenZustimmung im Bundestag

Die Ampel will Asylverfahren beschleunigen und beschließt Reformen. Die Resonanz von Asyl-Organisationen ist verheerend.

Viele Asylbescheide sind in Deutschland fehlerhaft Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Berlin taz | In Deutschland dauert ein Asylverfahren derzeit im Schnitt 7,6 Monate. Vor drei Jahren waren es nur 6,1 Monate. Wer dabei abgelehnt wird und dagegen klagt, muss lange warten: Erst nach 26,6 Monaten ist im Schnitt eine Entscheidung da – 9 Monate länger als 2019.

Ein Grund: Die Gerichte sind überlastet, weil viele Schutzsuchende klagen. Denn die Asylbescheide sind oft fehlerhaft. 57 Prozent aller Abgelehnten zogen vor Gericht. Ende Juli 2022 waren rund 135.000 Klagen anhängig. Und weit mehr als ein Drittel der Klagen hat Erfolg, bei Af­gha­n:in­nen waren es 2021 gar 82 Prozent.

Rechtsprechung soll vereinheitlicht werden

Die Ampel will nun, dass sowohl das Verfahren beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) als auch die Klagen bei den Verwaltungsgerichten schneller ablaufen. Am Freitag wurde ihr Entwurf für ein „Gesetz zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren“ im Bundestag beschlossen.

Es soll die Rechtsprechung vereinheitlichen, Verfahren verschlanken und die „Qualität der Entscheidungen“ erhöhen, heißt es bei der Ampel: Das BAMF soll erstens schneller entscheiden und zweitens so, dass nicht mehr so viele Bescheide von Gerichten aufgehoben werden.

Unter anderem soll dazu die Regelüberprüfung von Asylbescheiden gestrichen werden. Widerrufsverfahren soll es nur noch „anlassbezogen“ geben. Die Grünen-Abgeordnete Filiz Polat verweist darauf, dass zuletzt 200 Beschäftigte des BAMF mit den anlasslosen Widerrufsprüfungen befasst waren. Außerdem will die Ampel eine behördenunabhängige Asylverfahrensberatung einführen, die „durch gut informierte Asylsuchende zu einer erhöhten Effizienz“ beiträgt, wie es in der Zielbeschreibung heißt. „Erfahrungen aus der Schweiz zeigen, dass die Qualität der Bescheide steigt, Klagen abnehmen, wenn Asyl­be­wer­be­r:in­nen vorab über Kenntnisse zum Ablauf des Asylverfahrens verfügen“, so Polat.

Kritik von Asyl-Organisationen

Die Resonanz von Asyl-Organisationen auf die geplante Reform ist indes verheerend. Keins der vielen derzeit laufenden Vorhaben der Ampel im Migrationsbereich zieht mehr Kritik auf sich.

Von „massiven Einschnitten in die Verfahrensrechte der Betroffenen im behördlichen und gerichtlichen Asylverfahren, in deren Verteidigungsrechte und in die Freiheit der anwaltlichen Berufsausübung“ spricht etwa der Arbeiterwohlfahrtsverband (AWO) in einer Stellungnahme. Der Verband stört sich unter anderem an den verkürzten Widerspruchsfristen und eingeschränkten Rechtsmitteln gegen Urteile.

Der Gesetzentwurf sei „geradezu von einer Misstrauenspolitik gegenüber Rechts­an­wäl­t:in­nen durchdrungen“, sagt auch Thomas Remmers, Vizepräsident der Bundesrechtsanwaltskammer. Aus Beschleunigungsgründen würden Verfahrensrechte beschnitten werden – „ohne jeden sachlichen Grund“. Die Ampel will so angeblich rechtsmissbräuchliche Beweisanträgen, die nur eingereicht werden, um das Verfahren zu verschleppen, entgegenwirken. Anwaltsverbände weisen dies zurück.

Die Kammer sieht „grundsätzlich keinen Bedarf für eine Beschleunigung“. Neue Verfahren – Altlasten ausgenommen – würden „sehr schnell, durchschnittlich in circa drei Monaten, abgewickelt.“

Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) verweist darauf, dass Asylprozesse heute in Rheinland-Pfalz nur 6,6 Monate, in Brandenburg aber 44,6 Monate dauern. „Es ist also klar ersichtlich, dass die Verwaltungsgerichte der Länder mit den bestehenden rechtlichen Möglichkeiten gut oder schlecht auf die Vielzahl von Asylprozessen reagieren können“, so der RAV.

Bundesverwaltungsgericht kann „Prüfungsmaßstäbe“ setzen

Die RAV-Sprecherin Berenice Böhlo kritisiert unter anderem die geplanten Video-Interviews durch das BAMF in einer Stellungnahme für Pro Asyl. „Es ist unabdingbar, dass eine besondere Gesprächsatmosphäre und Vertrauenssituation geschaffen wird, damit Schutzsuchende über ihre oft traumatischen Erlebnisse frei sprechen können“, sagt Böhlo. „Dies erfordert die Anwesenheit aller Beteiligten.“

Für „systemwidrig“ hält die Anwältin, dass das Bundesverwaltungsgericht künftig eine wichtigere Rolle in Asylverfahren bekommen und selber „Prüfungsmaßstäbe“ setzen könne. Häufig vorkommende gleich gelagerte Fälle sollen künftig nicht mehr von verschiedenen Oberverwaltungsgerichten unterschiedlich bewertet werden. Stattdessen sollen diese die Verfahren direkt an das Bundesverwaltungsgericht abgeben können, das dann eine Entscheidung mit richtungweisendem Charakter trifft.

Am heftigsten kritisiert der RAV aber die Verschärfungen im Prozessrecht. „Zum Teil haben wir nur eine Woche Zeit für das Rechtsmittel, dies ist einmalig im Verwaltungsrecht, wo ansonsten ein Monat gilt“, sagt Böhlo über den derzeitigen Zustand. Dieser „Skandal“ werde nicht behoben. Stattdessen könnten Gerichte künftig mündliche Verhandlungen leichter umgehen. Der Entwurf enthalte „zahlreiche weitere solcher Maßnahmen, die dem Abbau der Verfahrensrechte der Geflüchteten dienen“, sagt Böhlo.

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11 Kommentare

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  • "Häufig vorkommende gleich gelagerte Fälle sollen künftig nicht mehr von verschiedenen Oberverwaltungsgerichten unterschiedlich bewertet werden." - das nennt man Rationalisierung und ist doch vor allem ein Vorteil in eindeutigen Fällen: Bspw sollte es bis auf weiteres sonnenklar sein, dass niemand nach Afghanistan, Libyen oder Syrien zurück muss. Da könnte man sich tausende von aufwändigen Prozessen sparen, die jetzt die Gerichte überlasten.

    Ich finde schnellere Verfahren insgesamt wünschenswert. Je schneller Betroffene Klarheit bekommen, desto besser. Jahrelange Verfahren bedeuten jahrelange Unsicherheit und entsprechende emotionale Belastungen. Wenn jemand tatsächlich wieder ausreisen muss, dann sollte es wenigstens schnell erfahren. Das sorgt dann hoffentlich auch dafür, dass die Leute tatsächlich eigenständig ausreisen, weil sie erst gar nicht Wurzeln geschlagen haben. Dann braucht es auch weniger Abschiebungen.

    Umgekehrt sorgt eine schnellere Anerkennung dafür, dass so etwas wie ein normales Leben losgehen kann: Sprache lernen, Arbeit suchen, Freundschaften knüpfen, neues "Heimatgefühl" entwickeln.

  • DEUTSCHLAND SOLLTE JULIAN ASSANGE ASYL GEWÄHREN. Wenn nicht er hat Anspruch auf Asyl.

  • Leider enthält der Artikel mE zu wenige konkrete Informationen und Sachverhaltsverknüpfungen. So, wie der Artikel vorliegt, müssten sich die Menschen über die so hier genannten anlasslosen Widerrufsverfahren freuen, da hierdurch die Wahrscheinlichkeit deutlich abnimmt, dass der zugesprochene Status, zB Abschiebungshindernisse oder Flüchtlingsfeststellung, in Frage gestellt wird. Die auf den asylr. Status hin erteilte Aufenthaltserlaubnis bliebe unangetastet. .. I.Ü. wird das Thema einmal wieder dort verhandelt, mit großen Bedenken, ob die Änderungen überhaupt rechtmäßig sein können, wo sie nicht hingehören. Warum? Da u.a. der öff. Dienst nicht verbessert wurde, die Familienpolitik schei... schlecht.. war (frühere Kinder und heute Erwachsene, die es nun nicht gibt, können sich nicht mehr für eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst entscheiden), schlicht erneut eine Auswirkung neoliberalen Denkens. Daraus resultieren ferner rechte politische Arbeit und Argumentation in Gremien und Gesellschaft. Menschen, die zu uns kommen, müssen anders, besser, behandelt werden. Arme sind nicht Kostgänger der Gesellschaft, sondern Großvermögen.

  • Nicht nur die Bescheide des bekannt äußerst brutal agierenden Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sind fehlerhaft, sondern auch viele Gerichtsentscheidungen, die sich nur leider selbst validieren. So lehnten Gerichte Homosexuellen aus Verfolgerstaaten bis hin zum Iran das Asyl ab, weil sie ja ihre Homosexualität verstecken könnten. Geht es menschenverachtender? Mit solch brutalen Entscheidungen kann man als Richter sogar dennoch in Darmstadt geachtetes Mitglied eines evangelischen Kirchenvorstandes sein und bleiben.

    Auch Abschiebungen nach Afghanistan und Iran wurden von Gerichten durchgewunken.

    Nun werden den Betroffenen weitere Rechte genommen, unter ihnen sind Gefolterte und Traumatisierte, die nun leichter Fristen verpassen und so schneller außer Landes geschafft werden können.

    Die Bilanz der Regierung unter Beteiligung der Grünen ist bei der Politik gegenüber Geflüchteten leider ebenso verheerend wie beim Klimaschutz.

  • Ach was! ©️ Loriot - “Bundesverwaltungsgericht abgeben können, das dann eine Entscheidung mit richtungweisendem Charakter trifft.“

    Na Mahlzeit

    kurz - “mit richtungweisendem Charakter“ -



    Ja wie! Sieht man mal von in Gesetzeskraft erwachsenden Entscheidungen des BVerfG ab!



    Gibt es bis dato keine Bindung eines Richters an Entscheidungen anderer Richter!



    Das Ganze ist mE verfassungswidrig •



    Zur Orientierung & Klarstellung:



    Nach dem Grundgesetz - der Verfassung dieser Republik Schland!



    Ist die Rechtsprechung ausdrücklich & mit gutem Grund!



    Den Richtern - und nicht etwa “den Gerichten“ übertragen.



    Mit der verfassungsfesten richterlichen Unabhängigkeit aber!



    Ist das Ampelansinnen “mit richtungweisendem Charakter“ unvereinbar!

    • @Lowandorder:

      Gucken Sie sich das Gesetz mal an (s. Bundesratsdrucksache 633/22). Von einer Abgabe der Verfahren durch die Oberverwaltungsgerichte an das Bundesverwaltungsgericht ist darin keine Rede. Es gibt nur Erweiterungen bei der Möglichkeit, die Revision zuzulassen, und die Befugnis des Bundesverwaltungsgerichts, im Revisionsverfahren eigene Tatsachenfeststellungen zu treffen. Und dass die Verwaltungsgerichte an die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts gebunden wären, sagt das Gesetz auch nicht.

      Und die Gerichte können eine mündliche Verhandlung , anders als im Artikel behauptet, nicht "umgehen", denn auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden, worauf das Gericht hinweisen muss.

      • @Budzylein:

        Danke. Alter Grundsatz:“ Wenn du wirklich was gemacht haben willst.



        Mach’s selbst!“ tazler & Jura - 🙀🥳 -



        hier - Lesen!



        (Eigene Tatsachenfeststellung Leipzig - kannste so & so sehen! - AtomG isn anderer Schuh.)

        • @Lowandorder:

          Hier mal der lesbare Entwurf



          dserver.bundestag....20/043/2004327.pdf - vertage mich

          (Reminiszenz & Bonmot via Tatsachenfeststellung BVerwG!;)



          “Da werden die Herren Oberrichter aber einiges zu lernen haben!“



          Eh dich jemand aufblasen konnte:“ Der junge Kollege ist ja für seine Klappe bekannt! Aber recht hat er ja.“ Senatsvorsitzender MS auf Tagung als grad aus bekannten Gründen die Großverfahren an die Obergerichte & BVerwG via AtomG Eingangsinstanz wurde!!!



          Ollen Kreiling - mein wunderbarer Ausbilder VGH drückte das im tiefsten Südhessisch weit drastischer aus:“Sie! Ei - dess gefällt mir gar nicht! Erste Instanz - die misse Holzhacke!! Mir - mit mache doch nur‘n paar Kringel auffe Torte!“



          Und schmiß mich mit Arbeit zu - bis Oberkante Unterlippe!

          kurz - ohne ihn - ewiger Dank - hätt’s zum VerwRi nicht gelangt • Gelle

        • @Lowandorder:

          Die eigene Tatsachenfeststellung durch das Bundesverwaltungsgericht soll ja nur die allgemeine Lage im Herkunfts- oder Zielstaat zum Gegenstand haben. Ich halte das für sinnvoll. Sonst müsste das Bundesverwaltungsgericht u. U. am selben Tag 2 Entscheidungen treffen, die auf gegensätzlichen Tatsachenfeststellungen verschiedener Oberverwaltungsgerichte beruhen. In der Praxis würde das Bundesverwaltungsgericht dann wahrscheinlich irgendeinen Verfahrensfehler des einen Oberverwaltungsgerichts konstruieren und die Sache zurückverweisen, um nicht im einen Fall sagen zu müssen, dass in einem Land Angehörige einer Personengruppe verfolgt werden, und im anderen Fall, dass die Angehörigen derselben Personengruppe in demselben Land nicht verfolgt werden. Aber das ändert nichts daran, dass sich das Bundesverwaltungsgericht irgendwann entscheiden muss, was tatsächlich zutrifft.

          • @Budzylein:

            Wir sind da nicht auseinander.



            Da ich ab Mitte 78 am Ball & ab 88 durchweg mit Asyl bis Abgang werdens meine feine Ironie verzeihn!



            (& entre nous only! - unlängst mit ner Primadonna KA waren wir uns en passant über drei Vorsitzende - 🆙&🆙&🆙 sehr einig! Newahr.



            Normal. (der 1. war mein 1. - unfaßbar!)



            Der 2. mein Nachfolger als BE im AuslR.



            Der 3. - mein Weggefährte & Freund sein Mit-BE - Schwamm drüber - 🙀🥳 -



            Ich wußte immer - warum ich es mit Wolfgang Neuss gesprochen “lieber mit dem direkt fließenden Blut“ zu tun hatte! Gelle.;)

      • @Budzylein:

        Ergänzung: Die von mir genannte Quelle enthält nur einen Teil des Gesetzestextes. Das Übrige ist in der Bundestagsdrucksache 20/4327 zu finden.