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Chancengleichheit in der BildungWider die föderale Bildung

Ralf Pauli
Kommentar von Ralf Pauli

Von Chancengleichheit im Bildungssystem ist Deutschland weit entfernt. Höchste Zeit, dass die Ampel den Ländern stärkere Vorgaben macht.

Auf der Suche nach dem Plan? Bildungsministerin Stark-Watzinger am Tag der kleinen Forscher in Berlin Foto: Mike Schmidt/imago

E inmal im Jahr, zum heutigen Tag der Bildung, veröffentlicht die gleichnamige Stiftung eine interessante repräsentative Umfrage. Interessant deshalb, weil dort ausnahmsweise mal nicht Eltern oder Lehrkräfte zum deutschen Bildungssystem befragt werden – sondern junge Leute zwischen 14 und 21. Die Peergroup sozusagen. Und was die zum Zustand unseres Schulsystems denkt, sollte ernsthaft nachdenklich stimmen.

Nicht einmal je­de:r Dritte ist der Ansicht, dass alle Kinder in Deutschland die gleichen Chancen auf eine gute Bildung haben. So skeptisch wie in diesem Jahr ist die Umfrage noch nie ausgefallen. Auffällig dabei ist: Je älter die Befragten sind, desto weniger glauben sie an die Bildungsgerechtigkeit. Vermutlich, weil sie selbst miterleben, wie sehr sie in den weiterführenden Schulen unter ihresgleichen bleiben. Die Privilegierten im Gymnasium, der Rest in den Resteschulen.

Das Aufstiegsversprechen passt nicht zur Lebenserfahrung junger Menschen. Ganz neu ist die Erkenntnis natürlich nicht. Man­che:r Po­li­ti­ke­r:in aber hielt die Chancenungleichheit, die die erste Pisa-Studie vor gut 20 Jahren offenlegte, schon für überwunden. Oder so gut wie. Anzeichen dafür gab es durchaus: Mehr und mehr Kinder aus Arbeiter- und Zuwandererfamilien schafften es bis an die Uni. Die Schranken für den zweiten Bildungsweg wurden immer weiter abgebaut.

Und auch Eltern aus bildungsbenachteiligten Schichten gaben ihre Kinder zunehmend in Kita- und Ganztagsbetreuung. Von gleichen Chancen konnte und kann trotzdem noch lange keine Rede sein. Im Gegenteil. Wie die jüngste IQB-Studie zeigt, nimmt der Einfluss des Elternhauses auf den Bildungserfolg sogar zu. Spätestens jetzt müsste den Schön­fär­be­r:in­nen klar geworden sein, dass Deutschland hier auf der Stelle tritt. Oder anders formuliert: Alle Versuche der zuständigen Länder, gleiche Bildungschancen herzustellen, sind mehr oder weniger gescheitert.

Günstige Zeit für Reformen

Keine Frage, die Bil­dungs­mi­nis­te­r:in­nen sind ordentlich unter Zugzwang. An diesem Freitag wollen sie ein wissenschaftliches Gutachten vorstellen, wie die Bildungschancen der weniger privilegierten Kinder nicht schon in der Grundschule flöten gehen. Nach dem Pisa-Schock 2.0 zeigen sich die Länder entschlossen, das Pro­blem endlich anzugehen.

Die Frage ist nur: Reicht der gute Wille, oder muss der Bund dem föderalen, sechzehnfachen Vor-sich-hin-Gemurkse nicht langsam ein Ende machen und stärker in der Bildungspolitik mitmischen? Etwa in der Definition von bundesweiten Standards – von verpflichtenden Sprachtests im Vorschulalter bis hin zu den Kriterien, nach denen bedürftige Schulen zusätzliches Personal erhalten.

Schaden würde es bestimmt nicht. Vielmehr machte es die Bildungs­bemühungen der Länder vergleichbarer und damit das System gerechter. Der Zeitpunkt für eine neuerliche Föderalismusreform scheint jedenfalls günstig zu sein. Zum einen lässt die Kritik von Bil­dungs­for­scher:in­nen an bisherigen Bund-Länder-Programmen keinen Spielraum für Interpretationen.

Wer vermeiden möchte, dass die nächsten Bundesmilliarden wieder genauso ziellos und unwirksam ausgegeben werden wie letzthin für die Bekämpfung pandemiebedingter Lernlücken, kommt um einheitliche Standards und klare Zielvorgaben nicht herum. Die Länder müssen sich bewegen, wenn sie wie im Sommer lautstark eine Verlängerung des Corona-Aufholprogramms und weitere 500 Millionen Euro vom Bund verlangen.

Hohe Summen für die Chancengleichheit

Völlig zu Recht fordern Bil­dungs­po­li­ti­ker:innen der Ampelparteien, dass mit dem Prinzip Gießkanne – das den Ländern so gut in den Kram passt, weil es sie zu nichts verpflichtet – nun bald Schluss ist. Und dass die Bundesregierung den Ländern künftig im Gegenzug zur locker sitzenden Brieftasche mehr Zugeständnisse abverlangt. Immerhin ist die Ampel mit dem Ziel angetreten, die Rolle des Bundes in der Bildung zu stärken. Seit 2006 darf der Bund laut Grundgesetz nicht mehr in Bildung investieren.

Später haben Bundestag und Bundesrat das „Kooperationsverbot“ auf Drängen der SPD gelockert. Die Ampel will nun auch inhaltlich ein Wörtchen mitreden dürfen. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) träumt von einer „neuen Kooperation zwischen Bund und Ländern“. Die spannende Frage bleibt, ob die Länder da mitmachen. Kurze Antwort: Schwer vorstellbar. Zumindest bei einer erneuten Änderung des Grundgesetzes, also einer dauerhaften Regelung, dürfte sich der Bundesrat querstellen.

Dabei wären die Länder gut beraten, sich auf den Handel Geld gegen Mitsprache einzulassen. Das lässt sich gut am Startchancenprogramm der Ampel erklären. Kommt es wie geplant, ist es das wohl ambitionierteste deutsche Bildungsvorhaben zur Bekämpfung der Chancenungleichheit. 4.000 Schulen mit besonders benachteiligten Schü­ler:in­nen sollen davon profitieren. Das ist jede zehnte.

Momentan ist ein jährliches Budget pro Schule im sechsstelligen Bereich im Gespräch. Mindestens zehn Jahre soll die Förderung andauern und im Herbst 2024 anlaufen. Aktuell verhandeln Bund und Länder über die Details. Sicher ist aber eins: Vom Umfang her übersteigt das Startchancenprogramm alles, was die Länder in Sachen Bildungsgerechtigkeit jemals aufbringen könnten. Es könnte also wirklich etwas ausrichten, wenn das Geld auch wirklich dort ankommt, wo es am dringendsten benötigt wird.

Ist den Ländern also an der Bildungsgerechtigkeit gelegen, stimmen sie sinnvollen Kriterien für die Auswahl der Schulen sowie verbindlichen Zielvorgaben zu. Mit einem Wort: Sie gewähren dem Bund Mitsprache. Aktuell zeichnet sich ab, dass die Länder zumindest in der Auswahl der Schulen zu Kompromissen bereit sind. Das wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung, um die Bildungsmisere in deutschen Landen anzugehen.

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Ralf Pauli
Redakteur Bildung/taz1
Seit 2013 für die taz tätig, derzeit als Bildungsredakteur sowie Redakteur im Ressort taz.eins. Andere Themen: Lateinamerika, Integration, Populismus.
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6 Kommentare

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  • Von 16 Bildungs- und Kultusministern der Länder kommen 6 von der SPD, 5 von der CDU, 2 von den Grünen, 2 von der Linkspartei und einer von den Freien Wählern. Die zuständige Bundesministerin kommt von der FDP. Wie kommt man zu der Annahme, dass diese eine Schulpolitik machen würde, die sich stärker um einen sozialen Ausgleich der Chancen bemühen würde?

    Hamburg macht gute Erfahrungen damit, Schulen nach sozialen Kriterien zu klassifizieren und auszustatten. Dafür muss man halt die richtigen Parteien in die Regierung wählen, das haben die Menschen in ihren Bundesländern selbst in der Hand.

  • "Mehr und mehr Kinder aus Arbeiter- und Zuwandererfamilien schafften es bis an die Uni."



    Und jetzt stammen deren Kinder aus einem Akademikerhaushalt und ziehen die Statistik runter.

  • In diesen Artikeln über Chancengerechtigkeit fehlt mir die Rolle des Elternhauses. In dieser Umfrage kommt auch raus, wie wichtig die jungen Leute die Unterstützung durch die Eltern finden.

    Der Staat kann es nicht auffangen, wenn zu Hause nicht wenigstens der Wert von Bildung vermittelt wird.

    Eltern müssen in diesem Punkt viel mehr in die Verantwortung genommen werden.

    • @gyakusou:

      Wie stellen sie sich das vor?

    • @gyakusou:

      Dem muss ich widersprechen.



      Wenn das Elternhaus bildungsnah ist, werden es am Ende auch Minderbegabte schaffen zu studieren.



      So weit so - richtig?



      Umgekehrt, wenn das Elternhaus bildungsfern ist, haben Begabte schlechte Karten - das ist schrecklich. Das ist gut für die Minderbegabten, für eine Gesellschaft aber kann es gefährlich werden.

      Frustierte unterforderte intelligente Menschen kommen auf seltsame Ideen.

      Die Gesellschaft muss es auffangen!



      Und, andere Länder schaffen so etwas .

    • @gyakusou:

      Wie sollen denn Eltern Bildung vermitteln, die selbst kaum Bildung erhalten haben? Wie sollen Eltern den Wert von Bildung vermitteln, deren eigene Sculerfahrung vor allem aus Herabsetzung und Frustratioon bestand?

      Natürlich ist es Aufgabe der Gesellschaft, des Staates, der Lehrer und Erzieher, hier für einen Ausgleich zu sorgen.