piwik no script img

Ampelkoalition uneins über EntlastungenAb in den Ausschuss

SPD, Grüne und FDP beraten über neue Entlastungen – und sind sich uneins. Richten soll es der Koalitionsausschuss.

Die Grünen-Fraktionsvorsitzenden Britta Haßelmann und Katharina Dröge in Potsdam Foto: Soeren Stache/dpa

Dresden/Potsdam/Berlin taz | Vor dem Ende der Sommerpause und dem Start der Haushaltswoche im Bundestag sind die Fraktionen der Ampelkoalition zu ihren jeweiligen Klausurtagungen zusammengekommen. Im Fokus: der Ukrainekrieg, die Energiepreise, und die Inflation.

So auch die Fraktionsspitze der Grünen, die seit Dienstag in einem edlen Hotel in Potsdam tagte. Man wolle verhindern, so die Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge, dass zu den derzeitigen Krisen noch eine weitere hinzukommt: Denn es drohe eine „konsumgetriebene Rezession“, sagte Dröge. Weil Gas und Strom viel mehr kosten und eine allgemeine Zukunftsunsicherheit herrscht, kann im Winter auch noch die Nachfrage einbrechen. Damit besteht die Gefahr von Firmenpleiten und Jobverlusten. Auch deshalb müsse jetzt schnell ein Entlastungspaket her.

Was die Grünen-Fraktion exakt will, bleibt aber offen. Ihr schwebt, wie der SPD, ein Energiegeld für Rentner, Azubis und Studierende vor – aber auch für Familien, Geringverdiener und die Mittelschicht. ALG-II-Bezieher sollen mehr bekommen – aber ob das die lange angekündigte Reform des Bürgergeldes mit höheren Regelsätzen werden soll oder eine Einmalzahlung, ist offen. Man kann sich viel vorstellen, nennt keine Zahlen und will sich für den anstehenden Deal nicht in die Karten schauen lassen.

Wünschenswert findet die grüne Fraktionsspitze ein Moratorium für Gas- und Stromsperren. Und erfreulich, dass die FDP ihr Nein zur Verlängerung des 9-Euro-Tickets in ein „Ja, wenn es nicht teuer wird“ verwandelt hat. Aber klar ist: Das Problem beim Entlastungspaket sitzt für die Grünen vor allem im FDP-geführten Finanzministerium.

Konfliktpunkt Atomkraft

Auch bei der Frage, ob drei Atomkraftwerke länger laufen sollen, sind die Grünen mit der FDP über Kreuz. Die fordert nämlich seit Wochen in Dauerschleife eine Verlängerung der verbliebenen AKWs. Das seien „sichere Anlagen, die sicher betrieben werden können“, sagte der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr. Die AKWs sollten mindestens für die kommenden zwei Winter verlängert werden, um den Preisanstieg beim Strom zu dämpfen, so Dürr.

Wie die Grünen will die FDP nun aber den laufenden Stresstest der Versorgungssicherheit beim Strom von Wirtschaftsminister Robert Habeck abwarten. Wie sich die Regierung am Ende bei diesem Punkt einigen wird, bleibt spannend.

Seit Mittwoch und noch bis Freitag trifft sich auch die FDP-Fraktion in Bremen zur Herbstklausur. Zwei Positionspapiere, eines zur Energieversorgung und eines zu Entlastungen, wurden bereits beschlossen. Entlasten will die FDP-Fraktion vor allem durch den Abbau der kalten Progression. Mit dem Vorschlag für ein Inflationsausgleichsgesetz habe Finanzminister Christian Lindner einen konkreten Vorschlag gemacht, um die „hart arbeitende Mitte“ zu entlasten, so Christian Dürr.

Mit dem Abbau der kalten Progression soll verhindert werden, dass Menschen mit steigenden Löhnen einen höheren Steuertarif zahlen müssen, obwohl sie aufgrund der Inflation nicht mehr Geld zu Verfügung haben. Es sei „eine Frage der Gerechtigkeit, dass sich der Staat nicht inflationsbedingt an den Lohnsteigerungen bereichere“, heißt es im Positionspapier.

Bei der FDP ist der „Westerwelle-Sound“ zurück

Allerdings ist der Abbau der kalten Progression in der jetzigen Krisensituation umstritten. Der Präsident des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, argumentiert etwa, dass von diesem Vorhaben, das den Staat laut FDP etwa 10 Milliarden Euro kosten würde, 70 Prozent den oberen Einkommensgruppen zugutekommen.

Konfliktpotenzial birgt auch die geplante Reform zum Bürgergeld. Denn da ist beim Positionspapier der FDP eindeutig ein „Westerwelle-Sound“ erkennbar. Die Liberalen wollen vor allem darauf hinwirken, „dass sich Arbeit lohnt und die breite Mitte ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten kann“. Im Gegensatz zur SPD strebt die FDP keine Änderungen der Berechnung der Regelsätze an. So wird nur begrüßt, dass der Regelsatz „automatisch auf Basis der Inflation angepasst“ wird.

Die nächste Anpassung Anfang 2023 berücksichtigt allerdings Daten aus dem Zeitraum Juli 2021 bis Juni 2022. Aufgrund der zeitlichen Verzögerung gleicht diese Anpassung meist nicht die akute Mehrbelastung aus – das wird schon länger von Sozialverbänden kritisiert.

Es besteht also noch Klärungsbedarf beim Herzensprojekt der Sozialdemokraten. Deren Fraktion trifft sich am Donnerstag und Freitag zwei Tage lang zur Klausur in der sächsischen Landeshauptstadt Dresden. Zentrales Thema der internen Beratungen ist das nächste Entlastungspaket. Die Fraktion hat am Sonntag schon mal Vorschläge vorgelegt, wie das aussehen kann – und wird konkreter als der grüne Koalitionspartner.

Ist die Übergewinnsteuer wirklich vom Tisch?

So will man Menschen mit geringen und mittleren Einkommen sowie Ren­te­r:in­nen und Studierende mit Direktzahlungen unterstützen. Parteivorsitzende Saskia Esken nannte am Donnerstag gegenüber dem Nachrichtensender ntv eine Einkommensgrenze von 40.000 Euro brutto. Außerdem schlägt die Fraktion vor, den Kreis der Wohn­geld­emp­fän­ge­r:in­nen zu vergrößern und den Grundbedarf an Strom und Gas preislich zu deckeln. Als Nachfolger für das 9-Euro-Ticket bringt die SPD eine bundesweit gültige Fahrkarte zum Preis von 49 Euro ins Gespräch.

Das dritte Paket müsse zielgerichtet sein, sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich am Donnerstag in Dresden. Statt mit dem Füllhorn Wohltaten zu verteilen, will die SPD gezielt jene unterstützen, die unter steigenden Preisen am meisten ächzen. Das sieht man bei der FDP zwar ähnlich. Jedoch ist man sich nicht einig, wie groß der Kreis der Unterstützten gezogen werden soll.

So tragen die Liberalen den Vorschlag mit, mehr Menschen Wohngeld zuzusprechen. Doch bei Einmalzahlungen will sich die FDP auf die Gruppen beschränken, die bei der letzten Energiepreispauschale nicht bedacht wurden – etwa Studierende und Rentner*innen.

Das Entlastungspaket wirft erneut die Frage nach der Finanzierung auf. Die SPD etwa schlägt eine Übergewinnsteuer für jene Energieunternehmen vor, die von der Krise massiv profitieren. Damit wolle man eine Diskussion über Gerechtigkeit anstoßen, erklärte Mützenich. Ob man sich in der Bundesregierung auf eine solche Steuer einigen kann, ist indes fraglich. Die FDP etwa lehnt sie entschieden ab. Sie wäre „schädlich für den Standort Deutschland“, sagte Fraktionschef Dürr.

Mützenich brachte denn auch andere Finanzierungsquellen ins Spiel: Man sei auch bereit, über einen Nachtragshaushalt zu verhandeln. Finanzminister Christian Lindner hatte bei der Kabinettsklausur in Meseberg Spielräume im Haushalt in einstelliger Milliardenhöhe in diesem und zweistellige Milliardenbeträge im nächsten Jahr verkündet.

Am Freitagmorgen stößt in Dresden der Bundeskanzler dazu, man darf gespannt sein, wie Olaf Scholz reagiert und welche Vorschläge er aus der SPD-Fraktion mit in den Koalitionsausschuss nimmt. Der soll sich am Wochenende treffen, vorausgesetzt, es gibt bis dahin unter den Ampel-Partner:innen weitestgehend Einigung darüber, wie das Entlastungspaket in seinen Grundzügen aussieht. Die Ampel hat sich aber fest vorgenommen, vor dem Beginn der Haushaltswoche am Montag ein Paket zu schnüren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Mit dem Begriff Entlastung wird immer nur die halbe Wahrheit gesagt. Um zu entlasten muß der Staat in gleichem Maße auch belasten. Entlastung meint Umverteilung. Der Staat kann nur verschenken, was andere (die arbeitende Bevölkerung, die Steuerzahler, oder wenn mit Schulden finanziert wird, die nächste Generation) zuvor erarbeitet haben oder danach erarbeiten müssen.



    Und wenn genügend Geld da ist, wäre der bessere Weg Steuersenkungen, aber könnten ja auch die falschen, die Wähler der anderen Parteien, profitieren.

    • @Pfennig:

      Steuersenkungen - dafür stehen auch die Grünen. Erinnern wir uns an ihre erste Regierungsbeteiligung. Damals war eines der ersten Projekte den Spitzensteuersatz auf ein Niveau zu senken, welches es unter Kohl nicht gab.



      Gleichzeitig wurde der Eingangssteuersatz erhöht. Alles-in-Allem - gar nicht so weit weg von der FDP.

      • @Pogsoicos:

        Nein, die Senkung des Spitzensteuersatzes auf 42% war eine Forderung der FDP. Konkret: von Brüderle und Bauckhage.

        • @Ajuga:

          Man kam von 53%.



          " Der ursprünglich von der Bundesregierung im Februar 2000 eingebrachte und im Mai 2000 verabschiedete Gesetzentwurf zur Steuerreform beinhaltet die Senkung von Spitzen- und Eingangssteuersatz auf 45"



          de.wikipedia.org/w...000_in_Deutschland



          Also von den 11% waren in der Hauptsache schon mal 8% von Grün-Rot.



          Und wenn man's nicht gewollt hätte, hätte man den nächsten 3% einfach nicht zustimmen müssen.



          Fazit: Die Grünen, die in der Regierung waren haben den Spitzensteuersatz um 11% auf 42% gesenkt. Einen Wert, den es in den vorangehenden 16 Kohl- UND FDP-Jahren nie gab.