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Nachhaltige Festivals im NordenAuf dem Weg in die Tiefe

Festivals haben oft eine miese Ökobilanz. Aber immer mehr Ver­an­stal­te­r:in­nen überlegen, wie sie ihren CO2-Fußabdruck deutlich verkleinern können.

Sommer-Sonnenenergie-Festival: Das Futur 2 in Hamburg hat es sich energieautark gemütlich gemacht Foto: Chris Emil Janßen / Imago

Hamburg taz | Als sich die britischen Superstars Coldplay im vergangenen Herbst nicht nur mit neuen Tourdaten, sondern auch einem Nachhaltigkeitskonzept zurückmeldeten, jubelte der New Musical Express (NME), die Popmusik sei einmal mehr an der Spitze progressiver Ideen. Die gleichen Probleme, die eine Coldplay-Show mit sich bringt und Menschen, die das ändern wollen, lassen sich auch hierzulande finden. Björn Hansen ist einer von ihnen.

Der Gründer der Eventagentur Morgenwelt ist seit den 1990er-Jahren in der Branche aktiv. Damals hieß Nachhaltigkeit noch Umweltschutz. „Wir wollten das Thema Nachhaltigkeit in den absoluten Fokus einer Veranstaltung stellen“, erläutert Hansen einen Leitgedanken hinter dem von ihm initiierten Futur-2-Festival, das nun zum dritten Mal stattfindet und als Vorreiter und kompromisslosestes Beispiel in der deutschen Festivallandschaft gilt.

Den Strom liefern unter anderem die Be­su­che­r:in­nen selbst, in dem sie in die Pedale aufgestellter Räder treten. Bei 5.000 Gästen kommt das Festival mit 15.000 Watt aus. Einen konventionellen Stromanschluss gibt es nicht. „Ich glaube, dass noch extrem viele Menschen das Gefühl haben, dass Nachhaltigkeit Verzicht bedeuten würde. Wir wollen zeigen, dass das nicht so ist.“

Wiebke Schumacher, zuständig für die Pressearbeit, spricht über einen Teil des Erfolgsrezepts: „Die Nachhaltigkeitsbestrebungen der Branche gehen im Jahr 2022 längst in eine Tiefe, die durch die alleinige Nutzung von Ökostrom, einer ÖPNV-Anreiseempfehlung oder des Abfallrecyclings alleine nie hätte erreicht werden können.“

Ich glaube, dass noch extrem viele Menschen das Gefühl haben, dass Nachhaltigkeit Verzicht bedeuten würde

Björn Hansen, Gründer der Morgenwelt-Agentur

Auch bei den Großen ist das Thema mittlerweile angekommen: In Zusammenarbeit mit der Tafel Itzehoe verteilte etwa das Wacken Open Air 2018 Lebensmittel, die ansonsten weggeworfen worden wären.

Solaranlagen auf dem Gelände, tierfreies Gastroangebot, Mietzelte, nachhaltig produzierter Festival-Merch oder Mehrweggeschirr – im Kern zielen die Maßnahmen auf vier Säulen ab: Reduzierung des Energieverbrauchs, der Lärmemission, Müllvermeidung und die Aspekte Anreise und Transport.

„Man kann hier alles machen, was man auch auf anderen Festivals machen kann – nur man belastet damit die Umwelt nicht so stark“, so Schumacher. Letzteres belegen auch die Zahlen. Lediglich 26 Gramm Müll pro Kopf fielen 2019 beim Futur-2-Festival an, insgesamt eine Mülltonne. In Wacken kommen 1.900 Gramm Abfall auf jeden Gast.

Die Massen an Müll sind eines der größten Probleme bei Großevents: „Als wir das Festival 2018 übernommen hatten, haben wir viel schlechte Stimmung bei den An­woh­ne­r:in­nen vorgefunden“, sagt Jonte von ­Doellen, der künstlerische Leiter des fünftägigen alternativen Kunst- und Kulturfestivals „Breminale“, das in den vergangenen Jahren immer weiter angewachsen ist und „teilweise schon einen Mainstream-Volksfestcharakter“ hat: „Wir versuchen mit der Breminale etwas zu schaffen, was im Kapitalismus nicht vorgesehen ist: Stagnation.“

Viele der jährlich 220.000 Gäste am Bremer Osterdeich erleichtern sich auf Privatgrundstücken, werfen ihren Müll in Vorgärten, machen in den umliegenden Wohnvierteln die Nacht zum Tag, hinterlassen „Kippen, Kippen, Kippen“, die zuerst am Ufer der Weser, dann im Fluss und irgendwann im Meer landen.

Das Nachhaltigkeitskonzept der Breminale wird sowohl dem Umweltgedanken, als auch der altbekannten problematischen Beziehung zwischen An­woh­ne­r:in­nen und innerstädtischen Großveranstaltungen, gerecht. „Es wird immer eine große Aufgabe sein, nicht den Anschluss an das Quartier zu verlieren“, sagt von Doellen. Auch deswegen soll das Festival nicht mehr wachsen.

Nachhaltige Festivals

Futur-2-Festival: 27. August 2022, Elbpark Entenwerder im Hamburg

Norden-Festival: 25. August bis 11. September 2022, Schleswiger Königswiesen

26,3 Prozent aller CO²-Emissionen der Breminale verantwortete 2019 der anfallende Abfall. Ein Mehrwegsystem, errechnete die Deutsche Umwelthilfe, könnte zu einer Einsparung von 140.000 Bechern und 104.000 Tellern führen oder 2,6 Tonnen vermiedenen Müll und 8,6 Tonnen eingespartes CO² bewirken. Allerdings handelt es sich dabei nur um Prognosen, Zahlen von 2022 lagen zum Redaktionsschluss noch nicht vor.

Doch schon jetzt ließe sich von einem Rückgang der Abfallmengen sprechen, sagt Jonas Godegast, verantwortlich für Nachhaltigkeit der Breminale. Knapp 50 Foodstände, davon rund 20 direkt, haben sich 2022 an dem Mehrwegsystem beteiligt; fünf ein eigenes System gehabt. Der Rest durfte ausnahmsweise ­Essen auf die Hand in FSC-­Papier ausgeben. Noch mehr CO² als anfallender Abfall produziert laut der „Green Music Initiative“ nur der Punkt Mobilität – nämlich 40 Prozent.

Einen zusätzlichen Anreiz, auf das Auto zu verzichten, soll eine Kooperation des „Norden Festivals“ in Schleswig und NAHSH schaffen: Fünf Euro gibt es auf das Ticket bei Vorlage der Fahrkarte an der Kasse; Getränkegutscheine für die, die die Festivalkarte bereits im Vorfeld gekauft haben.

„Künstler:innen versuchen wir zu vermitteln, nach Möglichkeit mit der Bahn zu kommen.“ Nicht bei allen sei das wegen der teils großen Backline möglich, schränkt Melina Blandon, Nachhaltigkeitsbeauftragte des Festivals, ein. Man schaue dann von Fall zu Fall. Bemühungen, Festivals nachhaltig zu gestalten, machen weder vor den Bühnen, noch hinter den Kulissen halt. Auch nicht vor dem Catering. Dafür sorgt dieses Jahr eine sogenannte Kreativküche in Zusammenarbeit mit den Reste-Rittern aus Kiel.

Auf dem Tisch landet, was sich aus „zum größten Teil geretteten, saisonalen, regionalen Lebensmitteln kreativ und lecker“ kochen lässt. Auf Künstler:innen, die damit gar nicht zufrieden sind, ist man vorbereitet. „Dieses Jahr wollen wir das einfach mal ausprobieren.“ Das ist die Maxime, der alle folgen: „Mach dieses Jahr das eine Projekt und nächstes Jahr das andere. Jeder Schritt zählt. Alles so zu lassen, ist keine Option“, findet Schumacher.

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