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Was nach dem 9-Euro-Ticket-Aus nötig istZurück zur Realpolitik

Bernward Janzing
Kommentar von Bernward Janzing

Nach dem 9-Euro-Ticket braucht die Förderung der Verkehrswende ein vernünftiges Konzept. Viel Potenzial lauert im ruhenden Autoverkehr.

Lässt sich mit höhreren Parkplatzpreisen der Nahverkehr finanzieren? Foto: Florian Boillot

E s ist politisch ja immer heikel, einmal gewährte Wohltaten wieder zurückzunehmen. Das spürt auch die Bundesregierung nach dem Ende des 9-Euro-Tickets in dieser Woche. Aus vielen Ecken kommt die Forderung nach einer wie auch immer gearteten Fortsetzung. Vereinzelte Aktivisten verklären das Schwarzfahren gar schon zum politischen Akt.

In dieser Situation sollte die Bundesregierung vor allem eines nicht tun: sich unter Zeitdruck setzen lassen. Denn eine vernünftige Lösung braucht Zeit. Die Anforderungen sind schließlich nicht trivial, wenn es gilt, ein Preismodell zu finden, das auch auf Dauer funktioniert.

Eines, das erstens attraktiv ist für Bahnkunden und solche, die es werden wollen, das zweitens langfristig solide durchfinanziert ist und das drittens die Infrastruktur der Bahn nicht – wie zuletzt – überfordert. Die erbärmliche Unpünktlichkeit der Bahn in den letzten drei Monaten (es waren die schlechtesten Werte seit 2010, als Schneemassen und Eisregen den Schienenverkehr lahmlegten) sind eines Landes, das sich gerne seiner technischen Präzision und seines funktionierenden Gemeinwesens rühmt, schlicht unwürdig.

Nicht nur die Bundesregierung steht in der Pflicht

Kommen wir zu Finanzierung, denn für ein besseres Angebot braucht die Bahn mehr Geld. Dieses sollte der Staat aber nicht auf Pump beschaffen, er sollte es durch Steuern einnehmen. Das charmante daran: Nimmt man zur Finanzierung des Nahverkehrs das Auto in die Pflicht, hilft das der Verkehrswende gleich doppelt. Um es konkret zu machen: Eine gute Möglichkeit wäre die Abschaffung des Steuerprivilegs für Dienstwagen.

Aber nicht nur die Bundesregierung steht in der Pflicht. Auch die Städte sind gefordert, denn auch sie haben Optionen. Speziell der ruhende Autoverkehr bietet sich als Finanzierungsquelle für den Nahverkehr an. Freiburg zum Beispiel hat die Preise für Anwohnerparkplätze gerade deutlich erhöht. Bislang konnten Fahrzeughalter ihr Auto für nur 30 Euro ein ganzes Jahr lang im öffentlichen Straßenraum abstellen – ein lächerlicher Obolus angesichts der Preise von Grund und Boden in Innenstädten. Seit April werden nun je nach Fahrzeuglänge bis zu 480 Euro im Jahr fällig – das wurde zwischenzeitlich auch vom Verwaltungsgerichtshof abgesegnet.

Es sind diese Fragen der Finanzierung, die nun – parallel zur Debatte über eine neue Tarifstruktur im Nahverkehr – geführt werden müssen. Kurz gesagt: Es ist an der Zeit, zur Realpolitik zurückzukehren.

Denn allein der romantisierende Blick auf die letzten drei Bahn-Monate und der Traum, die Billigzeit werde ewig währen, bringen die umweltfreundliche Mobilität keinen Deut voran.

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Bernward Janzing
Fachjournalist mit Schwerpunkt Energie und Umwelt seit 30 Jahren. Naturwissenschaftler - daher ein Freund sachlicher Analysen.
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16 Kommentare

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  • ÖPNV hat keine große Lobby. Wenn Lobbyarbeit mehr Transparenz verordnet bekäme, würde die Waagschale nicht so häufig bei den Interessen der KFZ-Industrie landen.

  • Die Kinder von FFF und einige Grüne glaube, dass für den ÖPNV keine Kosten anfallen und daher ein Null-Euro-Ticket der Klimaretter an sich sei. ÖPNV u n d Klimarettung kosten Geld. Und zwar sehr viel Geld. Das müssen die Bürger wissen. Auch wenn es dringend notwendig und höchste Zeit ist, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen, aber bitte nicht auf Kindergartenniveau so wie Neubauer und Co.!

  • Im Begriff "Steuerprivileg für Dienstwagen" steht bereits der Fehler drin: Es ist kein Privileg. Zum Glück gibt es noch Redakteure, die genau nachrechnen: www.faz.net/aktuel...71605.html?session

    • @freibadbea:

      Wie passend, dass der Link lediglich in die Pay-Wall führt.



      Die DUH kam da zu anderen Ergebnissen und stellt staatliche Zuschüsse von teilweise sechsstelligen Beträgen fest. Für spritfressende Luxus-Karossen!



      www.duh.de/fileadm...Zulassungen_01.pdf

      • @Ingo Bernable:

        $Davon vom Staat bezahlt: 154.142,20 ¥$

        Cool.

        Von 300.000 Euro Kosten für einen Wagen werden 150.000 vom Staat bezahlt. Man sollte Autohändler werden und seine Dienstwagen gleich wieder auf den Mark bringen. 150.000 Euro garantierter Gewinn!

        Sie wissen schon, dass das nicht stimmt?

  • Wenn ich solche Artikel lese, kriege wirklich Zukunftsangst. Die strukturkonservative Haltung, die darin zum Ausdruck kommt, können wir uns nicht leisten, in mehrfacher Hinsicht.

    1. Wir haben keine Zeit. Inflation ist jetzt, Klimawandel ist jetzt. Wenn noch 20 Jahre Zeit wären, könnten wir all die netten Vorschläge zum doppelten Nutzen der Finanzierung über Parkgebühren usw. ausführlichst diskutieren. Ist aber nicht so.







    2. "Finanzierung" ist eine ideologische Debatte, die aufgrund der Schuldenbremse im GG jede ambitionierte Politik zu Fall bringen kann. Das sollte überhaupt nicht Fokus der Debatte sein. Wenn die wesentlichen Entscheidungen getroffen sind, sollen finanzpolitische Experten ausknobeln, wie sie die Schuldenbremse austricksen können oder ob sonst zufällig irgendwo Geld herumliegt. Aber bitte erstmal das Wesentliche tun!

    3. Ja, der ÖPNV war offensichtlich auf höhere Nutzung teilweise schlecht vorbereitet. Das muss dringend besser werden. Aber politische Richtungsentscheidungen deswegen auf die lange Bank zu schieben, ist auch falsch. Investitionen in den Ausbau des ÖPNV werden nur wieder aufgeschoben und verzögert, wenn die Leute ihn eh nicht nutzen, weil die Tickets zu teuer sind. Das "Billigticket" erzeugt großen politischen Druck in die richtige Richtung.

    Was Sie da als "Realpolitik" bezeichnen, ist nichts anderes als die Illusion, dass der Staatshaushalt eine Art ontologischen Vorrang vor der materiellen Realität hätten. Dieser Quatsch muss dringend überwunden werden.

  • Jedesmal neu, mehr Geld regelt alles.

  • Ist okay Herr Janzig. Sie haben Kohle und fahren lieber teuer und bequem, als günstig im vollen Abteil mit dem Pöbel zu sitzen. Habe ich schon nach ihrem letzten Artikel verstanden. "Billigticket" klingt nach Aldi und KIK, aber das ist wohl Absicht.



    Von unten sieht die Welt für viele GeringverdienerInnen halt anders aus. Die haben nicht romantisiert sondern ganz real eine Menge Geld gespart.



    Nicht ganz nebensächlich in Zeiten der Inflation für Studierende, Rentner, Arbeitslose und Menschen mit geringem Einkommen.

    " Denn eine vernünftige Lösung braucht Zeit"



    -Wenn wir eines nicht haben, dann ist es Zeit denn der Klimawandel ist gerade bei uns in Europa mit voller Wucht angekommen. Die härteste Dürreperiode in Europa seit 500 Jahren und eine Flutkatastrophe letztes Jahr an einem kleinen Bach durch Starkregen.



    Wenn wir jetzt eines nicht brauchen, dann sind es PolitikerInnen die das Ganze nochmal fünf Jahre durchdenken müssen( und dann ist wahrscheinlich sowieso der Merz im Amt)

    Wir brauchen Lösungen und zwar jetzt. Wenn Sie das alles so katastrophal fanden, dann sollten Sie vielleicht mal ganz persönlich über ihr privilegiertes Komfortbedürfnis nachdenken.



    Hier in der U-Bahn war es übrigens wie immer-voll und kein Sitzplatz, aber immerhin mal nicht für 3.70 Euro pro Fahrt.

    • @Alfonso Albertus:

      "Von unten sieht die Welt für viele GeringverdienerInnen halt anders aus. Die haben nicht romantisiert sondern ganz real eine Menge Geld gespart."

      Nicht nur das, denn viele arme Menschen kamen mit dem 9-Euro-Ticket endlich einmal aus ihrer Stadt und konnten Ausflüge machen. Diese kleinen Leute, die sich über das 9-Euro-Ticket gefreut haben, sind halt keine überbezahlten "Volksvertreter", die in ihrem Privatflugzeug zur Hochzeit unseres Finanzministers fliegen konnten, sondern arme Menschen für die schon eine Fahrt z.B. an die Ostsee/Nordsee - oder in die nächste Stadt - jahrelang 'unbezahlbar' war und sie endlich einmal eine Freiheit genießen konnten, von der die "Freiheitspartei" FDP doch immer so gerne faselt. Nun ja, der "Freiheitsbegriff" gilt seit Jahrhunderten aber immer nur für die Reichen und Mächtigen, aber nie für die Armen und Schwachen - und das ist dann wohl auch die "Freiheit" die sich die "freiheitsliebende" FDP gerne vorstellt. "Christian Lindner (FDP) möchte die »Gratismentalität« im ÖPNV nicht finanzieren", hat der SPIEGEL geschrieben. Aber »Gratismentalität« bei den Topverdienenden, denen der Staat die teuren Dienstwagen sogar noch subventioniert, ist für Lindner anscheinend etwas ganz anderes.

    • @Alfonso Albertus:

      ""Billigticket" klingt nach Aldi und KIK, aber das ist wohl Absicht."



      Wenn der Preis eins Gutes unter den Kosten seiner Bereitstellung liegt kann man ihn wohl schon als billig bezeichnen.



      "Von unten sieht die Welt für viele GeringverdienerInnen halt anders aus."



      Als Sozialmaßnahme ist so ein Ticket aber eine total Fehlkonstruktion. Es käme ja auch niemand auf die Idee Wohngeld für Villenbewohner*innen zu fordern.



      Und gegen den Klimawandel hilft ein Konstrukt, dass vor Allem zu zusätzlichen Fahrten führt ebenso wenig wie die Forderungen jedes Dorf und jedes Haus in Einzellage in jeder Richtung im 15-Minuten-Takt anzubinden.

  • " ihr Auto für nur 30 Euro ein ganzes Jahr lang im öffentlichen Straßenraum abstellen – ein lächerlicher Obolus"



    Aah, endlichwird parken auch etwas exklusives, luxoriöses.

    • @Pootnsuxkds:

      "Bislang konnten Fahrzeughalter ihr Auto für nur 30 Euro ein ganzes Jahr lang im öffentlichen Straßenraum abstellen – ein lächerlicher Obolus angesichts der Preise von Grund und Boden in Innenstädten."

      In meinem Heimatdorf, dem Sitz der taz, ist Parken in vielen Teilen der Innenstadt gratis. Wo es Parkraumbewirtschaftung gibt, zahlt man nur 20.40 Euro für zwei Jahre, also weniger als 1 Euro pro Monat! 120 Euro pro Jahr sind geplant. Immernoch absurd wenig. In Stockholm kostet der Anwohnerparkausweis pro Jahr über 800 Euro.

    • @Pootnsuxkds:

      Ist es sowieso schon, denn arme Menschen haben kein Auto. Das freie Parken ist also vor allem eine Subvention für Menschen, die nicht arm sind.

      • @FullContact:

        Da gebe ich Ihnen Recht, das freie Parken ist eine s



        Subvention derjenigen, die alles mit Ihren Steuern finanzieren.

  • Die Richtung des Kommentars stimmt.

    Aber da geht noch viel mehr:

    - statt neuer Autobahnen - neue Bahnstrecken.



    - statt Pendlerpauschale für alle - bevorzugte Pendlerpauschale für Nutzer der Bahn.



    - statt riesiger Subventionen für Autos - Subventionen für den Ausbau des ÖPNV.

    Geld und Ressourcen sind reichlich vorhanden...es ist alles eine Frage des politischen Willens.

    ...nur eines haben wir vor dem Hintergrund der einsetzenden Klimakatastrophe nicht: ewig Zeit...

  • taz: "Es ist an der Zeit zur Realpolitik zurückzukehren."

    Realpolitik? - Also Politik, die nur vom Möglichen ausgeht. Oh ja, das kennen wir steuerzahlenden Bürger sehr gut. Hundert Milliarden Euro Steuergelder für sinnlose Aufrüstung? - Kein Problem! Ein paar Milliarden Euro Steuergelder, damit der Staat die teuren Dienstwagen subventionieren kann? - Kein Problem! Viele Milliarden Euro, die jedes Jahr aus Steuermitteln aufgewendet werden, um nicht existenzsichernde Arbeit aufzustocken, weil sogenannte "Arbeitgeber" ihren Angestellten keine anständigen Löhne zahlen? - Kein Problem! Günstige Bahntickets, die sich selbst der Hartz IV Empfänger leisten kann? - Stopp, denn jetzt hört der Spaß auch mal auf. Steuergelder sind doch schließlich nicht für die einfachen Bürger da.







    In Deutschland werden übrigens jährlich Steuern im Umfang von 125 Milliarden Euro hinterzogen, wie aus einer Untersuchung der University of London im Auftrag der sozialdemokratischen S&D-Fraktion im EU-Parlament hervorgeht. Davon könnte man viel "Rüstungsspielzeug" kaufen und hätte auch noch Geld übrig, um ein günstiges ÖPNV-Monatsticket für die Bürger bereitzustellen - aber dann müsste man endlich mal gegen Wirtschaftskriminelle in diesem Land vorgehen.

    taz: "Eine gute Möglichkeit wäre die Abschaffung des Steuerprivilegs für Dienstwagen."

    Das stimmt, denn allein mit dem Abbau des Dienstwagenprivilegs könnte man den Bürgern jedes Jahr in den drei Sommermonaten ein 9-Euro-Ticket finanzieren.

    Wenn Deutschland wirklich eine Mobilitätswende schaffen möchte, dann brauchen wir dauerhaft einen günstigen ÖPNV, und zwar einen, der auch von armen Menschen bezahlt werden kann.