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Ex-Aktivistin Antje Grothus zu Lützerath„Es gibt Emotionen, gerade bei mir“

Antje Grothus kämpfte gegen den Kohleabbau, nun ist sie Abgeordnete im NRW-Landtag. Sie weiß nicht, ob sie eine Räumung von Lützerath aushalten könnte.

Hier hat Antje Grothus lange gegen den Kohleabbau gekämpft: Lützerath im rheinischen Revier Foto: Arnulf Stoffel/dpa
Bernd Müllender
Interview von Bernd Müllender

taz: Frau Grothus, vom gemeinsamen Beschluss grüner MinisterInnen und des RWE-Chefs am Dienstag, Lützerath im rheinischen Braunkohlerevier fallen zu lassen, waren alle überrascht. Wie kontrovers waren denn vorher die Debatten zwischen Abgeordneten und Ministerien?

Antje Grothus: Ich stand immer im Austausch mit dem Wirtschaftsministerium und auch mit Ministerin Mona Neubaur selbst, habe meine Position und Haltung zu Kohleausstieg und nachhaltigem Strukturwandel zum Ausdruck gebracht. Dass es Gespräche mit RWE gibt, wussten alle. Dass das vertrauensvoll geschieht, kann ich verstehen. Aber über das Ergebnis sind alle Abgeordneten auch erst per Videokonferenz am frühen Dienstagmorgen informiert worden. Gleich gebe es eine Pressekonferenz.

Im Interview: 

Antje GrothusJahrgang 1964, gründete die Bürgerinitiative Buirer für Buir. Sie war Mitglied der Kohlekommission der Bundesregierung und sitzt seit Juni für die Grünen im Landtag von NRW.

Also fast Geheimpakt von oben?

Der Zeitpunkt hat mich sehr überrascht. In der Woche vorher hatte ich mir noch in einem Interview einen möglichst transparenten Prozess auf der Basis von Gutachten und unter Beteiligung der Betroffenen gewünscht.

Klingt etwas enttäuscht. Wie fühlt es sich an zwischen Baum und Borke?

Das Endkapitel der Braunkohle zu schreiben ist eine riesige Aufgabe. Es gibt eine Faktenlage. Und es gibt Emotionen, gerade bei mir nach all den Jahren am Hambi. Ich war sehr überrascht, wie schnell es plötzlich diese Verständigung gab. Aber es ist wichtig, dass es jetzt Sicherheit für die fünf anderen Dörfer und die Feldhöfe am Rand von Lützerath gibt. Und dass es Rückkäufe der Umgesiedelten in den fünf Dörfern ­geben kann, auch im Tagebau Hambach in Morschenich.

Braucht der Deal parlamentarische Zustimmung?

Zunächst mal in Berlin, ja. Weil es um den Beschluss geht, im Kohleverstromungsbeendigungsgesetz den Ausstieg von 2038 auf 2030 vorzuziehen.

Und im Landtag?

Nach meinen Informationen nicht.

Wird oder würde die Volksvertreterin Antje Grothus zustimmen?

Kann ich noch nicht sagen. Dazu müsste ich erst alle Gutachten durcharbeiten. Und ich weiß nicht, ob ich eine Räumung von Lützerath aushalten könnte. Dafür bin ich in die Konflikte über die vielen Jahre zu sehr involviert. Die letzte Räumung im Hambacher Wald hat sogar ein Menschenleben gekostet. Ich tue mich unendlich schwer zu sagen, wir beginnen das letzte Kapitel der Braunkohle mit einer Räumung.

Vielerorts liest man nun von desaströser grüner Politik. von grün lackierter FDP. Was sagen Sie solchen Leuten?

Ich bin erst im vergangenen Jahr bei den Grünen eingetreten, weil ich die Debattenkultur, diese Art Basisdemokratie, immer als bereichernd empfunden habe. Und weil ich als Aktivistin erlebt habe, dass es da eine große Offenheit gibt. Weiter wählbar? Das kann nur jeder persönlich entscheiden. Als Katholikin habe ich auch intensiv überlegt, ob ich noch Kirchenmitglied bleiben kann, auch wegen der einseitigen Politik der Kirche gerade hier in den Braunkohledörfern: Kirchenverkäufe, die Abrisse. Ich bin nicht ausgetreten, weil ich intern die fortschrittlichen Kräfte wie zum Beispiel Maria 2.0 stärken will.

Naturführer Michael Zobel, Ihr jahrelanger Weggefährte im Kampf gegen RWE, hat am Donnerstag seinen Austritt nach bald 20 Jahren aus der grünen Partei erklärt.

Ich habe am Mittwoch noch mit ihm telefoniert. Da hat er mir seine Entscheidung mitgeteilt.

Zobel schrieb, er fühle sich betrogen durch die „unsägliche und beschämende Pressekonferenz“ mit dem RWE-Chef. Der „angeblich vorgezogene“ Kohleausstieg sei erkauft durch die Verbrennung weiterer 280 Millionen Tonnen und die Laufzeitverlängerung von Kraftwerken, Lützerath sei ein Bauernopfer. Harter Tobak?

Das ist Michaels Sichtweise. Aber bitte: Formulierung wie „angeblich vorgezogen“ finde ich schwierig. In einer Zeit, in der Ewiggestrige trotz der Klimakatastrophe eine Rolle rückwärts machen wollen mit der Kohleverstromung bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag, habe ich für einen definitiven Kohleausstieg 2030 Respekt, auch vor Mona Neubaur und Robert Habeck selbst.

In der Vereinbarung ist eine Option auf Kohleverbrennung bis 2033 als „Sicherheitsbereitschaft“ offengehalten. Den Ausstieg 2030 halten deshalb einige für einen „Taschenspielertrick“. Stimmt das?

Nein. Keine Frage, dass ich die kostenbasierte Reserve kritisch sehe. Aber es zählt, was insgesamt emittiert wird, und ich verstehe die Vereinbarung so, dass die maximale Gestaltung des Tagesbaus und damit die Kohlemenge begrenzt ist unabhängig von der konkreten Jahreszahl.

Was soll nun mit RWE passieren?

Aus meiner Erfahrung in der Region weiß ich, dass Energieversorgung verantwortungsbewusst gesichert sein muss. Deshalb sehe ich die Abhängigkeit von diesem wirklich nicht vertrauenswürdigen Energiekonzern sehr kritisch. Wichtig ist, dass in der Vereinbarung jetzt der Rest des Hambacher Waldes in eine Stiftung mit Landesbeteiligung überführt werden soll. Da werde ich dran ziehen und arbeiten.

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1 Kommentar

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  • Ein "definitiver Kohleausstieg" 2030 ist es eben nicht, denn Versorgungssicherheit geht auch 2030 vor.



    RWE hat hier auf ganzer Linie gewonnen. Heute bekommen sie Lützerath und die Laufzeitverlängerung der Braunkohlekraftwerke Neurath. Zusätzliche Emissionen für die nächsten Jahre sind sicher. Erst 2030 wird die übernächste Bundesregierung entscheiden ob der Ausstieg wirklich stattfindet oder kurzfristig für die Versorgungssicherheit abgeblasen wird (wovon RWE nach Stand der Dinge ausgehen kann).