Nachfolge des 9-Euro-Tickets: Billig-Ticket für Berlin zu teuer

Wem würde ein Nahverkehrsticket für 49 oder 69 Euro nutzen? Für manche in Berlin würde es sogar teurer. Die Verkehrssenatorin will eine Doppellösung.

Menschen auf Bahnsteig vor Regionalexpress

Lohnt es sich wirklich einzusteigen? Foto: dpa

BERLIN taz | Über das jüngste Angebot der Bundesregierung, gemeinsam mit den Ländern ein bundesweit gültiges Nahverkehrsticket für „49 bis 69 Euro“ zu finanzieren, ist eine hitzige Debatte angelaufen. Würde eine solche Fahrkarte in der Nachfolge des 9-Euro-Tickets tatsächlich den richtigen Personenkreis entlasten? Und hätte sie bei diesem Preis noch eine verkehrspolitische Lenkungswirkung?

Nach den Ankündigungen durch die Spitzen der Ampelkoalition im Bund am Sonntag liegt der Ball erst einmal bei den Bundesländern. Sie müssen für sich klären, ob sie auf die vom Bund angebotetenen 1,5 Milliarden Euro mindestens denselben Betrag drauflegen. In Berlin kommen weitere Fragen hinzu: Für wen wäre ein Ticket zum Preis von 50, 60 oder 70 Euro überhaupt eine Entlastung? Im Gegensatz zu manch anderem deutschen Verkehrsverbund liegen viele Monatstarife hier schon jetzt in diesem Preisbereich, und eine Vereinheitlichung würde schlimmstenfalls zur Schlechterstellung mancher Gruppen führen.

Nicht von ungefähr hat Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) am Montag vorsichtshalber den Rückwärtsgang eingelegt: Nach Bekanntwerden des Entlastungspakets hatte sie noch am Sonntag von einer „sehr guten Entscheidung der Ampelkoalition“ gesprochen, mit der sich auch „spürbare Effekte für den Klimaschutz und die Verkehrswende“ erreichen ließen. Einen Tag später teilte sie mit: „Ein 69-Euro-Ticket allein würde für Berlin wenig bringen, denn viele Abos liegen hier bereits günstiger.“

Sie finde deshalb ein „gestuftes System“ gut, wie es ursprünglich einmal von den Grünen im Bund angeregt worden war, so Jarasch: „ein regionales Ticket für 29 Euro im VBB-Gebiet – und zusätzlich ein bundesweites 69-Euro-Ticket“. Eine solche Kombination sei „eine Riesenchance“, sie würde „wirklich helfen, sowohl als Entlastung als auch für die Verkehrswende“.

Ein wenig ist es Interpretationssache, wie man den Entlastungeffekt durch ein bundesweit einheitliches Ticket im Verkehrsverbund Berlin Brandenburg (VBB) einschätzt. Es wäre zwar bundesweit grenzenlos nutzbar. Aber wer lediglich – oder hauptsächlich – im Tarifbereich AB, also im Berliner Stadtgebiet unterwegs ist, zahlt heute im Abonnement ganz ohne Ermäßigung nur 63 Euro monatlich (und sogar nur 60,70 Euro bei jährlicher Zahlungsweise). Diese sogenannte Umweltkarte ist übertragbar, kann also von mehreren Personen zeitversetzt genutzt werden. Außerdem bietet sie abends und am Wochenende die Möglichkeit, einen Erwachsenen und drei Kinder mitzunehmen.

Solche Konditionen kannte das 9-Euro-Ticket nicht, und dass eine bundesweite Regelung sie vorsehen würde, darf bezweifelt werden. Für alle NutzerInnen ab 65 Jahren gibt es übrigens eine VBB-Monatskarte, die Bewegungsfreiheit bis an die Brandenburger Außengrenze ermöglicht, schon ab 50,40 Euro. Das vom Land Berlin subventionierte Sozialticket „Ticket S“ für EmpfängerInnen von Arbeitslosengeld II oder Grundsicherung für 27,50 Euro und das kostenlose Schülerticket wären von einer Vereinheitlichung dagegen wohl nicht betroffen. Beide sind ohnehin lediglich in Berlin gültig und personengebunden.

Lieber noch 'ne Schleife drehen

Kristian Ronneburg, verkehrspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, sagte der taz, es müsse sicher sein, dass niemand schlechtergestellt werde. Er hoffe aber, dass das Angebot des Bundes noch nicht das letzte Wort sei. Im Zweifelsfall sollten die Bundesländer auch einen alternativen Entwurf präsentieren. „Da müssen wir noch mal eine politische Schleife drehen“, so Ronneburg. In Bezug auf das vom rot-grün-roten Koalitionsausschuss beschlossene Übergangsticket für die letzten drei Monate dieses Jahres, das von der Nachfolgelösung im Bund abhängig gemacht werden soll, zeigte er sich skeptisch: „Wir haben jetzt schon den 5. September – wenn das Berliner Ticket im Oktober kommen soll, mache ich dahinter ein ganz dickes Fragezeichen.“

Auch für Monika Herrmann, Vorsitzende der grünen Landesarbeitsgemeinschaft Mobilität, wäre es der „Gipfel der Absurdität“, sollte die „in Berlin schon jetzt gute Konstruktion von Tarifen und Unterstützung“ durch eine Vereinheitlichung auf Bundesebene gefährdet werden. Den politischen Effekt eines Tickets für möglicherweise bis zu 70 Euro hält sie ohnehin für überschaubar: Sie glaube nicht, dass viele Menschen bei diesem Preis vom Auto umsteigen würden, und für viele andere sei das sowieso zu teuer, sagte sie zur taz. Sie riet zu massivem Subventionsabbau: „Geld wäre genug da.“

Der Sprecher des Berliner Fahrgastverbands Igeb, Jens Wieseke, brachte ebenfalls ein zweigeteiltes Konzept ins Spiel – mit einem Sozialtarif und einem für all jene, die ausreichend verdienten. Menschen, die heute den Tarif S bezahlen würden, sollten sich übrigens laut Wieseke künftig mit ihrem Ticket, wenn schon nicht bundesweit, so doch im gesamten VBB-Tarifgebiet bewegen können – „sonst schließen wir sie ja ein“. Eine wirklich simple Lösung werde es wohl nicht geben, vermutet Wieseke: „Soziale Tarife sind niemals einfach, und einfache Tarife sind niemals sozial.“

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