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Gaspreise und EnergiekriseVon Mittelschicht zu Mittelschicht

Die Gaspreisbremse ist ungerecht, weil sie dem Gießkannenprinzip folgt. Zum Glück kann nachgebessert werden, denn die Gaskrise bleibt uns erhalten.

Ob Villenbesitzer oder Alleinerziehende, beide werden gleich subventioniert. Ist das gerecht? Foto: Thomas Trutschel/photothek/imago

Z u den eigenartigeren Nachrichten dieser Woche zählte, dass wir in den ersten beiden Pandemiejahren weniger geheizt haben als sonst – und das, obwohl ein Gutteil der Leute 2020 und 2021 recht viel zu Hause gehockt hat. Ein Prozent weniger sei in Deutschland geheizt und entsprechend weniger für Energie ausgegeben worden, schrieb das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung am Mittwoch. Das Ergebnis habe auch die Forscher überrascht. Bevor sich jetzt die ersten Schlaumeier regen: Doch, Wetter und Temperaturschwankungen sind da rausgerechnet.

Wenn wir also schon ohne besonderen Anreiz Energie sparen, obwohl wir mehr Zeit als sonst daheim verbringen – wie viel könnten wir erst sparen, wenn wir es wollten beziehungsweise sollten? Oder sparen wir, wenn, dann überhaupt nur freiwillig unbewusst?

Leider ist weiterhin reichlich unklar, wie groß der Energiesparwille derzeit tatsächlich ist. Jedenfalls wurde er in der Liste der Faktoren, die den Gaspreis am Großmarkt diese Woche für einen Moment sogar unter null gedrückt haben, nicht an vorderer Stelle genannt. Stattdessen: das Wetter (keine Temperaturbereinigung an dieser Stelle), kombiniert mit überraschend viel Flüssiggas in Spanien – ein Überangebot also.

Kurz überlegte ich, ob ich bei meinem Versorger anrufen und Geld dafür verlangen sollte, dass ich ihm Gas abnehme. Dann las ich jedoch, dass die Großhandelspreise sowieso nicht so schnell auf die Verträge von uns EndverbraucherInnen durchschlagen.

Extrem ungerecht

Die ÖkonomInnen warnen ohnehin davor, das Thermostat zu weit aufzudrehen, wenn der aktuelle Spätspätsommer vorbei ist – so auch Isabella Weber, Wirtschaftswissenschaftlerin an der University of Massachusetts. Sie sitzt derzeit in der Gaskommission der Bundesregierung, die diesen Monat die Gaspreisbremse vorgestellt hat. Und sie sitzt dort ziemlich gut, denn Weber hat bereits zu Jahresbeginn eine Gaspreisbremse gefordert und auch entworfen.

In einem sehenswerten Gespräch mit Tilo Jung erzählt die Juniorprofessorin nun jedoch, wie unzufrieden sie mit dem Entwurf der Kommission ist: Es sei „inhärent extrem ungerecht“, dass ein Energie verprassender Villenbesitzer ebenso subventioniert werde wie eine sparsam auf wenig Raum lebende Alleinerziehende.

Weber meint es offenbar als eine Art Trost, dass es immerhin 2023 noch Gelegenheit gebe, am Gerechtigkeitsende nachzubessern: „Die Gaskrise wird auf jeden Fall noch nächsten Winter anhalten.“

Über das Gießkannenprinzip haben wir auch in der taz schon diskutiert. Es gibt noch keine konkreteren Zahlen, aber klar ist, dass ein viel zu hoher Teil des Doppelwumms-Geldes über Gut- und Bestverdiener ausgekippt wird. „Lieber manchen zu viel als allen zu wenig helfen“, sagt Weber dazu, und das ist auch der Tenor der Bundesregierung.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

So nüchtern wie möglich gesehen bleibt die Gaspreisbremse jedenfalls erst mal einem bundesdeutschen Prinzip treu: Das Geld nicht zielgenau nach unten zu lenken, sondern im Wesentlichen von Mittelschichten zu Mittelschichten zu schaufeln, siehe Elterngeld und Eigenheimzulage.

So erzeugt man Legitimität, denn es wird der schöne große Umverteilungsapparat nicht dauernd in Zweifel gezogen. Es dürfen dann nur die Ärmsten halt nicht zu viel vom Geld abbekommen.

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Ulrike Winkelmann
Chefredakteurin
Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.
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8 Kommentare

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  • Irgendwie kommt mir das ganze (Mittelschicht) Geschreibe zu diesem Thema doch recht oberflächlig vor: Schließlich sind die Klimaforscher schon fast einhellig dabei, festzustellen, dass schon ein 2°-Einsparungsziel in Frage steht, weil sich das Klima nicht linear verschlechtert, sondern potenziert und die Folgen kaum noch revidierbar sind. Warum jammern wir da noch über Gas- oder Strompreise rum und tun so, als ob Autofahren, Flugreisen, Stahlkochen, Mammutobjekte wie Fehmarn Belt-Tunnel, Elbvertiefung, Autobahnausbau etc. keine Rolle spielen. Wir nutzen als Blitzableiter einen 'Wirtschaftsminister', Kanzler oder Lindner, die alle nicht wissen wollen, was sie da tun und schreiben so einen Krisenartikel in einer Zeitung, die sich nun wirklich um die (dramatischen) Zukunftsaussichten kümmern sollte und dringend auch einmal eine Schulung mit Ulrike Herrmann vornehmen sollte, um



    daraus abzuleiten, wie die Notbremse am Ende des Kapitalismus funktionieren könnte, ohne Chaos und Geschrei von Rechtsradikalen, die sich mit Vielen zu Recht Aufbegehrenden (auch wenn sie dabei dem Parlamentarismus evtl. nicht trauen - die Politiker, die sich haben aufstellen lassen, sind ja auch eher ratlos, wenn sie nicht gerade noch einmal eigene Karrierevorstellungen mitbringen wie Scholz,Söder oder Merz oder mancher Juso-) verbünden. Auch der taz möchte ich zurufen: Wir müssen dringend reden, um herauszufiltern, wo wir gerade stehen!

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Der letzte (Ab)Satz im Artikel bringt es auf den Punkt. Man kann gar nicht anders, weil man es nie können brauchte, weil man es nie können sollte, weil man es nie können durfte.

  • Allerdings wurde schon viel zu dem Thema geschrieben, alles zu wiederholen wäre langatmig.



    Die" Möglichkeit" im kommenden Jahr nachzusteuern ist ja keine neue Idee, sondern Teil des Plans der Kommission bzw. der Regierung.



    Es ist gut, dass das Leck im Boot schnell gestopft wird, um die Takelage kümmern wir uns mit etwas mehr Zeit.



    Denn die braucht es. Viele schlaue( und weniger schlaue) Menschen haben ja eine Meinung zum Thema.



    Idee und Umsetzung sind allerdings nicht zeitgleich möglich. Die Ausarbeitung benötigt das im Wort versteckte Arbeiten .



    In diesem Zusammenhang stellte die CDU zuletzt eine lustige Forderung in den Raum: zur Kosteneinsparung angesichts der Krisen könne man doch Personal einsparen.



    Die logische Folge ist deckungsgleich mit der Intention des Artikels: die Arbeit macht sich von selbst!

  • Die Gießkanne ist besser und gerechter als ein mit bürokratischen Hürden gepflastertes Verfahren, um nur solche Mitmenschen mit Zuschüssen zu versorgen, die sie vermeintlich brauchen.

    Die Villenbesitzerin ist eher diejenige, die die Steuern zahlt als ein alleinerziehender Familienvater mit Mindestlohn-Halbtagsjob. Das hört sich zwar hart an, aber warum sollen die, die die Steuern zahlen, die Zuschüsse nicht erhalten? Man kann es ja so regeln, dass die Zuschüsse versteuert werden müssen. Bei der Villenbesitzerin wird die Zuwendung nicht einmal reichen, den halben Pool auf 25°C zu heizen, bei dem Alleinerziehenden bleibt vielleicht etwas übrig, wenn alle denselben Betrag erhielten.

    Wie dem auch sei: Das Problem ist der bürokratische Apparat, wenn man nur "zielgenau" fördern will. Die Bürokratie kostet an dieser Stelle zu viel Zeit, die zwar die Villenbesitzerin hat, nicht jedoch der Alleinerziehende.

    • @Aurego:

      Ich stimme ihnen vollumfänglich zu. Mal abgesehen davon dass die Villenbesitzerinnen die ich kenne allesamt nicht mehr mit Gas heizen und somit goar nix kriegen.

  • Wer sagt eigentlich, dass es ungerecht ist, wenn jemand mit 2.500 Euro Einkommen die gleiche Hilfe beim Gaspreis bekommt wie derjenige mit 1.500 und der mit 4.500 - von ALG2 Empfängern braucht man ja gar nicht anzufangen, weil dort das Amt zahlt, also die Mehrkosten ausgeglichen werden.

    Zumal der mit den 4.500 vielleicht auch eine Familie hat und der mit 2.000 nicht....man kann das alles natürlich extrem ausdifferenzieren, dann ist man in 3 Jahren fertig mit den Regeln - besser fände ich das nicht.

  • Positiv erwähnen sollte man, dass mit dem Bürgergeld die kompletten Heizkosten einschließlich aller PReissteigerungen komplett übernommen werden. Wäre das nicht so, dann könnte ich mir die Kugel geben.

    p.s. Ich wohne in 60 qm Altbau in PB und das Haus, dass einer städtischen Wohnungsbau Gesellschaft gehört wurde noch nie saniert - alte verrottete Fenster, Glasöfen etc. Die Gasrechnung würde mich echt ruinieren und in einer eiskalten Bude zu sitzen habe ich keine Lust.

  • 1. Wenn man täglich mit Temperaturen, Naturwissenschaften und das Lehren derselben umgeht, dann kommt eine ganz andere Schlussfolgerung heraus. 1% weniger ist definitiv nicht signifikant. Mit den gängigen Parametern, nämlich 6% Ersparnis bei 1 Grad Celsius weniger Temperatur (den Wert kann man plausibel machen) bedeutet 1% weniger Energie 0,17 Grad Celsius; der Mensch kann den Unterschied nicht feststellen, kann also Zufall sein. Also: Überflüssig zu kommentieren. Außerdem: Keiner weiß genau, wie vor der Pandemie geheizt wurde, Sparen war da definitiv durch Merkels verheerende Energiepolitik (da kam Sparen gar nicht vor) kein Thema. 2. Jetzt ist es eines, und es gibt noch viel Luft nach oben, gut, dass das erwähnt wird. 3. Flüssiggas und Flüssigerdgas sind zwei Paar Stiefel. 4. Es ist schon lange bekannt, dass Großhandelspreise nicht Endverbraucherpreise sind. Das war schon immer so und wird auch so bleiben. 5. Schlimm genug, dass Merkel aus ganz kurzsichtigen Gründen, Nachhaltigkeit, zu der Erneuerbare und auch Sparen gehört, massiv an die Wand gefahren hat, ohne dass das den Schreibenden wirklich aufgefallen ist. Dazu bedurfte es erst des Kriegsverbrechers Putin. Fehlende Einsicht bei Merkel, geschenkt.