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9-Euro-FondsWeiterfahren für 9 Euro

Eine Kampagne setzt das 9-Euro-Ticket selber fort. Wer mitmacht, kriegt eventuelle Strafen für ticketloses Fahren erstattet.

9-Euro-Ticket für immer Foto: dpa

Berlin taz | Das 9-Euro-Ticket wird bereits ab September weitergeführt. Nicht von der Bundesregierung, aber selbstorganisiert. 9-Euro-Fonds heißt die Kampagne, die allen Fahrgästen auch in der Zwischenzeit bis die Bundesregierung sich über ein Anschlussticket einig geworden ist, die Möglichkeit geben will, kostengünstig unterwegs zu sein. Die Idee ist einfach: Jeder, der möchte, zahlt monatlich neun Euro in den Fonds ein und nutzt weiter den Nahverkehr – ohne ein reguläres Ticket zu kaufen.

Der Fonds funktioniert dabei wie eine Versicherung: Wer ohne gültigen Fahrschein angetroffen wird, muss seine Zahlungsaufforderung nur weiterreichen – der Fonds übernimmt das erhöhte Beförderungsentgelt. Ausnahme: Weil in Regionalzügen der Deutschen Bahn bei fast jeder Fahrt kontrolliert wird, gilt der Fonds nur im Nahverkehr – das aber bundesweit.

Am Mittwoch ging die aktivistische Initiative mit einer Website und auf Social Media online: „Schon jetzt ist die Nachfrage groß“, sagt Kampagnensprecher Leo Maurer. Der Fonds soll, so Maurer, sowohl „Menschen unterstützen, die sich ein normales Ticket nicht leisten können“ als auch die politische Forderung hochhalten, das 9-Euro-Ticket weiterzuführen. „Das Ticket war die beste Maßnahme der Bundesregierung zur Entlastung von Menschen mit wenig Geld – und nützt darüber hinaus auch noch dem Klima“, so Maurer.

Angelegt ist der Fonds nicht auf Dauer, sondern als Lückenfüller. „Grundsätzlich braucht es eine politische Lösung“, sagt Maurer. Bewusst ist den Ak­ti­vis­t:in­nen auch, dass es eine gewisse Hürde für die Beteiligung an dieser Aktion des zivilen Ungehorsams gibt. Empfohlen wird den Nut­ze­r:in­nen sichtbar einen Aufkleber mit der Aufschrift „Ich fahre ohne Fahrschein“ zu tragen. Dies kann – und hat in eignen Gerichtsverfahren schon funktioniert – den Vorwurf der Leistungserschleichung entkräften.

Europäische Vorbilder

Die Idee zur Initiative kam den Ak­ti­vis­t:in­nen aus der Klima- und Verkehrswendebewegung vor einem Monat. Seitdem ist das Konzept „mit heißer Nadel gestrickt“ worden, wie Maurer erzählt. Unterstützt wird der 9-Euro-Fonds vom Verein Sanktionsfrei zur Unterstützung von Hartz-4-Empfänger:innen und vom Freiheitsfonds, der Menschen mit Ersatzfreiheitsstrafen etwa aufgrund von Fahrens ohne Fahrschein aus den Gefängnissen freikauft.

Vorbilder gibt es auch: So praktiziert die Kampagne Planka.nu in Schweden die Idee der Freifahrtversicherung schon seit 2001; in Spanien heißt das Konzept „Yo no pago“ – Ich zahle nicht. Auch sehe man sich, so Maurer, als Teil einer europaweiten Solidaritätsbewegung zur Unterstützung der von der Krisen betroffenen, deren Vorreiter die britische Kampagne „Enough is Enough“ ist.

Einen offiziellen Startschuss für den 9-Euro-Fonds soll es am Donnerstag in Berlin mit einer gemeinsamen fahrscheinlosen U-Bahn-Fahrt geben. Auch die Klimagruppe Letzte Generation kündigte an ab Donnerstag bundesweit ohne Fahrschein zu fahren, um den „friedlichen Widerstand gegen die Unbezahlbarkeit des ÖPNV“ zu demonstrieren.

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16 Kommentare

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  • taz: "Der Fonds soll, so Maurer, sowohl „Menschen unterstützen, die sich ein normales Ticket nicht leisten können“ als auch die politische Forderung hochhalten, das 9-Euro-Ticket weiterzuführen."

    Für arme Menschen gibt es halt nichts in diesem reichen Land. Hundert Milliarden Euro für sinnlose Aufrüstung? - Kein Problem! Ein paar Milliarden Euro, wenn der Staat die teuren Dienstwagen subventioniert? - Kein Problem! Günstige Bahntickets, die sich selbst der Hartz IV Empfänger leisten kann? - Stopp, denn jetzt hört der Spaß auch mal auf. Steuergelder sind doch nicht für die armen Bürger da. Der arme Bürger soll funktionieren und jetzt nicht noch frech ohne Ticket herumfahren, nur damit der überbezahlte Volksvertreter vielleicht endlich mal anfängt 'soziale Politik' zu machen. Man kann aber jetzt nur noch hoffen, dass die Zeiten des preußischen Untertan vorbei sind und der Bürger sich nicht mehr wie in dem Roman von Heinrich Mann "Der Untertan" verhält. www.youtube.com/watch?v=52CKdF-jSEg

    taz: "... einen Aufkleber mit der Aufschrift „Ich fahre ohne Fahrschein“ zu tragen. Dies kann – und hat in eignen Gerichtsverfahren schon funktioniert – den Vorwurf der Leistungserschleichung entkräften."

    Bei 'Fahren ohne Fahrschein' ("Erschleichen von Leistungen") handelt es sich übrigens um den § 265a StGB, der am 1. September 1935 in das Strafgesetzbuch aufgenommen wurde. Jan Böhmermann hat über diesen 'Naziparagraphen' schon eine Sendung gemacht.

    Wenn Deutschland wirklich eine Mobilitätswende schaffen möchte, dann brauchen wir dauerhaft einen günstigen ÖPNV. Und natürlich muss dafür auch langfristig Geld zur Verfügung stehen. Allein der Pkw-Verkehr in Deutschland erzeugt rund 100 Millionen Tonnen CO2 im Jahr. Aber unsere Politiker schwadronieren ja lieber über den Klimawandel, anstatt endlich mal zu handeln. Das 9-Euro-Monatsticket weist in die richtige Richtung; nur sollte es nicht nur ein 3-monatiges 'Lockmittel' gewesen sein, sondern dauerhaft eingeführt werden.

    • @Ricky-13:

      "Günstige Bahntickets, die sich selbst der Hartz IV Empfänger leisten kann?"



      Hah, dazu fällt mir ein das ich vom Amt eine Rückforderung der 9 Euro für mein Ticket im Juli bekommen habe.



      Ich war während meiner gesundheitlich bedingten Umschulung auf Sozialhilfe angewiesen. Das Amt zahlte auch mein ÖPNV-Monatsabo für den Weg zur Berufsschule. Im Juli war ich zu Hause, weil Ausbildung vorbei, neuer Arbeitsbeginn am 1. August. Das Amt hatte aber das Geld für das 9 Euro Ticket schon überwiesen und will das Geld jetzt zurück, weil ich ja keinen Bedarf mehr für einen Fahrschein hatte...



      Ok, passt jetzt nicht perfekt zum Thema, aber der Hartz bezogene bürokratische Irrsinn spiegelt sich auch da wieder, wie ich finde.

      • @Rahl:

        "Ok, passt jetzt nicht perfekt zum Thema, aber der Hartz bezogene bürokratische Irrsinn spiegelt sich auch da wieder, wie ich finde."

        Doch, das passt sogar sehr gut und zeigt auch wie Deutschland "tickt". Dieser bürokratische Wahnsinn hat sicherlich mehr als 9 Euro gekostet, aber so kennt man diese sogenannte "Behörde" ja. Übrigens kosten die Jobcenter, die mit einem unglaublichen Bürokratismus und knapp 100.000 Mitarbeitern einen egozentrischen Aufwand betreiben, der in gar keinem Verhältnis zu den Vermittlungserfolgen steht, den Steuerzahlern jährlich ein paar Milliarden Euro. Für ein günstiges Bahn- und Busticket ist angeblich kein Geld da, aber für eine sinnlose "Behörde", die nur noch die stetig ansteigende Arbeitslosigkeit verwaltet, werden jedes Jahr Milliarden Euro an Steuergeldern aus dem Fenster geworfen.

  • Wer bezahlt am Ende die Zeche wirklich?



    Der normale ÖPNV-Nutzer, weil die Betriebe ihre Verluste bei der nächsten Erhöhung auf den Fahrpreis aufschlagen.



     

    (...) Der Kommentar wurde gekürzt. Unsere Netiquette können Sie hier nachlesen: taz.de/netiquette. Die Moderation

    • @Rudi Hamm:

      Man hat ausgerechnet, dass man alleine mit dem Abbau des Dienstwagenprivilegs den Bürgern jedes Jahr in den 3 Sommermonaten ein 9-Euro-Ticket finanzieren könnte.

      Übrigens ist das 9-Euro-Ticket nur von der FDP "genehmigt" worden, weil die FDP dafür den Tankrabatt bekommen hat, von dem aber nicht der autofahrende Bürger, sondern nur die Mineralölkonzerne profitiert haben.

      Zum "Glück" fahren die Regionalzüge ab heute ja wieder halbleer von einer Stadt zur nächsten, weil die überteuerten Tickets sich wieder kein Normalbürger erlauben kann. Wenn die Züge nicht so voll sind, dann schont das aber auch die Bahnsitze. Merkt in diesem Land eigentlich niemand wie idiotisch das alles ist?

      • @Ricky-13:

        Das mit dem Dienstwagenprivileg ist ein Mythos, bei der Berechnung wurde nur die Seite der Firmen betrachtet, wenn man die Seite der Arbeitnehmener betrachtet sieht man dass der staat Monat für Monat von den Arbeitnehmer mehr als 1 Prozent vom Listenpreis des Firmenwagens als Geldwerten Vorteil versteuert kassiert! Das bringt dem Staat wesentlich mehr als ihn das kostet, dass die Leasingkosten vom Gewinn der Firma abgezogen, und damit nicht versteuert werden. Ein Dienstwagenfahrer versteuert teilweise 1500 Euro und mehr, je nach entfernungskilometer zur Arbeit jeden Monat! Der Staat verdient daran, deshalb will er das auch nicht abschaffen

      • @Ricky-13:

        Halbleer? Ich wünschte, es wäre so. Die Züge waren schon vor dem Billigticket oft brechend voll.

        • @Suryo:

          Die von "Stadt-zu-Stadt" Züge waren vor der 9-Euro-Ticket Aktion nie brechend voll, weil der Bürger nicht eingesehen hat, dass er für eine 50-Kilometer Fahrt 20 Euro zahlen soll, und für die Rückfahrt noch mal 20 Euro. Da stiegen die Leute, die ein Auto besitzen, doch lieber in ihr CO2-Töfftöff, und die Leute ohne Auto mussten entweder zuhause bleiben oder die überteuerten Fahrkarten zahlen - also wie auch jetzt wieder. Weshalb haben Züge eigentlich so viele Sitzplätze? Ach ja, damit die Züge "voll" werden können und nicht sinnlos nur "halbleer" immer hin- und herfahren.

          • @Ricky-13:

            Welche Züge meinen Sie denn? Ich bin seit Jahren öfters zwischen Berlin und Hamburg unterwegs und diese Züge sind absolut nie leer, egal, ob es sich um einen ICE oder einen IC handelt. Im Gegenteil: wer dort keinen Sitzplatz reserviert, hat sehr oft Pech gehabt und muss stehen.

  • O o O !



    Schwarzfahren ist eine Straftat.



    Folglich gilt:

    § 111 Öffentliche Aufforderung zu Straftaten



    (1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) zu einer rechtswidrigen Tat auffordert, wird wie ein Anstifter (§ 26) bestraft.



    (2) Bleibt die Aufforderung ohne Erfolg, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. Die Strafe darf nicht schwerer sein als die, die für den Fall angedroht ist, daß die Aufforderung Erfolg hat (Absatz 1); § 49 Abs. 1 Nr. 2 ist anzuwenden.

    [...]

    Dieser Kommentar wurde gekürzt. Bitte halten Sie sich an die Netiquette. Die Moderation

  • Kann man das gutheißen? Aufforderung zum Schwarzfahren? Unter bestimmten Voraussetzungen ist das ja eine Straftat. Zudem ist es antisozial.

    • @Taztui:

      Ich sehe beim 9-Euro-Fonds nirgendwo eine Aufforderung zum Schwarzfahren. Und was genau ist jetzt an der Unterstützung von Menschen, die sich das normale Ticket nicht leisten können, "asozial"?

      • @Mathias Kneissl:

        Der 9-Euro-Fonds schlägt vor, ohne gültigen Fahrschein zu fahren – natürlich kann das als Aufforderung zum Schwarzfahren verstanden werden.

        • @o_aus_h:

          Nein, tut er nicht!

          Auf der HP heißt es in den FAQ ausdrücklich:

          Wie oft darf ich ohne gültigen Fahrschein kontrolliert werden?

          "Wir rufen nicht dazu auf, ohne gültigen Fahrschein zu fahren, aber wenn du in dem Monat, in dem du deine 9 € an den Fonds gezahlt hast, mit dem Bus, der U-Bahn oder der Tram gefahren bist, übernehmen wir dein erhöhtes Beförderungsentgelt. Auch mehrfach."



          9eurofonds.de/

          • @Woody Woodpecker:

            Es ist definitiv eine Straftat, auch ein Fond der eine Strafe übernimmt ist gleichsam illegal, wie auch eine Versicherung die ein Bußgeld übernimmt, hierzu gibt es genug Rechtsprechungen, aus den 60er und 70er Jahren, wo das mit Geschwindigkeitsrauschuenerschreitungen versuchT wurde. Auch könnt man argumentieren es entsteht eine verein auf Gegenseitigkeit, der unterliegt in dem Fall der Versicherungsaufsicht! Denke mal das wird für die Organisatoren vor Gericht enden. Ausser es ist schon als illegale Kriminelle Abzockmoeglichkeit geplant….denn solange kein Geld an einen einzahler zurückfließt ist es erst einmal nicht als illegale Versicherung angesehen

        • @o_aus_h:

          Der 9-Euro-Fonds schlägt vor, dass man solidarisch in eine "Ticketversicherung" einzahlt, die Menschen hilft, die ein EBE zahlen müssen. Sie hätten sicherlich auch einfach Spendengelder sammeln können, aber dann wäre diese Protestaktion wohl kaum so wirksam.