Asyl für russische Kriegs­verweigerer: „Die Leute werden total hängen gelassen“

Sie sind gegen den Krieg – und kommen aus Russland. Über den komplizierten Weg für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure, Asyl zu bekommen.

Einer Person hält einen russischen Pass

Ein russischer Asylantragsteller in Finnland Foto: Jussi Nukari/imago

BERLIN taz | Von Anfang an protestierte er gegen den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. T.S., wie sein Anwalt ihn öffentlich nennt, stammt aus der am Ural gelegenen russischen Großstadt Tscheljabinsk und ist Mitglied der sehr kleinen Russischen Maoistischen Partei. Noch haben sehr wenige russische Deserteure und Kriegsdienstverweigerer in Deutschland einen Antrag auf Asyl gestellt. Einer von ihnen ist S.

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Nur Tage nach Beginn des russischen Angriffs habe S. in seiner Heimatstadt an einer Demonstration teilgenommen, dabei ein Transparent mit der Aufschrift „Maoisten gegen den Krieg“ und dem Kürzel seiner Partei getragen, sagt Anwalt Peter Klusmann, der in Deutschland regelmäßig die marxistisch-leninistische Kleinstpartei MLPD vertritt. Dort sei er verhaftet und später wegen des „vorgeschobenen Vorwurfs“ des Widerstands gegen Polizeibeamte zu einer Geldstrafe verurteilt worden. In Gewahrsam habe er psychische Gewalt erfahren, an deren Folgen er noch immer leide.

Aus Sorge vor weiteren Repressionen habe S. Russland verlassen. Über einen Umweg in die Türkei gelang ihm im Juli die Einreise nach Deutschland, wo er Asyl beantragte. In der Zwischenzeit sei seiner Familie auch seine Einberufung zum Wehrdienst zugestellt worden. S. sei also bei einer Rückkehr in sein Heimatland gleich mehrfach gefährdet, erklärt sein Anwalt: „Er ist den Behörden als Gegner des Putin-Regimes und des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gegen die Ukraine bekannt, und er muss mit einer sofortigen Heranziehung zum Wehrdienst unter den katastrophalen Bedingungen der Teilmobilmachung und seinem Einsatz in einem völkerrechtswidrigen Krieg rechnen.“ Zudem müssten seine Traumatisierung und seine schwere depressive Erkrankung berücksichtigt werden.

Derserteure erhalten „im Regelfall Schutz“

Ob Verweigerer in Deutschland tatsächlich Chancen auf Asyl haben, ist schwer zu sagen. Auch der Verein Connection oder die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl tun sich schwer mit einer Einschätzung – fordern aber einen Asylanspruch vehement ein. Desertieren allein ist nicht per se ein Grund für Asyl. Wenn Soldaten aber desertieren, weil sie im Dienst Verbrechen oder menschenrechtswidrige Handlungen ausüben müssten, haben sie nach deutschem und europäischem Recht Anspruch auf Asyl.

Das Bundesinnenministerium erklärte, dass bei russischen Deserteuren im Falle ihrer Rückkehr „derzeit in der Regel von drohenden Verfolgungshandlungen“ ausgegangen werden könne. In Zeiten, in denen schon das Wort „Krieg“ für das Geschehen in der Ukraine strafbewehrt sei, könne eine Desertation als „Ausdruck einer oppositionellen Überzeugung“ gewertet werden. „Deserteure, die sich an Putins Krieg nicht beteiligen wollen“, erhielten „im Regelfall internationalen Schutz“, so das Bundesinnenministerium.

Komplizierter ist die Lage von Russen, die sich nicht unerlaubt von der Truppe entfernen, sondern sich schon der Einberufung entziehen. Dabei dürfte das die weitaus größere Gruppe sein, denn als Soldat unerlaubt das Land zu verlassen, ist ungleich schwerer. Eine Anerkennungschance auf Asyl haben Verweigerer bisher nicht – obwohl inzwischen sowohl der Bundesjustizminister als auch die Bundesinnenministerin und sogar der Bundeskanzler erklärt haben, jenen Schutz anzubieten, die sich nicht an einem völkerrechtswidrigen Krieg beteiligen wollen.

Das sehen andere EU-Länder anders. Vor allem die baltischen Staaten stehen fliehenden Russen ablehnend gegenüber. So erklärte etwa die estnische Außenministerin Kaja Kallas im September, ihr Land gewähre „russischen Männern kein Asyl, die aus ihrem Land fliehen. Sie sollten sich lieber gegen den Krieg stellen.“ Im Juni antwortete das Bundesinnenministerium (BMI) auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Martina Renner, bei Wehrdienstverweigerern könne „im Einzelfall“ eine „flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung“ vorliegen oder die Bedingungen für subsidiären Schutz erfüllt sein.

Rudi Friedrich, Connection

Schutzangebote bleiben aus. Die Leute werden hängen gelassen.

Fragt man im Ministerium nach dem Stand der Dinge, heißt es seit Wochen: „Diejenigen, die in die Armee eingezogen werden sollen und den Kriegsdienst verweigern, können ebenfalls Asyl beantragen. Für diese Personengruppe überprüft das BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, d. Red.) derzeit die Entscheidungspraxis und wird diese soweit erforderlich anpassen.“ Den Betroffenen hilft das bislang nicht: Auf Nachfrage erklärt das BMI Mitte Dezember, die Prüfung dauere immer noch an – und solle „möglichst zeitnah abgeschlossen werden“.

Knackpunkt Einreise

Diese Ungleichbehandlung von Deserteuren und Verweigerern sei ein Problem, sagt Rudi Friedrich vom Verein Connection, der sich für Kriegsdienstverweigerer einsetzt. „Im Rahmen der Teilmobilisierung in Russland gab es regelrechte Razzien, Wohnhäuser wurden umstellt, um die Leute mitzunehmen.“ Da sei es nur vernünftig, nicht zu warten, bis die Einberufung auf dem Tisch liege. „Aber dann sind die Leute natürlich nicht desertiert und können nicht mal nachweisen, dass wie wirklich einberufen wurden. Dann wird es im Asylverfahren für sie, fürchte ich, sehr, sehr schwierig.“

Auch die Linkspartei im Bundestag forderte im September, kurz nach der Teilmobilmachung, effektiven Schutz für Deserteure und Kriegsdienstverweigerer. „Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht“, heißt es in dem Antrag. Die Bundesregierung solle „alle notwendigen Maßnahmen auf nationaler und europäischer Ebene“ ergreifen, damit den Betroffenen „eine sichere Einreise in die EU bzw. nach Deutschland möglich ist und ihnen unkompliziert ein sicherer Schutz und Aufenthaltsstatus erteilt wird“.

Die Einreise selbst ist in der Tat ein Knackpunkt. S. versuchte, in der deutschen Botschaft in Ankara ein Visum für Deutschland zu beantragen. Auf taz-Anfrage erklärt das BMI, dieser Schritt sei zumindest für langfristige Visa möglich, „wenn die Beantragung an einer der deutschen Auslandsvertretungen in Russland unzumutbar ist, etwa weil dort konkret die Einziehung zum Kriegsdienst droht“.

Im Fall von S. habe die Botschaft in der Türkei sich für „nicht zuständig“ erklärt und ihn an eine Auslandsvertretung in seinem Heimatland verwiesen, berichtet sein Anwalt. „Das wäre gleichbedeutend mit der erheblichen Gefährdung von Freiheit und Leben unseres Mandanten durch Inhaftierung, Verfolgung und wahrscheinlich Einzug zum Militär bei einer Rückkehr nach Russland!“ S. begab sich stattdessen in die Hände von Schleppern, um nach Deutschland zu gelangen.

Wie viele Menschen Russland aus Sorge vor einer Einberufung bislang verlassen haben oder gar von der Truppe desertiert sind, ist unbekannt. Klar ist nur: Nachdem im September die Teilmobilisierung angekündigt wurde, war der Ansturm auf die Land- und Flugverbindungen außer Landes groß. Das Magazin Forbes berichtete von 700.000 Menschen, die in den zwei Wochen darauf das Land verließen – darunter aber zum Beispiel auch Tourist*innen. Der Verein Connection geht von 150.000 Menschen aus, die Russland wegen Militärdienstverpflichtungen verlassen haben.

Wie viele Deserteure und Kriegsdienstverweigerer aus Russland bisher in Deutschland Asyl beantragt haben, lässt sich nicht sagen. Bis Ende November dieses Jahres wurden 2.313 Erstanträge auf Asyl von russischen Staats­bür­ge­r*in­nen gestellt. Aus welchen Gründen, das gibt die Statistik nicht her.

Sie hätten bisher „einige Hundert Anfragen“ von Russen zum Thema Asyl in Deutschland bekommen, sagt Rudi Friedrich vom Verein Connection. Die meisten Ratsuchenden hielten sich noch in Russland oder in Nachbarländern auf. Er schätzt, dass unter denen, die bereits Asyl in Deutschland beantragt haben, etwa 300 im militärdienstpflichtigen Alter sind. „Davon sind einige sicher auch regimekritisch aktiv, das dürfte im Asylverfahren gewichtiger sein.“ Auch der Anwalt von S. setzt im Asylverfahren nicht allein auf seine Kriegsdienstverweigerung, sondern auch auf sein Engagement bei den Maoisten und gegen den Krieg.

Die meisten, die bei ihnen Rat suchen, erkundigten sich erst mal nach anderen Wegen als dem des Asyls, sagt Friedrich. „Das sind zum Teil sehr gut ausgebildete Leute. Über eine lange und ungewisse Zeit im Asylverfahren hängen zu müssen, das wäre für viele schlimm.“ Mit den richtigen Voraussetzungen können Rus­s*in­nen alternativ ein Visum zur Erwerbsarbeit oder für ein Studium beantragen. Die Bundesregierung hat sich darauf verständigt, wegen ihres Engagements gegen den Krieg besonders gefährdeten russischen Oppositionellen, Jour­na­lis­t*in­nen und vergleichbaren Personengruppen eine Aufnahme nach Paragraf 22 Aufenthaltsgesetz zu ermöglichen – also eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis „zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland“. Bislang hat das BMI 964 solcher Fälle zugestimmt, davon entfallen 395 auf Familienangehörige der Bedrohten.

Deserteure und Kriegsdienstverweigerer fallen allerdings nicht unter die Definition, wie ein BMI-Sprecher auf Anfrage bekräftigt. „Es wäre wichtig, die humanitären Visa auf Militärdienstentzieher auszuweiten“, sagt Friedrich. Er fordert von der EU ein deutlich stärkeres Engagement für jene, die nicht in Russlands völkerrechtswidrigem Krieg kämpfen wollen. „Es ist frustrierend. Einerseits ruft der Präsident des Europäischen Rats, Charles Michel, russische Soldaten explizit zum Desertieren auf. Echte Schutzangebote aber und Unterstützung bei der Flucht bleiben aus. Die Leute werden total hängen gelassen.“

Auch für S.’ Anwalt Klusmann ist die Sache klar: Seinem Mandanten müsse als Oppositionellem und Kriegsdienstgegner der Flüchtlingsstatus zuerkannt werden. Und, so fordert Klusmann: „Die Bundesregierung muss ihre Ankündigung, den russischen Kriegsverweigerern effektiven Schutz zu gewähren, jetzt endlich in die Tat umsetzen.“

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