Freiheitsfonds kauft Schwarzfahrer frei: Fahrschein aus dem Gefängnis

Der Freiheitsfonds hat 83 Menschen freigekauft, die wegen Schwarzfahrens im Knast saßen. Sie sitzen wegen des Nazi-Paragrafen 265a.

Ein Mann mit Maske steigt aus der U-Bahn

Wer keinen Fahrschein hat, kann in den Knast wandern. Schuld ist der Nazi-Paragraf 265a Foto: Christoph Hardt/imago

BERLIN taz | 83 Menschen hat die Berliner Initiative Freiheitsfonds mittlerweile aus Gefängnissen freigekauft. Die Kampagne setzt sich für eine Entkriminalisierung von Fahren ohne Fahrschein ein und bezahlt die Strafen von Menschen, die deswegen im Knast sitzen.

Der Zuspruch für den Freiheitsfonds ist groß: Knapp 340.000 Euro Spenden sind mittlerweile eingegangen, um Fahrer*in­nen ohne Fahrschein aus Knästen freizukaufen. Knapp 100.000 Euro davon sind bereits ausgegeben. Eine Person, die am Mittwoch freikam, saß bereits seit Monaten hinter Gittern und sollte noch sechs Monate bleiben – alles nur, weil sie ohne Fahrschein mit öffentlichen Verkehrsmitteln gefahren ist.

Fahren ohne Fahrschein ist in Deutschland wegen der Nazis seit 1935 eine Straftat. Wer sich eine verhängte Geldstrafe nicht leisten kann, muss eine Ersatzfreiheitsstrafe antreten. Derzeit sitzen laut der Justizverwaltung von Senator Dirk Behrendt (Grüne) in Berlins Knästen 330 Personen wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe – rund ein Drittel davon wegen Fahrens ohne Fahrschein. Ein Hafttag kostet dem Staat im Schnitt 150 Euro. Durch die Initiative hat das Justizsystem mittlerweile über eine Million Euro gespart.

Menschen, die sich schon Fahrscheine kaum zahlen können, können sich verhängte Geldstrafen erst recht nicht leisten. Die Betroffenen sind laut der Initiative Freiheitsfonds, die mit dem Portal fragdenstaat.de und Böhmermanns ZDF Magazin Royale die Kampagne gestartet hat, überwiegend arbeitslos (87 Prozent), wohnungslos (15 Prozent) oder sogar akut suizidgefährdet (15 Prozent).

In Berlin keine Vollstreckung bis März

Immerhin hat die rot-rot-grüne Koalition gerade beschlossen, die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen vorübergehend bis zum 31. März auszusetzen. Die Regelung wurde allerdings nicht wegen des überzogenen Strafmaßes geschaffen, sondern pandemiebedingt. Noch-Justizsenator Behrendt will so verhindern, dass das Coronavirus in die Gefängnisse eingeschleppt wird.

Vollstreckungsaufschub für Ersatzfreiheitsstrafen gab es bereits während der ersten und zweiten Coronawelle. Einem Teil der Betroffenen wurde die Strafe danach sogar erlassen. Ob es bei den aktuellen Fällen auch zu einer Begnadigung kommt, müsste die designierte Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) entscheiden, wenn die Linken denn mitregieren wollen.

Arne Semsrott von Freiheitsfonds sagte der taz: „Viele Betroffene haben keinen festen Wohnsitz, Post erreicht sie nicht.“ Ebenso befänden sich viele in einem schwierigen gesundheitlichen Zustand, seien arbeitsunfähig oder litten unter psychischen Krankheiten. Weil Fahren ohne Fahrschein zudem eine Straftat ist, könne man wegen dieser Lappalie im Resozialisierungsprogramm oder einem Asylverfahren Probleme bekommen und etwa den Ausbildungsplatz verlieren. Semsrott plädiert dafür, Fahren ohne Fahrschein zu einer Ordnungswidrigkeit herabzustufen.

In den Justizvollzugsanstalten sieht man das übrigens ähnlich, wie Sprecher der Justizverwaltung Brux bestätigt: „Häufig wissen die Betroffenen gar nichts vom Verfahren, sind obdachlos oder öffnen ihre Post nicht“, sagte er der taz. Nicht selten würden die Betroffenen von der Polizei im öffentlichen Raum in psychischen Ausnahmesituationen aufgegriffen. Im Schnitt verbüßten sie dann eine Strafe für 30 Tage.

Obdachlose seien für diese Zeit zwar medizinisch versorgt und hätten ein Dach über dem Kopf, aber eigentlich bräuchten sie Beratungsangebote, nachhaltige Hilfe und Sozialarbeit, so Brux. Der Freiheitsfonds kauft nur diejenigen frei, die ausdrücklich zustimmen. In Justizvollzugsanstalten sorgen weniger Ersatzfreiheitsstrafen für Entlastung, sagt Brux, sodass sie sich besser auf ihre Kernaufgaben konzentrieren könnten: die Resozialisierung von richtigen Straftäter*innen.

Der grüne Justizsenator Behrendt sagte über den Freiheitsfonds: „Es ist eine wichtige Kampagne, die auf einen Missstand hinweist, aber letztlich muss das Problem der Ersatzfreiheitsstrafen die Ampelkoalition politisch lösen.“ Eine Berliner Bundesratsinitiative dazu versandete.

Immerhin hat die Ampelkoalition im Bund versprochen, sich damit auseinanderzusetzen: Das Bundesministerium von Marco Buschmann (FDP) bestätigte der taz, dass derzeit geprüft wird, inwiefern beim Paragrafen 265a Handlungsbedarf besteht. Insgesamt waren laut der Behörde bundesweit 3.424 Gefangenge wegen Ersatzfreiheitsstrafen in Gefängnissen.

Der Freiheitsfonds hat mittlerweile knapp 7.000 Hafttage durch Spenden abgewendet. 67 der 83 Befreiten sind aus Berlin, mittlerweile habe man aber auch Menschen in Bremen, Freiburg, Frankfurt, Hamburg und Hannover befreit.

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