30 Jahre Pogrom in Rostock-Lichtenhagen: Lange her und noch nicht vorbei

30 Jahre nach den rassistischen Angriffen in Rostock-Lichtenhagen geht der Kampf um die Erinnerung weiter. Die Opfer gehören in den Vordergrund.

Ein Mann in einem weißen Jogginanzug steht nachts vor brennenden Autos

Rostock-Lichtenhagen vor 30 Jahren: Kein Zurück zur Tagesordnung Foto: Bernd Wüstneck / dpa

30 Jahre ist es her, dass ein rassistischer Mob die Zentrale Aufnahmestelle für Asylsuchende und ein Wohnheim für vietnamesische Ar­bei­te­r*in­nen in Rostock-Lichtenhagen tagelang angriff und teilweise in Brand steckte. Die Bilder gingen um die Welt, das Entsetzen über die Wut der Angreifer im Rausch saß tief. Rostock-Lichtenhagen ist bis heute mit dem Makel der rassistischen Terrortage im August 1992 belegt.

Was vor drei Jahrzehnten geschah, wurde zu Recht als die schlimmsten rassistisch motivierten Attacken der Nachkriegsgeschichte benannt. Und zu Recht kritisieren Zeitzeugen wie der damalige Ausländerbeauftragte Wolfgang Richter, dass die Aufarbeitung der Ereignisse bis heute nicht abgeschlossen ist. Von der Übernahme politischer Verantwortung fehlte und fehlt bis heute jede Spur.

Mölln, Solingen, Heidenau, Hanau. Rassistische Anschläge auf Menschen, die fester Bestandteil der deutschen Gesellschaft sind, haben auch nach Rostock-Lichtenhagen nie aufgehört. In den allermeisten Fällen standen die Tä­te­r:in­nen im Vordergrund. Es ging um Ermittlungen, um ihre Beweggründe, um das Scheitern der Integration der Menschen, die nach Deutschland kamen, um hier Zuflucht zu suchen und sich ein neues Leben aufzubauen.

Der NSU-Terror ist das beste Beispiel dafür, wie Täter-Opfer-Umkehr betrieben wurde und Behörden wie Politik schlicht nicht wahrhaben wollten, dass Ras­sis­t:in­nen gezielt Menschen töten wollen, die nicht in ihre verachtende Ideologie passen.

Nach Hanau gingen die Opfer an die Öffentlichkeit

Erst mit Hanau kam es zu einem leicht spürbaren gesellschaftlichen Wandel, sich den Opfern und den Folgen für die Angehörigen stärker zuzuwenden. Auch der Anschlag im Februar 2020 mit neun Toten sorgte für Entsetzen und Betroffenheit. Eine lange Liste an prominenten Po­li­ti­ke­r:in­nen besuchte den Tatort, nahm an Gedenkveranstaltungen teil. Aber zu verdanken war dies vor allem einer Gruppe von Angehörigen, die, um ihre Trauer zu verarbeiten, die Öffentlichkeit suchten, Bildungsinitiativen gründeten und bis heute nicht müde werden, von dem schrecklichen Ereignis und ihrem persönlichen Leid zu berichten.

Alles gut ist damit noch lange nicht. Nach wie vor müssen Betroffene rechter Gewalt um Entschädigung kämpfen, um lückenlose Aufklärung – besonders aber darum, die Erinnerung wach zu halten. Rassismus ist Teil der deutschen Gesellschaft. Aussagen antidemokratischer Man­dats­trä­ge­r:in­nen sind salonfähig geworden, die Trägheit, mit der rassistischen oder antisemitischen Äußerungen begegnet wird – bis hin in höchste Regierungskreise – frappierend. Und erstaunlich. Es scheint fast, dass im Kampf gegen Rassismus hierzulande resigniert wurde.

Rostock-Lichtenhagen ist 30 Jahre her – und noch lange nicht vorbei. Nach jeder rassistisch motivierten Attacke darf es kein Zurück zur Tagesordnung geben. Dies sind wir den Opfern schuldig.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Schreibt seit 2016 für die taz. Themen: Außen- und Sicherheitspolitik, Entwicklungszusammenarbeit, früher auch Digitalisierung. Seit März 2024 im Ressort ausland der taz, zuständig für EU, Nato und UN. Davor Ressortleiterin Inland, sowie mehrere Jahre auch Themenchefin im Regie-Ressort.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.