Studie zu digitalem Unterricht: Auf halber Strecke
Langsam kommt die Digitalisierung an Schulen voran. Eine breit angelegte Elternbefragung zeigt jedoch, wie groß die Unterschiede in den Ländern sind.
Doch auch im dritten Corona-Schuljahr ist ein Großteil des Geldes immer noch nicht an den Schulen angekommen. Bis zum 31. Juni 2022 waren gerade mal 1,5 Milliarden Euro der Bundesmittel ausgegeben – nicht mal ein Viertel. Die Folge: Von den rund 40.000 Schulen in Deutschland hat bislang nur etwa die Hälfte vom Digitalpakt profitiert.
Angesichts der Zahlen, die das Bundesbildungsministerium und die Kultusministerkonferenz (KMK) Mitte September vorstellten, wäre Euphorie wohl fehl am Platze. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger zieht eine gemischte Bilanz: „Das Tempo stimmt noch nicht“, räumte sie ein. „Deshalb wollen wir den Digitalpakt weiter beschleunigen.“ Die FDP-Politikerin verwies dabei auf den intensiven Austausch mit Ländern und Kommunen über Best Practices und Beratungsangebote für Schulträger.
Stark-Watzinger erkennt aber auch Fortschritte. So seien beispielsweise die zusätzlichen Tablets und Laptops aus den Sonderprogrammen für Schüler:innen und Lehrer:innen fast vollständig in den Schulen angekommen. Auch KMK-Präsidentin Karin Prien (CDU) lobt die Entwicklung. Aus den jüngsten Daten liest sie, dass der Digitalpakt „eine entscheidende Schubkraft für die Digitalisierung unserer Schulen“ entwickelt habe.
Im Unterricht überwiegend private Geräte
Eine am Dienstag veröffentlichte Studie zeigt nun, dass dieser Schub nicht in allen Bereichen spürbar ist – und dass er für die einzelnen Bundesländer und Schulformen sehr unterschiedlich ausfällt. So sind beispielsweise Schulen in Bremen und Berlin deutlich häufiger ans Internet angeschlossen als in Sachsen oder Sachsen-Anhalt. Bei der Ausstattung der Schulen mit Laptops und Tablets liegen bundesweit die Gymnasien vorne – und die Grundschulen (verständlicherweise) ganz hinten. Und in Rheinland-Pfalz oder Schleswig-Holstein ist die fehlende IT-Kompetenz der Lehrkräfte ein größeres Problem als im Rest der Republik. Zumindest aus Sicht der Eltern.
Für die Studie hat das Netzwerk für die digitale Gesellschaft (Initiative D21), eine Partnerschaft aus Wirtschaft und Politik, mehr als 2.400 Erwachsene mit schulpflichtigen Kindern zum Stand der Digitalisierung in den Schulen befragt. Das generelle Bild, das dabei entstanden ist, lautet: Vielerorts sind die Schulen heute deutlich besser ausgestattet als vor der Pandemie. Auch kommen digitale Geräte häufiger zum Einsatz. Allerdings, das stellen die drei D21-Autorinnen auch klar, baue „dieser Schub auf einem sehr niedrigen Ausgangsniveau auf“.
Und nicht alle Entwicklungen sind nur positiv. So stützt sich der Unterricht zwar häufiger auf digitale Elemente – drei Viertel der Befragten sagen, dass digitale Geräte und Anwendungen mittlerweile im Unterricht ihres Kindes zum Einsatz kommen. Gleichzeitig stellen die Schulen kein geeignetes mobiles Endgerät zur Verfügung, kritisieren zwei Drittel der Eltern. Das führt zu der Situation, dass viele Bundesländer zwar Smartboards oder alte PCs zur Verfügung stellen, im tatsächlichen Unterricht dann aber vor allem die Tablets und Smartphones der Schüler:innen zum Einsatz kommen. Also private Geräte.
Ob Schüler:innen am digitalen Unterricht teilnehmen können, hängt auch im Jahr 2022 maßgeblich davon ab, ob sich die Eltern die digitalen Endgeräte leisten können. Nur Bremen hat seine Schüler:innen flächendeckend mit Tablets ausgestattet.
Pandemie verschärfte Bildungsungerechtigkeit
Aus Sicht der Chancengleichheit sei das ein Problem, sagt Birgit Eickelmann, Professorin für Schulpädagogik an der Universität Paderborn. „Wir haben gesehen, dass die Ausstattung der Kinder und Jugendlichen zu Hause sehr unterschiedlich ist“. Deshalb sei sie froh, dass der Digitalpakt in der Pandemiezeit noch einmal aufgestockt wurde, um auch Endgeräte für bedürftige Schüler:innen zu finanzieren. Eickelmann warnt aber davor, es bei dieser einmaligen Investition zu belassen.
„So wie früher die Schulbücherfinanzierung müssen nun endlich auch digitale Lernmaterialien, Endgeräte und Inhalte im Bildungsetat berücksichtigt sein. Das ist eine zentrale Frage von Bildungsgerechtigkeit.“ Dazu gehört ihrer Meinung auch: die Verfügbarkeit und der Zugang zu mobilen Daten. „Klingt trivial, ist uns aber in der Pandemiezeit erst richtig aufgefallen“, so Eickelmann. Ein Endgerät alleine reiche nicht zum Arbeiten in einer digitalen Lernumgebung. Da könne Deutschland viel von Ländern wie Dänemark lernen, die sowohl Endgeräte als auch eine gute Internetverbindung für alle Schüler:innen bereitstellten.
Dass die Pandemie die Bildungsungerechtigkeit im Land noch weiter verschärft hat, stellte kürzlich auch der Nationale Bildungsbericht 2022 fest. Mit Blick auf den offensichtlichen Digitalisierungsschub an Schulen rieten die Bildungsforscher:innen, jetzt die Weiterbildung des Personals in Angriff zu nehmen und die „Digitalität“ in den entsprechenden Curricula zu verankern.
Dass in beiden Bereichen Luft nach oben ist, schreiben auch die Autorinnen der D21-Studie: „Die Bereitstellung einer angemessenen Infrastruktur und Ausstattung mit digitalen Endgeräten ist ein erster wichtiger Schritt für eine zeitgemäße Schulbildung in der digitalen Welt“. Digitale Geräte und Anwendungen müssten aber auch medienpädagogisch sinnvoll in den Unterricht integriert werden, um die Schüler:innen auf das Leben und Arbeiten in der digitalen Welt vorzubereiten.
Suche nach Gesamtstrategie
Glaubt man den befragten Eltern, sind die Schulen hiervon noch meilenweit entfernt. In ihrer Wahrnehmung spielt digitales Lernen nach wie vor keine große Rolle im Unterricht – mehr als ein Drittel der Befragten macht dafür die fehlenden IT-Kenntnisse der Lehrkräfte verantwortlich. Aus den Schulen hört man allerdings, dass sich seit Beginn der Pandemie sehr viele Lehrkräfte in diesem Bereich fortgebildet hätten. Aber auch, dass vereinzelte Lehrkräfte sich davor verschließen.
Bildungsforscher Andreas Schleicher erkennt beim digitalen Unterricht ein grundlegendes Problem: „In Deutschland werden digitale Technologien noch zu häufig eingesetzt, um bestehende pädagogische Praxis zu konservieren“, sagt Schleicher zu den Ergebnissen der D21-Studie. Die Politik müsse aber eine „Gesamtstrategie“ vorlegen. Dazu bedürfe es einer „radikale[n] Neuplanung dessen, was Lehren und Lernen sein kann, wenn es durch Technologie unterstützt“ werde.
Wie so eine Gesamtstrategie aussehen könnte, beschäftigt die Politik seit Jahren. Zuletzt 2021 haben die Kultusminister:innen definiert, was die Schulen in Sachen Digitales so alles drauf haben sollten. Dass das allein noch nicht reicht, legt ein Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) nahe, das vergangene Woche vorgestellt worden ist.
Darin fordern die 16 in der SWK vertretenen Bildungsforscher:innen die Politik auf, die Vermittlung digitaler Kompetenzen sowie Informatik stärker in den jeweiligen Bildungsplänen zu verankern und Zentren für digitale Bildung einzurichten, die entsprechende Schulmaterialien und Fortbildungsprogramme für Lehrkräfte erstellen.
Und wer zahlt das?
Es könne nicht sein, dass jede einzelne Lehrkraft Materialien erstellen und dabei didaktische Fragen ebenso berücksichtigen müsse wie Fragen des Datenschutzes und der Urheberrechte, kritisiert die Direktorin des Leibniz-Instituts für Wissensmedien, Ulrike Cress. Sie hat am Gutachten mitgeschrieben. In ihren Augen sollten alle Lehrkräfte auf geprüfte und didaktisch sinnvolle Materialien zugreifen können.
Weiter empfiehlt die SWK den Ländern, künftig alle Lehrkräfte in Sachen Digitaler Unterricht auszubilden und länderübergreifende Ausbildungsstandards für Studierende, Referendare und fortzubildende Lehrkräfte aufzubauen. Dass dies alles zusätzliches Geld kosten würde, ist den Forscher:innen bewusst. Von allen Akteur:innen erwarten sie eine „enorme Kraftanstrengung“ sowie „hohe Investitionen“, um das Bildungssystem erfolgreich für die Anforderungen einer digitalisierten Welt aufzustellen. „Perspektivisch wird sich das auch in der Grundfinanzierung des Bildungssystems widerspiegeln müssen“, heißt es in dem SWK-Gutachten.
Wie bereit die Länder zu diesen Schritten sind, ist nicht ganz klar. Im Namen der Länder bedankten sich die Bildungsminister aus Hamburg, Ties Rabe (SPD), und aus Hessen, Alexander Lorz (CDU), für das „wichtige“ Gutachten. Beide deuteten aber auch an, dass sie einige der Vorschläge für schwer umsetzbar halten – zum Beispiel ein Schulfach Informatik. „Bei neuen Unterrichtsinhalten und -angeboten stellt sich aber stets die Frage, auf welche anderen wir stattdessen verzichten können“, sagte Lorz knapp und spielte den Ball zurück. Man erwarte sich da „Empfehlungen der Wissenschaft, da man nicht alles, was Schule künftig leisten soll, immer noch obendrauf packen kann.“
Und die Finanzierung? Auch kein beliebtes Thema. Die Ampelkoalition hat immerhin zugesichert, dass der Bund die Schulen auch nach Ende der Förderdauer 2024 mit einem „Digitalpakt 2.0“ fördern will – sofern die Schuldenbremse dann nicht auch diesem Bildungsversprechen im Weg steht.
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