Wahlwiederholung in Berlin: Sind Wahlen eine „Herkulesaufgabe“?

Der Innenausschuss streitet, wie groß der Aufwand einer Wahl in Berlin ist. Dahinter steht auch die Frage, ob parallel ein Volksentscheid stattfindet.

Menschen stehen vor einem Wahllokal und warten

War ein Berliner Trend am 26. September 2021: Schlangestehen für die Stimmabgabe Foto: imago

BERLIN taz | Für Stephan Bröchler ist die korrekte Durchführung der Wahlwiederholung am 12. Februar nichts weniger als eine „Herkulesaufgabe“, wie Berlins neuer Landeswahlleiter in der Sondersitzung des Innenausschusses am Montagmorgen betont. Schließlich, so sekundiert Innensenatorin Iris Spranger (SPD), habe noch nie in der Bundesrepublik eine Wahl in lediglich 90 Tagen organisiert werden müssen. Wer an die schallende Ohrfeige in Sachen Wahlvorbereitung denkt, die das Berliner Verfassungsgericht vergangenen Mittwoch der Innenverwaltung unter dem damaligen Senator Andreas Geisel (SPD) verpasst hatte, würde den beiden da wohl recht geben.

Doch was ist in Berlin so außergewöhnlich, dass „wir selbst die grundlegendsten Vorgänge nicht hinbekommen?“, fragt der FDP-Abgeordnete Björn Jotzo in die Runde. Schließlich seien Wahlen „keine Raketenwissenschaft und kein außergewöhnlicher Vorgang“ – in Berlin würden sie seit mehr als 100 Jahren organisiert.

Und was die 90 Tage angeht, widersprechen sich Bröchler wie Spranger, wenn sie – ebenfalls am Montag – erklären, dass die Vorbereitungen nicht erst am 16. November angefangen hätten, an dem das Verfassungsgericht sein Urteil sprach, sondern schon länger laufen. Bröchler selbst ist seit dem 1. Oktober im Amt, Papier und Druckaufträge für die Stimmzettel sind zum Beispiel längst eingetütet. Das Budget für diese Wiederholungswahl: 39,2 Millionen Euro.

Nicht wenige Abgeordnete vermuten hinter den Behauptungen aus der Innenverwaltung daher offenbar eine Taktik, den Klimavolksentscheid nicht am selben Tag wie die Wahl abhalten zu müssen – anders als es das Abstimmungsgesetz intendiert und eigentlich auch dem Senat vorschreibt. Es sei „ein Skandal, dass eine solche Idee überhaupt aufkommt“, findet Jotzo. Man müsse dem Senat auf den Weg geben, dass eine Zusammenlegung „die beste Lösung“ sei, meint Niklas Schrader (Linke). Und auch der Grünen-Abgeordnete Benedikt Lux hat noch „keine zwingenden Gründe gehört“, warum das nicht gehen solle.

Die Empörung in ihre Richtung hat sich Spranger selbst zuzuschreiben. Noch am Tag des Verfassungsgerichtsurteils gab sie eine Mitteilung heraus, wonach eine Zusammenlegen von Wahl und Entscheid „unwahrscheinlich“ sei. Im Innenausschuss versucht sie daher, sich aus der Schusslinie zu ziehen. Der Senat entscheide als Ganzes über den Termin, nicht sie allein und auch nicht die Verkehrssenatorin – eine Anspielung auf die Forderung von Bettina Jarasch auf dem Parteitag der Grünen am Samstag. „Selbstverständlich muss der Volksentscheid am 12. Februar stattfinden“, hat Jarasch da erklärt, „wir haben nicht umsonst jahrelang dafür gekämpft, dass die direkte Demokratie gestärkt wird.“

Die Innensenatorin und auch der – unabhängige – Landeswahlleiter betonen, dass ihr Hauptaugenmerk bisher auf der korrekten Durchführung der Wiederholungswahl liegen würde. Man müsse das Vertrauen in die Wahlen bei den Ber­li­ne­r*in­nen wieder herstellen, sagt Bröchler und wiederholt sein Mantra von Wahlen als „Fest der Demokratie“.

Knappe Fristen

Und die Fristen in Sachen Volksentscheid seien sehr knapp: Am 29. November will Bröchler das Ergebnis der Auszählung verkünden; sollte das Quorum von rund 170.000 gültigen Unterschriften geknackt sein, könnten sich Mitte Dezember Senat und Abgeordnetenhaus mit Termin und Inhalt befassen. Danach blieben noch 15 Tage, um die rund zwei Millionen Stimmzettel zu drucken, denn bereits am 2. Januar würden die Briefwahlunterlagen verschickt. Das alles würde „ein ganz erhebliches organisatorisches Problem“ darstellen.

Derweil gibt es gute Nachrichten, was die Zahl der Wahlhelfenden angeht. Insgesamt 42.000 würden benötigt, rund 8.000 mehr als 2021. Laut Bröchler haben sich bereits 26.000 Menschen beworben; ein Bezirk habe bereits angegeben, es hätten sich jetzt schon genug Wahlhelfer gemeldet. Dazu trügen auch die steuerfreien 240 Euro „Erfrischungsgeld“, sprich: Aufwandsentschädigung, bei. Zuvor hatte es 60 Euro Aufwandsentschädigung gegeben. Bröchler berichtet von Resonanz aus dem ganzen Bundesgebiet: So habe eine 80-jährige Oberstudienrätin aus Stuttgart angeboten, als Wahlhelferin einzuspringen.

Erste Bürgerämter dicht

Und zwar hätten drei Bezirke – Pankow, Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf – erste Bürgerämter geschlossen, weil sie das Personal für die Wahlvorbereitung bräuchten. Aber laut Spranger werde ab Dezember ein Personenpool gebildet, um bis zu 180 Mitarbeiter den Bezirken zusätzlich zur Verfügung zu stellen. Die Bezirke würden nicht allein gelassen, betont Spranger; weitere Schließungen von Bürgerämtern solle es nicht geben. Das alles deutet darauf hin, dass die Vorbereitungen – zumindest gemessen an Berliner Maßstäben – eher besser als schlechter laufen.

Die Initiative Klimaneustart, die die Unterschriftensammung für das Volksbegehren organisiert hat, versucht derweil, den Druck auf den Senat hoch zu halten. Für Dienstag morgen ruft sie zum Protest vor dem Roten Rathaus auf: Der Senat solle die direkte Demokratie ernst nehmen.

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