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Grüne-Fraktionschefin über Energiekrise„Ich warne vor Wahlkampf-Chaos“

Die Koalition muss in der Krise zusammen stehen, sagt Grünen-Fraktionschefin Silke Gebel. Zu Klimaprotesten sagt sie: „Der Zweck heiligt nie die Mittel“.

Silke Gebel, Fraktionschefin der Berliner Grünen Foto: picture alliance/dpa | Annette Riedl

taz: Frau Gebel, am Mittwoch will das Berliner Landesverfassungsgericht über eine Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl von 2021 entscheiden. Wie ist Ihre Gefühlslage – schon ­wieder Lust auf Wahlkampf?

Silke Gebel: Ich hab immer Lust auf die vielen Gespräche vor Ort im Wahlkampf. Aber ich hätte natürlich erwartet, dass die Innenverwaltung die Wahlen so organisiert, dass es keine Wahlwiederholung gebraucht hätte. Es ist doch in einer Demokratie elementar wichtig, dass nach einer Wahl die Regierung und das parlamentarische Geschäft legitimiert arbeiten können. Aber wenn es eine Wiederholung der Wahl gibt, dann werden wir als Grüne wieder bei den Ber­li­ne­r*in­nen dafür werben, stärkste Kraft zu werden.

Im Interview: 

Silke Gebel

ist Co-Vorsitzende der Berliner Grünen-Fraktion. Die Diplom-­Verwaltungswissenschaftlerin sitzt seit 2012 für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Ihren Wahlkreis 1 in Mitte (Charité, Oranienburger Tor, Zionskirchplatz) gewann sie 2021 als Direktkandidatin.

Regiert die rot-grün-rote Koalition eigentlich noch oder wahlkämpft sie schon gegeneinander?

Je näher ein möglicher Wahltag heranrückt, desto stärker ist bei den einzelnen Parteien das Interesse, noch mal sehr deutlich zu machen, was das eigene politische Profil ist, auch in Abgrenzung zu anderen. Aber wir Grüne wissen: Die Aufgaben in den nächsten Monaten sind so groß – die Energiekrise, die steigenden Zahlen der Geflüchteten – dass es fatal wäre, als Koalition gegeneinander zu arbeiten. Ich warne sehr vor Wahlkampfchaos.

Wahl, Wahlkampf und Wiederholung

Noch mal neu

Am Mittwoch entscheidet das Berliner Verfassungsgericht, ob die Wahl zum Abgeordnetenhaus 2021 nach schweren Pannen und vielen Behinderungen am Wahlabend wiederholt werden muss. Nach einer ersten, vorläufigen Einschätzung des Gerichts im September gehen inzwischen alle Parteien davon aus, dass es dazu kommt. Der Termin für die Wieder­holungswahl wäre voraussichtlich am 13. Februar 2023 – falls die Entscheidung der Berliner Richter*innen nicht noch vor das Bundesverfassungs­gericht in Karlsruhe gehen sollte.

Nochmal Spitze

Am Samstag kommen die Berliner Grünen zu einem kleinen Parteitag zusammen. Auf der Delegierten­­konferenz will sich die Partei auf den anstehenden Wahlkampf einschwören. Neue alte Spitzenkandidatin wir die jetzige Verkehrs- und Umwelt­senatorin und Vize-Regierungschefin Bettina Jarasch. 2021 wurden die Grünen zweitstärkste Kraft hinter der SPD. Nach einer jüngsten Infratest-Dimap-Umfrage von Ende September liegen die Grünen mit 22 Prozent vor der CDU (21 Prozent) und der SPD (17 Prozent). (akl)

Wahlkampf muss ja nicht Chaos bedeuten.

Genau. Deshalb ist es für uns wichtig, dass Wahlkampf und die Arbeit in der Koalition getrennt werden. Dann gelingt uns auch der Spagat, gut miteinander zu regieren und gleichzeitig in einen fairen Wettstreit im Wahlkampf zu gehen. Da werden wir sehr klar zeigen, dass wir Grüne wie keine andere Partei für starken Klimaschutz und sozialen Zusammenhalt stehen.

Wie kriegt man diese Botschaft ans Volk?

Klimaschutz und erneuerbare Energien sparen gerade bares Geld und bringen Sicherheit. Die Energiekrise zeigt sehr deutlich, dass es ein großer Fehler ist, so abhängig von fossilen Energien noch dazu aus Ländern wie Russland zu sein. Deswegen haben wir bei den Entlastungspaketen auch immer wieder gesagt: Es kann nicht sein, dass wir jetzt einfach nur das Geld raus hauen – ohne gezielt zu helfen und ohne die teuren und klimaschädlichen fossilen Energien zu reduzieren. Wir müssen uns schon jetzt für die nächste Krise wappnen, damit uns der nächste Winter nicht so hart trifft.

Das ist der Öko-Aspekt in der Energiekrise, die auch eine soziale Krise ist. Aber welche Antworten haben die Grünen da konkret?

Wir denken Klimaschutz und Energie­krise zusammen, weil wir soziale Politik machen. Wir müssen die erneuerbaren Energien ausbauen, zum Beispiel das Solarprogramm für Berliner Dächer. Wir müssen beraten und unterstützen, wie Haushalte auch beim Heizen noch mehr einsparen können. Das Angebot bei den Stromspar-Checks für Privathaushalte wird ja bereits massiv erweitert. Klimafreundliche ­Mobilität muss für jeden bezahlbar sein: Wir haben uns als Grüne deshalb sehr starkgemacht beim 29-Euro-Ticket, genau wie beim 9-Euro-Sozialticket.

Vom Berliner 9-Euro-Nachfolge-Ticket für den ÖPNV sagt die SPD, sie habe es erfunden.

Ich bin ja vom Team „Gönnen können“: Es kann ja gerne jeder erfunden haben, wenn es am Ende des Tages bei den Leuten ankommt. Und dafür hat Bettina Jarasch als Verkehrssenatorin gesorgt.

Das ist eine noble Einstellung – aber bei der Wahl bringt es Ihnen keine Punkte, wenn die Leute das viel debattierte Ticket der SPD zuordnen.

Bei der Mobilitätswende sind wir das Original – mit klarem Kompass für mehr ÖPNV, aber eben auch mehr Radwegen, oder Kiezblocks. Ich bekomme von vielen Berlinerinnen mit, dass sie genau merken, dass sich hier erst etwas geändert hat seit wir Grünen verkehrspolitische Verantwortung in Berlin übernommen haben. Wir haben ja gerade wieder die Diskussion um den Weiterbau der A100, da sieht man, dass die SPD ihre Prioritäten autofreundlich setzt.

Bei der Friedrichstraße musste die grüne Verkehrssenatorin aber gerade eine Schlappe für die Verkehrswende einstecken: Nach einem Gerichtsurteil dürfen dort ab dem 22. November wieder Autos fahren.

Die Friedrichstraße zeigt eben, wie dick die Bretter noch sind. Die Straßenverkehrsordnung ist eher autofreundlich und nicht menschenfreundlich. Aus diesem Grunde fokussieren wir alle unsere Kräfte auf eine Fahrradstraße in der Charlottenstraße und auf eine echte Fußgängerzone in der Friedrichstraße. Weil es das ist, was den Menschen wirklich mehr Lebensqualität bringt.

Dennoch wird bei den Menschen in Erinnerung bleiben: Die Grünen haben es nicht hinbekommen, für die Friedrichstraße rechtzeitig ein ­Konzept vorzulegen – und das hat ihnen ein Gericht um die Ohren gehauen.

Es gibt ja das Konzept der Fußgängerzone, das wir im Austausch mit Anrainern noch einmal überarbeitet haben. Dieses Konzept ist vom Gericht auch nicht hinterfragt worden, sondern die Frage, ob die Sperrung nach dem Verkehrsversuch weiterlaufen durfte. Einige feierten hier einen kurzfristigen Erfolg für das Auto, langfristig kommt aber die Fußgängerzone. Und das ist gut für Mensch, Umwelt und Wirtschaft.

Können Sie die Weinhändlerin aus der Charlottenstraße verstehen, die mit ihrer Beschwerde das Urteil des Verwaltungsgerichts ausgelöst hat, weil sie ihre Existenz bedroht sah?

Was die oft zitierten Umsatzeinbußen der Geschäfte dort angeht: Wir wissen doch aus anderen Städten, dass die Einkaufsstraßen dort florieren und dem Onlinehandel trotzen, wo Shoppen ohne Stress und zu Fuß klappt. Ich bin zweimal in dem Wahlkreis angetreten und habe Charlottenstraße und Friedrichstraße nie als Flaniermeilen erlebt – bis die Autos raus waren.

Mit wem wollen die Grünen eigentlich regieren, sollten sie bei einer mutmaßlichen Wahlwiederholung am 12. Februar stärkste Kraft werden?

Ich glaube, es ist ein offenes Geheimnis, dass wir in dieser Farbkombination in den letzten sechs Jahren gut miteinander regiert haben und auch viel für die Stadt erreicht haben. Und deswegen würden wir da gerne weitermachen.

Die SPD will sich aber auf keine Koalitionsaussage festlegen.

Das war auch von mir keine Koalitionsaussage.

Also auch keine Absage an andere Koalitionen wie Grün-Schwarz?

Wie gesagt, wir regieren vertrauensvoll mit dieser Farbkombination und kämpfen im Wahlkampf für einen Führungswechsel. Denn Klimaschutz braucht ein grünes Rathaus.

Schaden die umstrittenen Protestaktionen von Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen wie der Letzten Generation den Grünen eigentlich?

Die Klimabewegung ist sehr vielfältig. Die Leute wissen, dass wir die Partei sind, die seit über 40 Jahren für Klimaschutz eintritt, im Parlament und außerhalb. Seit ich Abgeordnete bin, ist für mich das Instrument von zivilem Ungehorsam nicht das Mittel der Wahl, weil ich die Dinge parlamentarisch vorantreibe.

Allerdings profitieren die Grünen auch nicht substanziell von der Aufmerksamkeit für den Klimaaktivismus, jedenfalls spiegelt sich das nicht in den Umfragen. Müssten Sie das Potenzial der Bewegung nicht noch viel mehr nutzen?

Genau das machen wir. Es gibt ja ganz viele Klimaproteste, es gibt auch weiter Fridays for Future. Die mischen sich mit Luisa Neubauer sehr wortgewaltig in Debatten ein und haben auch gerade auf unserem Grünen-Bundesparteitag erfolgreich einen Antrag für 100 Milliarden Euro für den Klimaschutz eingebracht. Die Klimaschutzbewegung ist mehr als die Letzte Generation. Und wir als Grüne verstehen uns als die Klimaschutz-Vorreiter.

Wie ist denn Ihre persönliche Haltung zu den Straßenblockaden: Kürzlich hat ein mutmaßlich damit in Zusammenhang stehender Stau womöglich die Rettung einer verunglückten Radfahrerin behindert. Heiligt der Zweck alle Mittel?

Ich finde nicht, dass der Zweck ­jemals die Mittel heiligt. Ich glaube auch nicht, dass damit die Akzeptanz für mehr Klimaschutz steigt. Im Gegenteil, man muss sich immer fragen: Was will man eigentlich erreichen? Ich will, dass Berlin klimaneutral wird, das ist mein Ziel, und dafür arbeite ich jeden Tag.

Ist es nicht deprimierend für Sie als Grüne, dass Umdenken offenbar nur übers Portemonnaie geht? Aktuell sind Beratungen fürs Energiesparen total ausgebucht. Als Strom und Gas noch billig waren, war das anders.

Da ist traurigerweise etwas dran. Das ist eine Frage von Bequemlichkeit, man verändert sein Verhalten eben sehr ungern. Dass uns die Abhängigkeit von Russland nun so auf die Füße fällt, erzeugt aber keine Genugtuung. Im Gegenteil: Viele Menschen stehen nun vor einem harten Winter und wissen nicht mehr, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen. Der Erfolg der Energiewende ist deshalb auch eine sozialpolitische Frage.

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