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Neue Stundentafel für Hamburgs SchulenInformatik verdrängt Kunstfächer

Hamburg führt Informatik als Pflichtfach ein und kürzt dafür den Wahlbereich. Der Kunst-Fachverband findet das falsch und hätte eine bessere Idee.

Laptops im Unterricht gibt es schon länger: Schü­le­r*in­nen im Geographieunterricht in einer Gemeinschaftsschule in Leutenbach Foto: Andreas Arnold /dpa

Hamburg taz | In Hamburg hat die Schulbehörde die Stundentafel für die Stadtteilschulen und Gymnasien neu verteilt. Der „Wahlpflichtbereich“ für Fächer wie Kunst, Theater und Musik und der „Gestaltungsraum“, den Schulen in der Mittelstufe für Bildung eigener Profile haben, werden je um 76 Stunden gekürzt. So kommen die nötigen 152 Unterrichtstunden für Informatik zusammen, die ab August 2025 Pflichtfach werden soll.

Das geht aus der „Siebten Verordnung zur Änderung der Ausbildungs- und Prüfungsordnung“ hervor, die der rot-grüne Senat im „Mitteilungs- und Verordnungsblatt“, veröffentlichte. Informatik führen auch andere Bundesländer ein. Doch in Niedersachsen kommen die Stunden dafür oben drauf. In Hamburg müssen andere Fächer weichen.

Für Kunstlehrerin Nina Rippel geht Hamburg hier den falschen Weg. So ein neues Lernfach zu schaffen sei eigentlich veraltet, sagt die Landesvorsitzende des BDK-Fachverbands für Kunstpädagogik. „Die Problematik der informatorischen Bildung wird nicht über die Einführung eines neuen Fachs gelöst.“ Denn die Fragen der Digitalisierung drängten in alle Fächer ein.

Die Bildende Kunst zum Beispiel sei in der schriftlastigen Schule das einzige Fach, das sich mit dem – für junge Menschen heute immer wichtigeren – Thema Bild beschäftigt. Sinnvoll wäre, Informatik als Teil des Unterrichts in alle Fächer zu integrieren. So könnte Physik-Informatik sich mit Robotik beschäftigen oder Geo-Informatik mit der Ausbreitung digitaler Netze. In Deutsch könnte der Gebrauch von ChatGPT Thema sein, und in Kunst der Umgang mit digitalen Bildern auf Social Media und mit bilderzeugender künstlicher Intelligenz.

In Niedersachsen kommen die Stunden für Informatik oben drauf. In Hamburg müssen andere Fächer weichen

Rippel und ihr Verband verschickten eine kritische Stellungnahme mit diesen Überlegungen an alle Schulen, die Schulbehörde und ihre 330 Mitglieder. Sie kritisieren darin auch die Kürzung des Wahlpflichtbereichs. Zwar werden Hamburgs Mittelstufenschüler hier weiter Kunst, Theater und Musik haben, aber etwa ein Drittel weniger. Der Wahlbereich sei wichtig in der Mittelstufe, da diese Fächer den Schülern in der Pubertät, wo sie oft einen „Hänger“ hätten, die Gelegenheit für selbstbestimmtes Lernen bieten und das sind, was sie „durch diese Schulphase trägt“. Deshalb stellt sich der Verband entschieden gegen diese Kürzungen.

Die Kritik teilt auch Christian Gefert von der Vereinigung der Leitungen Hamburger Gymnasien und Studienseminare (VLHGS). Das Pflichtfach Informatik dürfe nicht auf Kosten der Bildungsvielfalt an den Gymnasien gehen. Er meint den um 76 Stunden beschnittenen Gestaltungsraum für Profilbildung der Schulen, etwa im sprachlichen oder naturwissenschaftlichen Bereich. Die Behörde überlasse nun den Einzelschulen, wo etwas wegzunehmen sei, statt Vorgaben zu machen, sagt Gefert. „Es fehlt ein ernsthafter Diskurs. Dabei hofften wir, dass die neue Schulsenatorin Ksenia Bekeris einen neuen Kommunikationsstil anstrebt.“

Ein wenig Wasser auf ihre Mühlen ist dieser Engpass auch für die Elterninitiative G9 Hamburg, die für eine Verlängerung der Schulzeit an Gymnasien streitet und am Montag offiziell ihr Volksbegehren anmeldete. Von der Stundenverschiebung nicht minder betroffen sind die Schüler an Hamburgs Stadtteilschulen. Dort können alle Schüler nun ein künstlerisches Fach weniger belegen, die fürs Abitur ihre zweite Fremdsprache wählen müssen.

Die Schulbehörde hält dagegen, dass die ästhetischen Fächer in Hamburg in der Mittelstufe immer noch einen „überaus hohen Stellenwert“ hätten, und Hamburg hier mehr Mindeststunden hätte, als die Kultusminister vorgeben. Darüber hinaus wende die Stadt viele Sach- und Personalmittel auf, um künstlerische Projekte zu fördern. Den Vorschlag des BDK, Informatik in die anderen Fächer zu integrieren, habe man „erwogen“, aber „verworfen“, sagt Sprecher Peter Albrecht.

Aufforderung der Bürgerschaft

Die Durchdringung der realen Welt durch digitale Systeme sei so groß, dass mündige Bürger nur mit Informatikkompetenz partizipieren könnten. Das gehe nur mit eigenen Lehrkräften und „einschlägiger Fachdidaktik im eigenen Fach“. Zudem habe die Bürgerschaft die Stadt aufgefordert, so ein Pflichtfach einzuführen.

Grüne und SPD haben sich mit den Kunstpädagogen bisher noch nicht ausgetauscht. Man könne deren Bedenken „einerseits nachvollziehen“, denn die Gesamtbelastung der Schüler dürfe nicht steigen, sagt Philipp Wenzel, Sprecher der Grünen-Fraktion. Andererseits komme das Fach aber nicht „aus dem Nichts heraus“, die Diskussion laufe sei 2013. Für den SPD-Schulpolitiker Nils Hansen sind das Programmieren und der sichere Umgang mit Netz-Informationen schlicht zwei verschiedene Dimensionen, weshalb man das Pflichtfach brauche.

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3 Kommentare

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  • Es wäre schön, wenn die Schule diesen Weg nicht geht. Aber daran lässt sich wohl nicht viel ändern. Schade finde ich auch, dass es keinen ausreichenden Geschichtsunterricht gibt.



    Viele Kinder und Jugendliche wissen nichts über die Geschichte Deutschlands, über Europa.



    Jetzt soll auch noch Kunst reduziert werden.



    Die Richtung ist immer Pragmatismus und irgendwie Wirtschaftsfreundlichkeit. Bildung als eigenen Wert zu betrachten, kommt Politikern nicht mehr in den Sinn. Natürlich protestieren auch einige, aber das reicht hier nicht aus.

  • Dasselbe Muster gab es vor etlichen Jahren an den Hamburger Stadtteilschulen, als das neue Fach Gesellschaftswissenschaften geschaffen wurde, das etliche Fächer in einem neuen Verbundfach integrierte, u. a. auch Wirtschaft. Geschichte und Geographie mussten erhebliche Abstriche in der Stundentafel hinnehmen. Letztlich zählen vor allem die Interessen der Wirtschaft bei diesen Kürzungen, die wirtschaftliche Verwertbarkeit von Wissen nach der Zeit an der Schule.

  • "In Deutsch könnte der Gebrauch von ChatGPT Thema sein, in Kunst der Umgang mit digitalen Bildern auf Social Media und mit bilderzeugender künstlicher Intelligenz."

    Es wäre überzeugender, wenm der Satz nicht im Konjunktiv stünde. Wenn die Kunstlehrer sagen würden, "die Schüler brauchen nicht extra Informatikunterricht, weil sie die entsprechenden Kenntnisse nebenher in allen Fächern vermittelt bekommen, im Kunstunterricht arbeiten sie einen großen Teil der Zeit am Computer, erstellen AI-Art oder Webseiten und visuellen Content für Videospiele oder Social Media." Aber machen die Kunstlehrer das? Können sie das überhaupt? Haben sie Ahnung davon und wollen sie das überhaupt ihren Schülern vermitteln, wenn sie es können? So lange so ein Satz im Konjunktiv steht, bekommt man den Eindruck, dass es mehr um Besitzstandswahrung geht, als darum, unsere Kinder auf eine digitale Welt vorzubereiten.