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Lützerath als ProtestsymbolBewegung sucht Energie

Kersten Augustin
Kommentar von Kersten Augustin

Die Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen brauchen dringend Erfolge. Doch im Kampf gegen den Abriss des Dorfes Lützerath lässt sich nicht viel gewinnen.

Das Protestplakat behauptet: „Lützerath lebt“ – das stimmt so leider nicht mehr Foto: Florian Boillot

F ür viele schöne Dinge im Leben gibt es ein nicht ganz so schönes, dafür umso längeres Wort in der deutschen Sprache. Selbstwirksamkeitserfahrung, zum Beispiel. In anderen Worten: das berauschende Gefühl, das sich einstellt, wenn man mit dem eigenen Körper eine Straße oder eine Zugstrecke blockiert. Wenn das, wofür man demonstriert, auch umgesetzt wird.

Die Klimabewegung braucht nach Jahren der Niederlagen einen Erfolg, der ihr dieses Gefühl zurückgibt. Viele sind frustriert, weil trotz der Offensichtlichkeit der Klimakatastrophe nichts passiert.

Seit Anfang dieser Woche die NRW-Landesministerin Mona Neubaur gemeinsam mit Klimaminister Robert Habeck angekündigt hat, dass das Dorf Lützerath abgerissen wird, weil es auf Braunkohle gebaut ist, hoffen viele auf neue Energie – nicht für das Stromnetz, sondern für die Bewegung. Auf die Chance, endlich mal wieder einen Konflikt zu gewinnen. #StandWithLützi, twittern Luisa Neubauer und andere.

Natürlich gibt es Gründe, die Entscheidung der Grünen und ihren faulen Kompromiss mit RWE zu kritisieren: Der frühere und auch nur freiwillige Kohleausstieg 2030 wäre so oder so gekommen. Die Vorstellung, dass in acht Jahren noch Braunkohle verstromt werden könnte, ist so oder so absurd. Gutachten zeigen zudem, dass die Braunkohle unter Lützerath für die „Versorgungssicherheit“ nicht notwendig ist. Und überhaupt, Versorgungssicherheit, schon wieder so ein Wort. Als wäre die wichtiger als, sagen wir, Überlebenssicherheit.

Orte waren für Bewegungen immer wichtig: Gorleben und der Hambacher Forst sind zu Symbolen geworden. Hier lassen sich komplexe Konflikte vereinfachen, kann eine Bewegung gegen die Staatsmacht und Konzerne gewinnen. Aber eignet sich Lützerath als neues Symbol?

Gorleben wurde über Jahrzehnte zu einem Symbol, lange waren nur ein paar vermeintliche Kauze gegen Atomkraft. Die Endlagerfrage ist zudem bis heute ungelöst. Als der Hambacher Forst zum Symbol wurde, regierte in NRW Schwarz-Gelb und der Kohleausstieg war weit entfernt. Heute ist der Ausstieg beschlossen und gesellschaftlicher Konsens. Die Klimabewegung hatte sich deshalb zuletzt auf den Kampf gegen LNG-Gas konzentriert.

Kämpfe um Orte sind Abwehrkämpfe: Das war so in Gorleben, das war so im Hambacher Forst. Die Bewegung kann wenig gewinnen, wenn sie die Kohlebagger in Lützerath ein paar Monate aufhält. Sie kann die Kompromisse der Grünen als faul entlarven, die Klimapolitik der Regierung als ungenügend. Und dann? Besteht die Gefahr, dass sich die Bewegung an ein verlassenes Dorf klammert, indem niemand außer ihr selbst ein Symbol erkennen will.

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Kersten Augustin
Ressortleiter Inland
Kersten Augustin leitet das innenpolitische Ressort der taz. Geboren 1988 in Hamburg. Er studierte in Berlin, Jerusalem und Ramallah und wurde an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München ausgebildet. 2015 wurde er Redakteur der taz.am wochenende. 2022 wurde er stellvertretender Ressortleiter der neu gegründeten wochentaz und leitete das Politikteam der Wochenzeitung. In der wochentaz schreibt er die Kolumne „Materie“. Seine Recherchen wurden mit dem Otto-Brenner-Preis, dem Langem Atem und dem Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet.
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6 Kommentare

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  • "Gutachten zeigen zudem, dass die Braunkohle unter Lützerath für die „Versorgungssicherheit“ nicht notwendig ist."

    Diese Gutachten zeigen, dass wenn DE sich super anstrengt beim Kohleausstieg alles 100% läuft, wir 203x Windenergie und Photovoltaik bestens ausgeschöpft haben, die Versorgungssicherheit mit Energie gegeben ist.

    Das ist Argumentation mit der Fahrradhätte.

  • "Der frühere und auch nur freiwillige Kohleausstieg 2030 wäre so oder so gekommen."



    Wer sagt das? Für mich ist das das Hauptproblem des "Kompromisses". Die Grünen liefern jetzt - Lützerath kommt weg. Und ob 2030 Schluss ist mit der Braunkohle, sehen wir erst 2030. Und irgendwie sehe ich da schon eine "Versorgungsnotlage", die uns zwingt, weiter und mehr Braunkohle zu verbrennen. Die Klimakatastrophe trifft eh erstmal die anderen.

  • Bei unserer ersten Tour durch den Ruhrpott habe ich gelernt, dass dort besonders fruchtbare Böden sind. Wahrscheinlich hätte man auf denen noch mal 1000 Jahre von den Früchten der Erde leben können, abbaggern kann man sie nur einmal.



    Es geht nur darum, dass die Kassierer von heute den "Gewinn" mit niemanden teilen wollen, nichtmal mit Kindern und Enkeln und Urenkeln.

    • @Zeit und Raum:

      Ja, die Lössböden um Lützerath sind wertvoll und äußerst fruchtbar, aber das rheinische Braunkohlerevier gehört nicht zum "Ruhrpott".

    • @Zeit und Raum:

      Hmm. Ich habe eher das Gefühl, wir haben im Gegensatz zur Soester Börde am Dortmunder Hellweg eher "Geht so"-Böden, von der Heide im heutigen Oberhausen erst gar nicht zu reden. Dem letzten Satz stimme ich aber durchaus zu.

  • Der Kampf der jungen Leute aus der Klimabewegung ist wohl aussichtslos, wenn selbst die Grünen und ihr "Klimaminister" Robert Habeck vor dem börsennotierter Energieversorgungskonzern RWE einknicken. Man kann den jungen Leuten also nur noch den Rat geben sich Aktien von RWE AG zu kaufen, damit sie mit dem Geld der Dividenden noch ein paar Jahre "CO2-Partys" machen können. Die Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg sagte „Deutschland ist ein Klima-Schurke“, während Christian Lindner (FDP) sagte, „Von Kindern und Jugendlichen kann man nicht erwarten, dass sie bereits alle globalen Zusammenhänge, das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen“. So ist es nun einmal. Die "Erwachsenen" verkaufen die Zukunft ihrer eigenen Kinder und Enkelkinder an den Meistbietenden, also sollten die "Jugendlichen" sich ruhig daran beteiligen - denn ihre Zukunft wird wohl ohnehin ausfallen.