Wahlwiederholung in der Hauptstadt: Berliner Wahlkrampf
Das Verfassungsgericht hat gesprochen: Die Berliner Wahlen von 2021 müssen wiederholt werden. Dem rot-grün-roten Senat kommt das eher ungelegen.
Das liegt nicht etwa daran, dass das linke Bündnis zerbrochen wäre, was nach den zähen Koalitionsverhandlungen im Herbst 2021 kaum jemanden überrascht hätte. Doch, sieh an, die sachliche Zusammenarbeit klappe gut, betonen alle drei Parteien. Entsprechend überschaubar ist der Drang, in den Wettstreit gegeneinander zu ziehen, nachdem das Berliner Verfassungsgericht am Mittwoch die Wahl zum Abgeordnetenhaus von 2021 für ungültig erklärt hat.
Da es nun aber so ist, steht der grüne Fraktionschef Werner Graf am Donnerstag am Rednerpult des Berliner Abgeordnetenhauses und teilt kräftig aus. Zugespitzt fordert Graf den Kopf des SPD-Bausenators. Ein unfreundlicher Akt zwischen politischen Ehepartner*innen; in anderen Zeiten wäre dieser Auftritt wohl ein Trennungsgrund.
Aber dies sind keine normalen Zeiten, es ist Wahlkampf. Oder besser: Wahlkrampf. Deshalb vermeidet Graf das Wort „Rücktritt“, und er nennt auch nicht den Namen des Senators. Andreas Geisel heißt er. Die Wahlwiederholung sei der „worst case“ für die Berliner Politik, schimpft Graf; diese „Klatsche“ müsse Konsequenzen haben. „Ein einfaches Weiterwurschteln, ein Schönreden darf es nicht geben.“
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Geisel war in der vergangen Legislaturperiode Innensenator in Berlin und damit politisch verantwortlich für die Organisation der Wahlen. Die neun Richter*innen des Berliner Verfassungsgerichtshofs haben in ihm – ebenfalls ohne seinen Namen zu nennen – einen der Hauptschuldigen ausgemacht für die derart schlechte Organisation. Bekanntlich kam es zu zahlreichen Pannen, falsch ausgegebenen Wahlzetteln, langen Schlangen und Wahllokalen, die teils bis nach 20 Uhr geöffnet waren.
In seinem Urteil am Mittwoch folgerte das Gericht, dass nur eine komplette Wiederholung der Wahl eine „Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses gewährleistet, die den rechtlichen Anforderungen an demokratische Wahlen genügt“, wie Ludgera Selting, die Präsidentin des Verfassungsgerichtshof, erklärte. Am 12. Februar 2023 wird erneut gewählt.
Doch dass Geisel wegen der Pannen sein Amt aufgeben muss, ist unwahrscheinlich. Zu wichtig ist er für die Berliner Bürgermeisterin Franziska Giffey; schließlich soll er für 20.000 neue Wohnungen pro Jahr sorgen und das Giffey’sche Mantra vom „Bauen, bauen, bauen“ umsetzen, sprich, das im vergangenen Wahlkampf zentrale Thema Mieten- und Wohnungspolitik abräumen. Zudem hat sich die Regierende Bürgermeisterin offenbar entschieden, einen Wohlfühlwahlkampf zu führen. Schlechte Nachrichten passen da nicht ins Bild.
SPD, Grüne und CDU ziemlich gleichauf
2021 hatte sich Giffey noch explizit von zentralen Punkten der rot-grün-roten Koalition unter ihrem Vorgänger Michael Müller abgegrenzt und etwa mit autofreundlichen Thesen um Stimmen von der CDU geworben. Nun verkauft sie die Politik der Koalition seit ihrem Amtsantritt als einen großen Erfolg: So habe man 100.000 Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen, eigenständige Hilfsprogramme in Höhe von 3 Milliarden Euro für Berliner*innen und die hiesige Wirtschaft aufgestellt und ein 29-Euro-Ticket nur für Berlin eingeführt. Die Botschaft: Diese Koalition bringt Berlin gut durch die Energiekrise.
Wie die im Winter verlaufen wird, wird maßgeblich das Wahlergebnis beeinflussen. Zu viel Zwist zwischen den Senator*innen – darin sind sich alle einig – kommt da überhaupt nicht gut an bei den Wähler*innen. Diese wünschten sich angesichts der ungewissen Lage nichts mehr als Sicherheit.
Darüber hinaus sind Prognosen schwierig. Aktuelle Umfragen gibt es bisher wenige, zuletzt standen die drei aussichtsreichsten Parteien SPD, Grüne und CDU gleichauf bei je knapp 20 Prozent. Wird die CDU zur großen Gewinnerin, weil sie im Bund im Vergleich zu 2021 zugelegt hat? Wie kommt die Regierende Giffey bei den Berliner*innen an? Man weiß es nicht so recht.
Schließlich stehen Grüne, Linke und SPD vor einem weiteren Dilemma: Eigentlich wollen sie die Koalition fortsetzen, Linke und Grüne sagen es offen. Letztere hoffen, diesmal vor der SPD zu landen und mit Bettina Jarasch die Regierungschefin zu stellen.
Doch wie Politik und Profilierung letztlich zusammengehen, weiß niemand. Und Bausenator Geisel, den würden Grüne und Linke tatsächlich gern noch loswerden.
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